Am 24. Mai fand im Kabarett Sanftwut etwas statt, was es seit zwei Jahren nicht mehr gegeben hatte: Die Lene-Voigt-Gesellschaft hatte endlich wieder einladen können zum Vortragswettbewerb „Gaggaudebbchen“. Da können Schüler/-innen zeigen, wie mutig sie sind, wenn sie Texte der Leipziger Mundartdichterin Lene Voigt vortragen. Aber was haben die zwei Jahre seit dem letzten „Gaggaudebbchen“ eigentlich angerichtet?
Das war die Frage, die auch Klaus Petermann, Vorsitzender des Lene-Voigt-Gesellschaft e. V., umtrieb, der ja selbst mit eigenen Lene-Voigt-Programmen auftritt und weiß, wie sich das da oben auf der Bühne anfühlt. Wenn man erst mal die Texte drauf hat und das Lampenfieber nicht mehr so plagt, dann kann man ganze Säle zum Lachen bringen. Denn in Lene Voigts Texten erkennen sich alle wieder – nicht nur die Sachsen.
„was würde die alte lene wohl über unsere heutige zeit dichten … ich möchts gern wissen!“, heißt es im Kommentar von „borni“ zu Lene Voigts Gedicht „Nu grade!“ auf der Homepage der Lene-Voigt-Gesellschaft. Und die Antwort lautet natürlich: genau dasselbe.
Wenn es denn noch die unendlich reiche Zeitungslandschaft der Zeit gäbe, in der Lene Voigt in Zeitungen weit über Leipzig hinaus ihre Texte veröffentlichte. Texte, in denen sich die Menschen wiedererkannten in all ihrer eigenen kleinen Verrücktheit, ihren Marotten, den Tücken des Alltags, des Wetters und des Lebens.
Ein vom Aussterben bedrohter Zungenschlag
Eines Lebens, in dem es zumeist recht bescheiden und sparsam zuging, Pfennige noch Charakter hatten und Humor die beste Medizin war, den alltäglichen Widrigkeiten zu begegnen. Und niemand hat das so gekonnt mit dem ganz speziellen Leipziger Zungenschlag des Sächsischen verbunden wie Lene Voigt.
Eigentlich dem südwestlichen Zungenschlag des Osterländischen, wie die Linguisten wissen – nur die Leipziger meist nicht mehr, weil das Idiom nach und nach aus ihrem Alltag verschwindet.
Weshalb die Lene-Voigt-Gesellschaft schon vor Jahren begann, wieder in Schulen zu gehen und Angebote zu machen. „Das werde ich auch wieder verstärkt tun“, sagt Klaus Petermann. Wohl wissend, dass die Schulen überschwemmt werden mit solchen fakultativen Angeboten.
Aber wenn die Kinder in den Schulen nicht mal in Kontakt kommen mit dem Idiom ihrer Heimat, in der sie aufwachsen, wo dann? Im Fernsehen, wo ein geradezu gemeingefährliches und verachtendes „Sächsisch“ von Leuten zelebriert wird, die es bestenfalls mal von DDR-Grenzpolizisten gehört haben?
Ein Unding.
Dabei gehört es, so sieht es auch Petermann, in den Deutschunterricht. Dort sollten alle Schüler irgendwann einmal wenigstens erfahren, welchen Reichtum an Mundarten es in Deutschland gibt. Oder gab. Und wie in diesen Mundarten auch faszinierende Literatur entstand. Es ist auch ein Stück eigener Geschichte, gespickt mit einem Wortschatz, den es so im Hochdeutschen nicht gibt.
Was am 24. Mai im Kabarett Sanftwut natürlich zu erleben war. Denn die 14 jungen Menschen, die sich auf die Bühne trauten, hatten sich ganz und gar nicht die leichtesten Gedichte von Lene Voigt ausgesucht.
Mancher wurde auch von der Deutschlehrerin ein bisschen genötigt und hatte oben auf der Bühne mit dem Lampenfieber zu kämpfen. Da half dann auch Klaus Petermanns Mutmachen nicht immer. Er weiß ja, wie das ist und wie man da oben ins Zittern und Schlingern kommen kann. Das hat er zu Beginn seiner Laufbahn auch erlebt.
Schnärlzschen und Gaffegeschbänster
Aber natürlich fordert das schon was, selbst wenn man nur ein scheinbar so harmloses Gedicht wie „De Schnärlzsche un de Lärche“ vorzutragen versucht. Nur zwei Strophen. Aber die haben es in sich.
Nicht nur, was sächsische Zungenbrecher betrifft (die keine Zungenbrecher mehr sind, wenn man das Weiche in dieser Mundart begriffen hat), sondern auch die sauber gesetzten Pointen. Lene Voigts Gedichte sind nie lehrhaft, immer verspielt. Und trotzdem lernt man was über sich und seine eigenen Vorurteile.
Ursprünglich hatten sich 20 Schüler/-innen angemeldet. Nicht alle haben es geschafft. Und ein Grund wurde auch hörbar: Denn oft war die Zeit, einen Text auswendig zu lernen und dann noch souverän vorzutragen, doch zu kurz. Denn natürlich fehlen nicht nur die zwei Jahre, in denen auch die engagieren Lehrer/-innen meist überlastet waren und für die Mundart-Stunden mit den Kindern gar keine Zeit war.
All das, was zwei Jahre liegenblieb, muss ja nachgeholt werden – am gesamten Schulstoff. Und manches musste mit Auslaufen der Corona-Beschränkungen auch erst wieder neu aufgelegt werden. So auch die Sächsisch-Arbeitsgemeinschaften im Wilhelm-Ostwald-Gymnasium und der Louise-Otto-Peters-Schule, wo seit einigen Jahren kleine Leuchtfeuer entstanden sind, weil Lehrer/-innen mit den Kindern wieder die Freuden der sächsischen Sprache entdecken.
Auch wenn es erst einmal schwerfällt. Den Jungen ganz besonders. Da musste man einfach mitfühlen, weil einem das nur zu vertraut ist, die ganze Scheu vor dem Auftritt, diese Angst vorm Sichblamieren. Obwohl nichts so verständnisvoll war wie das Publikum an diesem Nachmittag.
Denn wo schon kurze Texte von Lene Voigt es dermaßen in sich haben – was ist dann erst mit den langen Balladen? Und vor denen hatten ja einige der Auftretenden so gar keine Angst, kämpften sich – wie Tobias Hase – durch das immer aktuelle Gedicht „So änne Buddelei“ oder wie Selma Müller aus Dresden durch „’s Gaffegeschbänst“.
Überhaupt: Die Dresdner …
Eine glückliche Jury
Der Wettbewerb um das Gaggaudebbchen ist schon seit Jahren über Leipzigs Grenzen hinausgewachsen. Eine Zeit lang waren die Delitzscher ganz stark dabei. In jüngerer Zeit zeigt sich die Dresdner Schillerschule sehr aktiv, wettbewerbsfreudig und auftrittsverliebt. Denn die angereisten Schüler/-innen aus Dresden hatten nicht nur emsig gelernt, sondern auch richtige Kostüme angelegt und aus ihren Auftritten kleine Theatervorstellungen gemacht. Man merkte schon: Sie wollten gewinnen.
Und es hätte auch beinah geklappt, denn Mathilde Luckes Auftritt als Heinzelmännchen war gleich das erste Aha-Erlebnis an diesem Abend. Vielleicht auch ein Aufatmen bei Klaus Petermann.
Denn sie zeigte, dass die zwei Jahre keine verlorenen Jahre waren, dass die Freude an kess vorgetragenen Lene-Voigt-Gedichten nicht verschwunden ist. Und dass die Kinder in der Zeit auch nicht das Sprechen und Auftreten verlernt haben, auch wenn viele Erwachsene in dieser Zeit zu Eremiten und Kontaktvermeidern geworden sind.
War nur die Frage: Wäre das zu toppen?
Dass es die Jury am Ende ganz und gar nicht leicht hatte, war da noch nicht abzusehen, wurde aber schon spürbar, als Henrik Hase die Ballade „Dr Handschukh“ im – wie die Jury sich ausdrückte – an diesem Abend besten Sächsisch vortrug. Das ist die herrlich entschillerte Ballade, in der der Ritter am Ende „ganz Infame“ zur eingebildeten Schönen sagen darf. Fast hätte Henrik damit den dritten Platz belegt.
Die Weisheit der Urahne
Dass Lene Voigts Balladen regelrecht anspornen dazu, auf der Bühne ein herrliches Spektakel aufzuführen, das zeigte dann der auch aus Dresden angereiste Felix Noßky, der „Dr Zauwerlährling“ lieber gleich mit nackten Füßen – aber natürlich im Zaubererkostüm – zelebrierte. Denn die Schuhe zieht man lieber aus, wenn die wild gewordenen Besen auch das Parterre überschwemmen. Dafür gab es Platz 2 an diesem Tag.
Denn in einem Kostüm, wie es auch Lene Voigt hätte tragen können, verzauberte diesmal Leni Behr vom Louise-Otto-Peters-Gymnasium den Saal. Mit „’s Gewidder“ brachte sie nicht nur das so schön unberechenbare Wetter zu Lene Voigts Zeit auf die Bühne, sondern auch jene schelmische und meist doch so treffende Erkenntnis, dass die Urahne mit ihrer Lebenserfahrung wohl doch meistens recht hat, wenn sie Vorsorge trifft, wo die ganze Familie sonst sorglos in den Sonnenschein spaziert.
Das war dann an diesem Tag der überzeugende Sieg. Und Mutmacher sowieso – für Klaus Petermann und seine Mitstreiter/-innen, jetzt einfach weiterzumachen. Und für die jungen Menschen, diese Dichterin und ihre liebenswerte Sprache für sich zu entdecken.
Die drei Bestplatzierten bekamen – wie das zur Tradition in diesem Wettbewerb gehört – ein getöpfertes Debbchen-Unikat. Und alle Teilnehmenden sowieso Urkunde und Kakao-Beutelchen.
Und wer jetzt grübelt über Worte wie Schnärlzche, der findet die zugehörigen Gedichte im zweiten Band der Lene-Voigt-Gesamtausgabe „Ich weeß nich, mir isses so gomisch“. Wobei Schnärzlche ja tatsächlich auch aus dem Sprachschatz der noch Sächsischsprechenden fast verschwunden ist, wie Klaus Petermann feststellt: Es ist der Sperling, der sich hier mit der Lerche darüber streitet, wer nun für welches Publikum singt.
Dabei ist kein Publikum besser als das, welches aufmerksam zuhört, mitfühlt und auch für all die Unsicherheiten da vorn im Scheinwerferlicht vollstes Verständnis hat.
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