Da ringen Leipzigs Ratsfraktionen jahrelang darum, damit die Leipziger Freie Szene endlich feste Spielstätten und attraktive Festivalorte bekommt – oft sowieso gegen einen knappen Haushalt. Und wenn sich die Stadtratsmehrheit endlich zu einem Ergebnis durchgerungen hat, geht ein kleiner knauseriger Onkel ans Rednerpult und erklärt die Freie Szene für überflüssig. So passiert am 15. Mai.

Es was nicht die einzige Szene an diesem Tag, in der ein AfD-Stadtrat so tat, als wäre ausgerechnet die hellblaue Altherrenriege der Wahrer der Leipziger Zahlungsfähigkeit, obwohl man hinter der ausgestellten Besorgnis um das arme Geld der Steuerzahler doch nur eigene politische Positionen verschleiert – in diesem Fall die tiefbegründete Abneigung gegen die lebendige Freie Szene in Leipzig, die nun einmal für Lebenslust, Weltoffenheit, Demokratie und Experimentierfreude steht.

Also so ziemlich das Gegenteil der hellblauen Alte-Herren-Partei. Und es sind ganz bestimmt nicht AfD-Stadträte wie Jörg Kühne, die für das stehen, was Leipzig als lebendige Großstadt attraktiv macht.

Es sind die nun wieder möglichen kulturellen Angebote der Freien Szene, die Leipzig gerade für junge, lebenslustige Menschen so beliebt macht. Und es sind die von diesen Kulturmachern organisierten Festivals.

Aber diesen Festivals mangelte es bislang an Räumen.

Räume für die Freie Szene

„Die Stadt Leipzig hat eine breite und vielfältige Kulturlandschaft, welche sich nicht zuletzt in zahlreichen international wirkenden Festivals in freier und städtischer Trägerschaft ausprägt. Neben der etablierten und neu entstehenden klassischen Musikfestivallandschaft (u. a. Bachfest, Opernfesttage, Gewandhausfesttage), welche unter der Dachmarke ‚Musikstadt Leipzig‘ entwickelt und vermarktet wird (VI-DS-06656), hat die historisch gewachsene freie Festivallandschaft einen wesentlichen Anteil an der touristischen Anziehungskraft und Attraktivität der Musik- und Kulturstadt Leipzig.“

„Zur freien Festivallandschaft gehören u. a. das DOK-Festival (seit 1960), die Leipziger Jazztage (seit 1976), die Lachmesse (seit 1991), die euro-scene Leipzig (seit 1990) sowie neu aufgestellte oder entwickelte Festivalformate wie der Literarische Herbst oder das Kammermusikfestival ‚con spirito‘“, beschreibt das Kulturamt in seiner Vorlage die durchaus schon reiche Landschaft, die jedes Jahr Tausende Kulturbegeisterte nach Leipzig lockt.

„Nahezu alle freien Festivals greifen auf bereits vorhandene Spielstätten als Aufführungsorte zurück. Dabei zeigt sich, dass mit zunehmender Professionalisierung und Qualifizierung freier Träger und der Weiterentwicklung von Veranstaltungsformaten insbesondere Raumbedarfe steigen. Neben der gesteigerten quantitativen Nachfrage, haben sich auch die qualitativen Anforderungen bspw. an die Ausstattung von Spielstätten, deren notwendige Größe und Funktionalität verändert. Gleichsam müssen Notwendigkeiten moderner Arbeitsplatzausstattungen anerkannt werden und Berücksichtigung finden.“

Besonders lang und intensiv war ja das Ringen um das „Haus der Festivals“ in der Gottschedstraße 16, die ehemalige Spielstätte „Skala“ des Schauspiels Leipzig, die die Stadt schon drauf und dran war zu verkaufen, als der Stadtrat dazwischenging und den Akteuren Gehör verschaffte, die sehr wohl jede Menge Ideen haben, so ein Haus zu bespielen.

Die Schaubühne Lindenfels in der Karl-Heine-Straße. Foto: Ralf Julke
Die Schaubühne Lindenfels in der Karl-Heine-Straße. Foto: Ralf Julke

Die Vorlage bündelt jetzt die Förderung von drei Leipziger Festivalorten.

„Die Stadt Leipzig hat zur Unterstützung der freien Kunst- und Kulturszene, insbesondere zum ‚Filmkunsthaus‘ und dem ‚Haus der Festivals‘, bereits mehrere Beschlüsse gefasst, die durch den Grundsatzbeschluss ‚Investitionsprojekt: Internationale Festivallandschaft Freie Szene Leipzig‘ weiter untersetzt werden. Darüber hinaus ist das Kulturdezernat mit weiteren Akteuren der Freien Szene wie der naTo und der Schaubühne Lindenfels im Gespräch zu deren Entwicklungspotenzialen und den dafür notwendigen Ressourcen“, schreibt das Kulturamt.

Es geht um über 20 Millionen Euro Fördermittel

Während das „Haus der Festivals“ in der Gottschedstraße erst noch fertiggestellt werden muss, sind die Veranstaltungen der Cinemathèque Leipzig in der  naTo und die Schaubühne Lindenfels längst etabliert in der Leipziger Festivallandschaft.

Doch was vor 20 Jahren noch genügte, um die Arbeit zu ermöglichen, ist mit der gewachsenen Stadt und den gewachsenen Ansprüchen des Publikums zu wenig. Und es ist ein Märchen, wenn Jörg Kühne behautet, die drei Einrichtungen könnten die notwendigen Investitionsmittel einfach über Spenden und Eintrittspreise zusammenbringen.

Nach der Rede dieses Mannes kann man sich schon sehr gut vorstellen, welchen Kahlschlag an Kultur es in Leipzig geben würde, wäre die AfD tatsächlich der Hüter des Leipziger Haushalts. Dann würde es ganz schnell sehr düster aussehen in der Stadt. Unabhängige Kultur gibt es dann nur noch auf Spendenbasis.

Was will die Stadt jetzt beisteuern für die drei Häuser?

„Zur Umsetzung des in dieser Vorlage beschriebenen ‚Investitionsprojekt: Internationale Festivallandschaft Freie Szene‘ haben der Bund (BKM) und der Freistaat Sachsen finanzielle Unterstützung zugesagt. Im aktuellen Bundes- wie auch im Landeshaushalt sind bereits Fördermittel jeweils i. d. H. v. 10,5 Mio. EUR zur investiven Unterstützung von Institutionen der Freien Szene in Leipzig eingeplant. Diese müssen durch die Stadt Leipzig zunächst formlos angefragt und im zweiten Schritt beantragt werden. Für das Gesamtvorhaben ist ein Eigenanteil der Stadt Leipzig erforderlich, aus dem anteilige Planungskosten sowie ggf. der Ankauf notwendiger Flurstücke finanziert werden können“, schreibt das Kulturamt.

Es geht also insgesamt um 21 Millionen Euro, die Bund und Land der Freien Szene in Leipzig für investive Maßnahmen zur Verfügung stellen würden, insofern Leipzig auch einen Eigenanteil beisteuert. „Die Stadt Leipzig unterstützt diese Vorhaben in Höhe von 2,1 Mio. EUR. Gemeinsam mit der Förderung der beiden anderen Mittelgeber Bund und Freistaat Sachsen stehen somit insgesamt 23,1 Mio. EUR zur Verfügung“, heißt es in der Vorlage.

Um genau diese 2,1 Millionen Euro ging es am 15. März. Und dem knauserigen Mann von der AfD war das schlicht zu viel Geld für eine Szene, mit der jedenfalls die AfD nichts am Hut hat.

Dass es dann auch noch eine kleine Hakelei um eine Aussage von Grünen-Stadträtin Anna Kaleri gab – geschenkt. Denn tatsächlich waren sich die demokratischen Fraktionen alle einig nach den vielen Ausschuss- und Stadtratssitzungen zu dem Thema, dass die in Aussicht gestellten Fördermittel eine einmalige Chance sind, drei wichtige Festivalspielstätten baulich auf Vordermann zu bringen. Rund 10 Millionen Euro fließen dann in das „Filmkunsthaus“, 8 Millionen Euro in das „Haus der Festivals“ und 5 Millionen Euro in die Schaubühne Lindenfels.

Die drei Spielstätten

Das Haus der Festivals ist die Gottschedstraße 16, in dem verschiedene Akteure der Freien Szene vernetzt arbeiten können und den bestehenden Saal für Veranstaltungen nutzen können. Als Mieter im Haus der Festivals sind der Jazzclub Leipzig e. V., euro-scene Leipzig, Initiative Leipziger Jazzmusiker e. V., Leipziger DOK-Filmwochen GmbH, Literarischer Herbst und Schumann-Verein Leipzig e. V. geplant.

Das Filmkunsthaus ist ein Projekt der Cinemathèque Leipzig, die ihr Programm derzeit in der naTo bringt: Das Filmkunsthaus, für das 2018 eine erste Förderung platzte, verfügt gegenwärtig über keine eigenen Räumlichkeiten. Geplant ist die Errichtung zweier Kinosäle mit ca. 200 und ca. 100 Plätzen, eines Konferenz- und Multifunktionsbereiches, eines Eingangsbereiches/Foyers mit Gastronomieflächen und weiterer kulturpädagogischer Nutzflächen, sowie notwendiger Büro- und Lagerräume.

Schaubühne Lindenfels: In dem Bestandsgebäude, einem historischen Ballhaus, gibt es keine Möglichkeit zur Schaffung von Proberäumen und Studios, so wie nur defizitäre und eingeschränkte Arbeitsplätze für Mitarbeiter/-innen und Künstler/-innen (Büros, Räume für Workshops und Meetings, Lagerräume). Gegenwärtig angemietete Probenräume stehen perspektivisch nicht mehr zur Verfügung, weshalb eine bauliche Erweiterung der Schaubühne Lindenfels insbesondere für Probenräume und Büros notwendig ist.

Hätte der Stadtrat so entscheiden, wie sich das die AfD-Fraktion dachte, hätte man nicht mal die Anträge für die Fördermittel schreiben können.

Aber so tickt weder Leipzig, noch die Stadtratsmehrheit. Gegen die Vorlage, mit der die drei Häuser endlich notwendige Investitionsmittel einwerben können, stimmte nur die AfD-Fraktion mit ihren zehn Stimmen. Niemand sonst. 42 Stadträt/-innen stimmten für die Vorlage. Jetzt können die Fördergelder beantragt werden.

Die Debatte vom 15. März 2022 im Stadtrat

Video: Livestream der Stadt Leipzig

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar