Eigentlich hat sich das Kulturdezernat schon jahrelang auf dieses Jubiläum gefreut: Vor 500 Jahren kam es in Leipzig zu einem rund dreiwöchigen Streitgespräch zwischen dem katholischen Theologen Johannes Eck und den Reformatoren Martin Luther, Andreas Karlstadt und Philipp Melanchthon. Dieser von der Universität organisierte Austausch von theologischen Argumenten, der zum endgültigen Bruch Luthers mit Rom führte, ging als „Leipziger Disputation“ in die Geschichte ein. Aber dann floppte das eigentliche Reformationsjubiläum 2017. Ein bisschen.
Trotz zehnjähriger Vorbereitung und der Hoffnung, man würde mit „Kirchentag auf dem Weg“ gleich an mehreren Orten neue Rekorde brechen. Aber da hatte man sich wohl verzettelt. Und Leipzigs Verwaltung war enttäuscht. Lag es am Thema? Geht die ganze Reformation den Bürgern von Lutherland inzwischen auf den Keks? Wollen sie von Luther und dem, was er bewirkte, nichts mehr wissen?
Die heftigste Kritik wurde ja kirchenintern verteilt. Und einer der Kritikpunkte war auch die fröhlich zelebrierte Innensicht, die völlig vergaß, auch all jene Menschen mitzunehmen, die sich keiner Kirche mehr zugehörig fühlen, denen aber sehr wohl bewusst ist, was die Reformation für den Aufbruch aus einem strengen religiösen Korsett bis heute bedeutet. Damit tun sich auch Luther-Forscher schwer.
Dessen sind sich einige Leipziger durchaus bewusst. Auch wenn sie jetzt, wie Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke es ausdrückt, erst einmal mit gedämpften Erwartungen an die Feiern zu 500 Jahre Leipziger Disputation herangehen.
Wozu aus ihrer Sicht noch die überraschende Begeisterung für Clara Schumann kommt, die in diesem Jahr 200 Jahre alt wird. Anfangs war sie ja gar nicht im Jubiläumsreigen vorgesehen gewesen, doch als sie dann doch noch aufgenommen wurde, überstrahlte sie die Leipziger Disputation sehr schnell. Vielleicht, so vermutet Skadi Jennicke, weil sie eine Frau ist.
Natürlich, weil sie eine Frau ist. Was denn sonst? So viele Leipzigerinnen dürften ja gar nicht so berühmt werden wie Clara, als dass es so viel zu feiern gäbe. Die meisten hochtalentierten Töchter der Stadt blieben zeitlebens im Schatten ihrer Männer. Und mal ehrlich: So toll ist unsere heutige Erinnerungskultur an die hochbegabten Frauen in Leipzigs Geschichte auch nicht. Da fehlt was. Mit „weißen Flecken“ ist das Thema regelrecht untertrieben.
Was trotzdem die Vorfreude auf das, was in diesem Jahr zum Disputations-Jubiläum zu erleben sein wird, nicht mindert.
Disputiert wird auch. Und zwar mit einer berühmten Frau.
Aber als Luther 1519 mit seinen Wittenberger Studenten nach Leipzig kam, kam es auch zu einem Ereignis, das heute wie ein erstes mediales Blitzlicht in die Geschichte des Thomanerchores wirkt: Im Eröffnungsgottesdienst der Disputation am 27. Juni 1519 führten die Thomaner unter Leitung ihres Kantors Georg Rhau in der Thomaskirche eine zwölfstimmige Messe auf, bei der es sich vermutlich um Antoine Brumels Missa „Et ecce terrae motus“ handelte.
Und natürlich jährt sich auch das zum 500. Mal. Und Michael Maul, der Geschäftsführer des Bacharchivs, hat extra nachgerechnet, wann sich der Termin jährt. Denn zwischendurch wurde ja auch noch der Kalender umgestellt, wurden zehn Tage gestrichen, die den Gregorianischen vom Julianischen Kalender trennen. Also falle das eigentliche Jubiläum auf den 16. Juli, ist sich Maul sicher.
Und er ist happy, weil es damit auch mitten in das Bachfest 2019 fällt.
Und da gibt es eine Premiere der ganz besonderen Art.
Am 16. Juni 2019 veranstaltet das Bachfest Leipzig in Kooperation mit der Stadt Leipzig einen eigenen Thementag „500 Jahre Leipziger Disputation“. Der 16. Juni ist nicht zufällig gewählt, war er doch nach dem damals gebräuchlichen julianischen Kalender der Eröffnungstag der Disputation. Den musikalischen Höhepunkt des Tages bildet das Festkonzert mit der Missa „Et ecce terrae motus“ aus dem damaligen Eröffnungsgottesdienst, das um 17 Uhr in der Thomaskirche erklingt.
Diese Messe hat es in sich, denn es ist wahrscheinlich jene zwölfstimmige Ostermesse von Antoine Brumel, die der damalige Thomaskantor Georg Rhau auswählte und mit den Thomanern zu Gehör brauchte. Die Indizien dafür, dass es diese Messe war, sind stark, sagt Michael Maul. Dazu gehört auch, dass Rhau nur zwei Jahre Thomaskantor war und dann Luther nach Wittenberg folgte, wo er vor allem Musikverleger wurde. Und Brumel gehörte ganz sicher zu den Komponisten, die er verlegte.
Diese Messe, auch kurzerhand auf deutsch „Erdbebenmesse“ genannt, bezieht sich auf den Tag nach Christi Tod, als sein Grab leer aufgefunden wurde, der Stein davor war beiseite gerollt, die Erde hatte sich bewegt und er war auferstanden. Ein Auferstehungs- und Erdbebenmotiv, das man möglicherweise auch auf die Reformation beziehen kann. Vielleicht hatte das Rhau mitbedacht.
Als Michael Maul 2017 zwei der bekanntesten Leipziger Vokalensembles, amarcord und Calmus, darauf hin ansprach, ob sie die Messe aufführen wollten, waren sie sofort bereit. Am Dienstag, bei der Vorstellung des Programms zu 500 Jahre Leipziger Disputation, brachten sie schon einmal zu Gehör, wie es sich anhört, wenn beide Ensembles gemeinsam singen. Das grenzt schon an Zwölfstimmigkeit, auch wenn es erst einmal nur siebenstimmig war.
2018 spielten sie dann – verstärkt durch starke Frauenstimmen – nicht nur den Brumel ein, sondern ein richtiges Programm, das das Leipziger Streitgespräch auch musikalisch erlebbar macht. Im Grunde hört man sofort, dass die Reformationszeit auch eine Zeit des musikalischen Aufblühens war, der jubelnde Abschied von der Gregorianik, die zuvor Jahrhunderte dominierte und heute sehr zurückgenommen wirkt. Um 1500 herum entdeckten die Komponisten dann die Begeisterung für die Vier- und Sechsstimmigkeit. Auch das ein Sinnbild für das, was nicht nur Luther umtrieb: Die Welt sang jetzt nicht nur mit einer Stimme, sondern entdeckte ihre Vielfalt.
Am 8. März erschien die CD, sie war also zum Pressetermin im Bachmuseum noch pressfrisch.
Am 16. Juni wird ihr Inhalt in der Thomaskirche zu hören sein. Und noch viel mehr. Denn die Leipziger Vokalensembles amarcord und Calmus sowie Anna Kellnhofer und Isabel Schicketanz (beide Sopran) stellen ein regelrechtes Musikspektakel anlässlich des Jubiläums nach und disputieren auch auf musikalische Weise: mit allerhand Huldigungs- und Spottliedern auf Luther und den Papst.
Was auch Skadi Jennicke daran erinnert, dass die Disputation eigentlich bis heute auch Vorbildwirkung hat. Denn augenscheinlich haben viele Menschen vergessen, wie man miteinander streitet, ohne den anderen dabei völlig zu überrennen. Den Termin für das Konzert habe sie schon gebucht, sagt sie. Und den für die „richtige“ Disputation auch. Denn Leipzig veranstaltet ja auch seit zehn Jahren sehr heutige Disputationen mit streitlustigen Teilnehmern.
„Über zehn Jahre hinweg konnten wir das Disputationsprojekt als Kooperation zwischen der Kirchgemeinde St. Thomas, der Universität Leipzig und der Stadt Leipzig mit renommierten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gestalten“, sagt Thomaspfarrerin Britta Taddiken. „In diesem Jahr begegnen sich Herr Gysi und Frau Kramp-Karrenbauer. Dies ist zugleich Höhepunkt und erfolgreicher Abschluss der Serie.“
Skadi Jennicke warf vorsichtshalber das Wort „vorläufige“ ein. Denn das Format ist so zeitgemäß, dass es schade wäre, nun nach 2019 nicht mehr weiterzustreiten.
Eine Übersicht über alle wichtigen Termine zur „Leipziger Disputation“.
- bis 7. April in der Universitätskirche St. Pauli / Paulinum: Konferenz „500 Jahre Leipziger Disputation: Streiten lernen mit Luther – Reformationsgeschichte mit Gesellschaftsrelevanz“.
Was geschah bei der Leipziger Disputation Luthers in Leipzig vor 500 Jahren und welche Relevanz besitzt dieses Ereignis im gegenwärtigen kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Kontext? Die Wochenendtagung blickt zunächst in die Reformationsgeschichte und spannt den Bogen in die heutige Zeit, in der demokratische Debatten- und Streitkultur durch die Herausforderungen von Digitalisierung und Populismus besonders im Fokus stehen.
Anmeldung und weitere Informationen unter: www.leipzig2019.de und www.forumreformation.de
- bis 27. Juni im Neuen Rathaus, Untere Wandelhalle, Eröffnung am 4. Juni um 16 Uhr: Ausstellung DENK + MAL Luther Melanchthon.
Die Ausstellung berichtet über die vielfältigen Spuren von Luther und Melanchthon in Leipzig und stellt deren Bedeutung für die Leipziger Disputation heraus. Gezeigt werden zudem die Geschichte des Luther-Melanchthon-Denkmals in Leipzig sowie die Ergebnisse des künstlerischen Wettbewerbes zur Neugestaltung des Denkmals. Eine Ausstellung des Kulturamtes Leipzig.
- Juni: Thementag „500 Jahre Leipziger Disputation“ im Bachfest Leipzig
11:30 Uhr, Stadtführung, Treffpunkt: Tourist Information. Ein neues Lied wir heben an – Luther und Bach. Eine Veranstaltung der Leipzig Erleben GmbH.
13:15 Uhr, Neues Rathaus, Untere Wandelhalle: DENK + MAL Luther Melanchthon – Midissage. Musik der Reformation und Gegenreformation, mit Capella de la Torre, Leitung: Katharina Bäuml. Eintritt frei.
14 Uhr, Neues Rathaus, Untere Wandelhalle: DENK+MAL Luther Melanchthon – Führung durch die Ausstellung.
15 Uhr, Neues Rathaus, Festsaal: Festvortrag „doudecim vocum harmoneis conflatum“. Die Musik im Kontext der Leipziger Disputation 1519 – Vortrag von Prof. Dr. Jürgen Heidrich (Universität Münster).
17 Uhr, Thomaskirche, der musikalische Höhepunkt: Festkonzert 500 Jahre „Leipziger Disputation“ mit amarcord, Calmus und Anna Kellnhofer (Sopran) und Isabel Schicketanz (Sopran). Zu erleben sind: Antoine Brumel: Missa „Et ecce terrae motus“ sowie Motetten, Choräle und Spottlieder aus der Zeit der Reformation von J. des Préz, L. Senfl, J. Walter u. a.
- Juni, 20 Uhr, Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli: Leipziger Disputation „Mit Religion Staat machen“. Es diskutieren Gregor Gysi und Annegret Kramp-Karrenbauer in der Moderation von Heike Schmoll (FAZ). Begleitet wird die Veranstaltung von Ausschnitten der zwölfstimmigen Messe „Et Ecce Terra Motus“ von Antoine Brumel – in einer musikalischen Disputation der Ensembles Calmus und amarcord. Eintritt frei
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Auf CD erschien die „Erdbebenmesse“ bereits am 8. März (Carus). Ergänzt wurde die Aufnahme mit dem ebenfalls zwölfstimmigen „Agnus Die“ aus der Missa „Tempore Paschali“ von Nicolas Gombert, dem siebenstimmigen „Beati immaculati in via / Vive Luthere“ von Johann Walter sowie Werken für vier bzw. fünf Stimmen von Thomas Stoltzer, Cipriano de Rore, Josquin des Préz und gregorianischen Gesängen. Im Konzerthaus Berlin (7. November) kommt das Programm ebenfalls zur Aufführung.
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