Frauen werden immer wieder vergessen. Auch von Frauen. Zumindest ist keine einzige Stadtratsinitiative bekannt, in diesem Jahr auch die Frau zu würdigen, die einmal mehr war als nur die Muse Max Klingers. Tatsächlich war Elsa Asenijeff eine streitbare und moderne Frau, die mit ihrem Anspruch an Gleichberechtigung auch mit der bärtigen Männerwelt ihrer Zeit immer wieder kollidierte.

„Wir Frauen sind Geschöpfe der immerwährenden Kraftvergeudung“, zitiert die Homepage der Stadt Leipzig aus einem ihrer Bücher. Und schon ihre Ankunft in Leipzig hatte mit ihrem Anspruch zu tun, ein selbstständiges und gleichberechtigtes Leben führen zu können: „Über Paris kam sie nach Leipzig, um hier Philosophie bei Johannes Volkelt und Psychologie bei Wilhelm Wundt zu studieren“, liest man da, formuliert von Rita Jorek. „Als Ausländerin war ihr das nach sächsischem Gesetz möglich. In einem langen Brief an den Professor Karl Bücher befasste sich die Studentin im Januar 1896 mit der Situation der Frauen, die, von Studium und Berufstätigkeit weitgehend ausgeschlossen, keine den Männern gleichwertigen Leistungen vollbringen konnten (Universitätsbibliothek Leipzig, Handschriftenarchiv, Taut, Nachlass 181). (…) Ihre Bücher, die zunächst alle in Leipzig erschienen, machten sie bekannt und sie wurde bald als Schriftstellerin akzeptiert.

Und dann kam diese schicksalhafte Begegnung mit Max Klinger, den sie kurz vor 1900 bei einem Festessen der Literarischen Gesellschaft für Detlev von Liliencron und Frank Wedekind kennenlernte. Sie war mittendrin in den modernen Literatur- und Kunstströmungen ihrer Zeit.

„Die Liebesbeziehung zum Bildhauer, Maler und Grafiker Max Klinger (1857-1920) fand ihren Niederschlag in Gedichten, die zunächst noch ziemlich pathetisch den Mann als Helden feiern. Vor allem die platonische Hinwendung zu dem Dresdner Unternehmer und Stifter des Hygienemuseums Karl August Lingner (1861-1916) ließ ihre Liebeslyrik darüber hinaus zum individuellen Ausdruck weiblicher Erotik reifen“, liest man da weiter in ihrer kurzen Würdigung auf der Homepage der Stadt.

„,Die neue Scheherazade‘ (1913) und ‚Hohelied an den Ungenannten. Lyrischer Roman‘ (1914) hätten als Zeugnisse expressionistischer Literatur in die Geschichte eingehen müssen, zumal Elsa Asenijeff seit 1909 den Dichterjünglingen Walter Hasenclever und Kurt Pinthus zur wichtigen Anregerin geworden war“, betont Rita Jorek, die seit 1990 dafür kämpft, dass Elsa Asenijeff endlich einen Platz in der Erinnerungskultur der Stadt bekommt.

„Sie nahm damals in Leipzig eine ähnliche Position ein wie die gleichaltrige Else Lasker-Schüler in Berlin. Diese kannte und bewunderte sie, was durch Briefe belegt ist. Die kleine Anthologie ‚Neuer Leipziger Parnass‘ mit Gedichten von Asenijeff, Hasenclever, Pinthus und Ulrich Steindorff, von Kurt Pinthus für den Leipziger Bibliophilenabend 1912 herausgegeben, kann als Begründung des literarischen Expressionismus in Leipzig betrachtet werden. Mit ‚Aufschrei‘ (1922) gab sie ihrer Enttäuschung und Wut über den Mann Ausdruck, der die Welt vernichtet durch Krieg, Machtgebaren und industrielle Produktion.“

Büste und Gemälde von Elsa Asenieff im Museum der bildenden Künste. Foto Sibylle Kuhne
Büste und Gemälde von Elsa Asenijeff im Museum der bildenden Künste. Foto Sibylle Kuhne

Leipzigs wichtigste Expressionistin – und die Stadt kümmert es nicht. Nicht mal im Jahr ihres 150. Geburtstags war das Thema. Das wäre 2017 gewesen.

Fast hätte man geschimpft: Warum gibt es eigentlich keine Gedenktafel an dem Haus, in dem sie lange Zeit lebte, in der Dufourstraße 18? Das Haus ist wohl ein Bombentreffer gewesen. Es steht nicht mehr.

Wer Elsa Asenieff in Leipzig sucht, geht wohl wirklich am besten ins Bildermuseum in die Klinger-Abteilung, wo das große Ölbild und die Skulptur von ihr zu sehen sind, die Max Klinger geschaffen hat. So hat sie sich in die Muse verwandelt, als die sie heute noch im Gedächtnis ist.

Und ihre Bücher?

Stille im Wald. Würde Rita Jorek nicht immer wieder an die Vergessene erinnern, sie wäre gar nicht da. Nur eine schöne Frau in Klingers Werken. 2010 hat Rita Jorek einen Band mit Asenijeff Gedichten veröffentlicht: „Bilanz der Moderne“.

„Der Erste Weltkrieg zerstörte Elsa Asenijeffs literarische Pläne und ihre vielen Beziehungen zu Schriftstellern und Künstlern. Wegen einer geringen Geldschuld wurde sie vor Gericht gezerrt und als Ausländerin beschimpft“, erzählt Rita Jorek in ihrem Text von 2014. „Die uneheliche Tochter von Asenijeff und Klinger, Désirée Ottima (1900-1973), die wegen Klingers Reputation bei einer Pflegemutter in Paris aufwachsen musste, konnte nicht mehr besucht werden. Auch zu ihrem Sohn Theophil Heraklit Nestoroff (1896-1941) und zu ihrer Mutter in Wien, die ihn betreut hatte, sowie zu den Schwestern in Linz und Sarajewo gab es keine direkte Verbindungen mehr.

Nachdem Max Klinger todkrank im November 1919 eine andere Frau geheiratet hatte und bald darauf am 4. Juli 1920 gestorben war, blieb Elsa schutzlos und ziemlich mittellos zurück. Entmündigungsverfahren wurden angestrengt. Aufgrund von Textexpertisen und Zeugenaussagen wurde sie ohne Anhörung 1921 wegen Querulantentums entmündigt und zwei Jahre später in psychiatrische Anstalten gesperrt. Von der Universitätsnervenklinik Leipzig kam sie nach Dösen, dann in die Landesanstalt Hubertusburg. All ihre Habe war vom Vormund verkauft worden, darunter auch Klinger-Briefe und Kunstwerke.“

Das Museum der bildenden Künste Leipzig besitzt den Gips und einen Bronzeabguss der Porträtbüste von Asenijeff, das Gemälde „Elsa Asenijeff“, Manuskripte und Briefe.

Die Veranstaltung, die jetzt an das Schicksal der Jubilarin erinnert, findet freilich nicht im Bildermuseum, sondern in der Galerie Koenitz am Dittrichring statt.

Wer eine außergewöhnliche Frau kennenlernen möchte, die zu Unrecht vergessen und nicht gedruckt ist, der kann sich den Termin vormerken.

Tipp:

„Ich will selber mein Schicksal sein. Elsa Asenijeff. Schriftstellerin – Dichterin – Philosophin“, ein musikalisch-literarisches Programm mit Sibylle Kuhne (Wort) und Brunhild Fischer (Musik) am Donnerstag, 31. Mai, um 19 Uhr in der Galerie Koenitz, Dittrichring 16, Tel. (0341) 9999658. Eintritt: 10 Euro

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