Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Oder mit den Worten von Lene Voigt: „Nu grade!“ Es gibt solche kleinen (sommerlich warmen) Termine im Jahr, die einen als Bewohner eines etwas scheel angeschauten Landes daran erinnern, dass man mit Ningeln und Mimimi nicht wirklich irgendetwas erreicht. Damit geht man den Leuten nur auf die Nerven und zeigt ihnen, dass einem eigentlich das Wichtigste fehlt: Selbstbewusstsein. Sächsisches.
So ein Termin war am Dienstag, 29. Mai, wieder im Kabarett Sanftwut, wo die Lene-Voigt-Gesellschaft nun seit einigen Jahren gern gesehener Gast ist. Anfangs mit dem Vortragswettbewerb um die Gaffeeganne, bei der Erwachsene mit dem Vortrag von Texten von Lene Voigt brillierten. Und dann kam der Wettbewerb für die Kinder dazu: das Gaggaudebbchen. Und die Jury der Lene-Voigt-Gesellschaft kringelte sich dabei jedes Mal vor Freude. Denn die Kinder machten immer wieder mit beherzter Freude an Lenes Texten hörbar und erlebbar, dass in diesen Texten die ganze, wirklich die ganze Seele der Leipziger steckt.
Ganz bewusst: der Leipziger.
Denn ein Riss geht schon lange mitten durch Sachsen. Mental sowieso. Und das prägt auch das Idiom. Und die Haltung zur Welt. Leipziger ningeln nicht. Nicht mal dann, wenn es ganz dicke kommt. Lene Voigt schreibt zwar: „Was Sachsen sin vom echten Schlaach, die sin nich dod zu griechn…“
Aber eigentlich meint sie damit ihre ganz speziellen Sachsen. Die Leipziger. Das Gedicht „Unverwiestlich“ wurde zwar am Dienstagnachmittag nicht vorgetragen. Aber es hätte gepasst. Denn so arbeitet die Lene-Voigt-Gesellschaft. So arbeiten auch die unermüdlichen Lehrerinnen (nicht nur in der Lene-Voigt-Schule in Lößnig), die die wenigen Freiräume, die sie haben, dazu nutzen, den Kindern neben der ganzen störrischen Klassik auch ein wenig von ihrer Heimatsprache und ihrer Dichtung nahezubringen.
An der Lene-Voigt-Schule hat das Tradition. Da wird auch mancher schüchterne Junge mit lehrerlicher Strenge herangeführt an den kessen Stoff der „Leipziger Nachtigall“, auch wenn man diesmal noch merkte, dass die Sache mit den Mädchen auch in der 7. Klasse noch nicht so ganz einfach ist. Das Gedicht „An Minnan“ kann man wohl erst so richtig mit Verve vortragen, wenn man wirklich erst mitgekriegt hat, dass es auch Mädchen gibt, die flatterhaft wie Schmetterlinge sind.
Manches, was bei Lene Voigt so verspielt klingt, ist das blanke, beulenbringende und tränenverlachende Leben.
Aber dafür war Klaus Petermann stolz, der Vorsitzende der Lene-Voigt-Gesellschaft, denn der Sanftwut-Saal war gut gefüllt, es hatten sich mehr Kinder als im Vorjahr angemeldet (dafür fehlten wieder die Delitzscher). „Und nächstes Jahr werden es noch mehr“, ist er sich sicher. Denn er rackert, um Werbung zu machen an Leipziger Schulen. Denn Sächsisch gehört in den Unterricht. Dass das in Sachsen nicht selbstverständlich ist, findet er eigentlich unverständlich. In anderen Bundesländern hat das heimische Idiom ganz selbstverständlich einen Platz im Lehrplan. Kinder, die die sprachlichen Wurzeln ihrer Heimat nicht kennenlernen, lernen auch nie die Schönheit der eigenen kulturellen Herkunft kennen.
Und dass das Leipziger Sächsisch mehr kann als das Hochdeutsche, hat Lene Voigt zur Genüge bewiesen. Oft genug entspringt der ganze Witz ihrer Gedichte genau aus diesem markanten Unterschied. Und selbst in den von Kindern so gern vorgetragenen Gedichten wird es erlebbar. Deswegen gibt es auch kaum ein „Gaggaudebbchen“ ohne „De Gogosbalme“, die diesmal Henrik Hase aus der Adam-Friedrich-Oeser-Grundschule in Eutritzsch vortrug.
Das Achtungszeichen: Der Junge geht noch in die erste Klasse. Man versteht Klaus Petermanns Hoffnung: Jetzt fangen die Kleinen an und entdecken diese Gedichte in ihrer ganzen Alltagsschönheit. Und natürlich gehört Mut dazu, vor so vielen Leuten auf die Bühne zu gehen und selbstbewusst zu sprechen.
Am Ende gab’s auch noch ein tapferes Kindergartenkind – Joshua Petermann hatte einfach zugehört, wenn Klaus Petermann für seine Auftritte probte. Und so nebenbei lernte er dabei einfach mal die „Tragödie in der Speisekammer“ auswendig. Aber dann kam das Lampenfieber … Wer kennt es nicht?
Deswegen haben natürlich alle Schüler einen Vorteil, die schon ein paar Mal dabei waren beim Wettbewerb. Da wächst das Selbstvertrauen. Und wer sich selbst vertraut, der beginnt auch, aus den Texten den schönsten Lebenswitz herauszukitzeln und Lene Voigt mit Begeisterung vorzutragen.
Und da das (neben dem stolperfreien Vortrag und der guten sächsischen Aussprache) ebenfalls bepunktet wird, hatten natürlich die selbstbewusstesten Vortragskünstler am Ende auch das einhellige Votum der Jury. Und mit Lisa Behr, die „Dr sibbzichste Geboortsdaach“ vortrug, war natürlich eine Kandidatin auf der Bühne, die ihre Lene Voigt längst mit inniger Souveränität vorträgt.
Und man merkt schon, dass sich die Herausgeberarbeit der Gesellschaft und der Connewitzer Verlagsbuchhandlung bezahlt macht: Dieses Gedicht gehört schon zu den neueren Fundstücken. Und natürlich schwankt man – hat es die Lisa nun ausgesucht, weil das gerade mal wieder Familienthema war? Es soll ja in so mancher Familie noch ganz ähnlich zugehen, wenn Opa seinen 70. feiert und die Gäste einfach nicht kommen. Vielleicht, weil sie die falsche Straßenbahn – pardon: Bimmel – genommen haben.
Bei Lisa Behr liegt die Begeisterung für Lene Voigt auch irgendwie in der Familie. Denn mit Leni Behr hatte sie auch gleich ihre kleine Schwester mit, die noch die 2. Klasse in Markkleeberg-West besucht. Und das Publikum kringelte sich, als sie mit strahlendem Selbstbewusstsein „Im Ginderwaachen“ vortrug. Womit es natürlich am Ende das Novum gab: Gleich zwei Gaggaudebbchen gab es diesmal für Familie Behr. Bunte große Tassen übrigens, die Klaus Petermann extra aus Eibenstock mitgebracht hatte. Mit einem Vers aus „Im Deader“ drauf”.
Das dritte Gaggaudebbchen erkannte die Jury übrigens einhellig Hjalmar Hase aus der Adam-Friedrich-Oeser-Grundschule zu. Der Junge aus der 4. Klasse hatte sich tatsächlich an die Ballade „Dr Handschuk“ gewagt, eine echte Leistung. Beinah hätte er auch einen echten Tiger mit auf der Bühne gehabt. Aber der kleine Tiger fürchtete sich und blieb lieber unten.
Natürlich sind es immer Lehrer und Lehrerinnen, die solche Grundlagen legen und die Kinder heranführen an diese Texte. Und Klaus Petermann ist sich sicher, dass die emsige Werbearbeit mit der Zeit Früchte tragen wird. Denn gerade arbeiten ja Lene-Voigt-Gesellschaft und Connewitzer Buchhandlung an einem Buch, das Lehrern den Einstieg erleichtern soll: Einem Schullesebuch zu Lene Voigt, das – so wünscht es sich Klaus Petermann – bald in allen Leipziger Schulbibliotheken steht. Vielleicht sogar als ganzer Klassensatz, sodass die Deutschlehrer die Leipziger Dichterin einfach mal einbauen können in ihren Unterricht.
Und eine Erinnerung an die legendären Wettbewerbe um die Gaffeeganne wird es in diesem Jahr auch geben, wenn auch keine Wiederauflage des Wettbewerbs. Immerhin jährt sich ja die Austragung des 1. Gaffeeganne-Wettbewerbs zum 20. Mal. Da wünscht sich die Lene-Voigt-Gesellschaft natürlich einen vollen Saal mit allen, die jemals dabei waren. „Und vorgetragen wird natürlich auch“, sagt Petermann. Das soll dann wieder im Herbst passieren.
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