Das nennt man konsequentes Marketing. Alle Welt feiert Ostern und in die Redaktion flattert ein Osterpäckchen. Wieder aus dem Leipziger Ratskeller, wo man sich entschlossen hat, die rustikale Gaststube im Neuen Rathaus offensiver zu vermarkten. Dass dabei ein 520 Jahre alter Rauschebart eine Rolle spielt, ist nur konsequent. Er ist ja irgendwie der Geist des Hauses: Lotters Geist.
Gebaut hat er es zwar nicht. Das Neue Rathaus wurde ja erst vor etwas über 100 Jahren nach Plänen von Hugo Licht errichtet. Eine neue Burg, wie am Eingangsbereich des historistischen Großbaus zu lesen steht. So recht Abschied nehmen von ihrer Burg wollten die Leipziger irgendwie nicht, als 1897 die alte Pleißenburg abgerissen wurde. Übrig blieben die gewaltigen Kasematten im Tiefgeschoss und das Fundament des Burgturms. Immerhin: fest gemauerte Zeugnisse der alten kurfürstlichen Pleißenburg, die der Leipziger Bürgermeister Hieronymus Lotter hier ab 1549 errichten ließ. Das alte Schloss der Herzöge und Kurfürsten, das zuvor hier gestanden hatte und in dem die Disputation zwischen Luther und Eck 1519 stattfand, war ja im Schmalkaldischen Krieg 1547 zerschossen worden. So gründlich, dass Herzog Moritz lieber gleich neu bauen ließ – eine Festung statt eines Schlosses. Deshalb die gewaltigen Kasematten, in denen allerlei Kriegsmaterial gut gelagert werden konnte.
Die sind heute noch zu besichtigen. Manchmal nimmt Hieronymus Lotter alias Karsten Pietsch die Teilnehmer seiner Rathausführungen mit hinunter. Geheiratet werden kann dort unten mittlerweile auch – zumindest die Trauzeremonie kann in anheimelnder Kelleratmosphäre stattfinden.
Lotter ist also alleweil präsent in dem Bau.
Dass er zum Schutzheiligen des Ratskellers wurde, ist neueren Datums. Dafür haben Ingo Winkler und Jan Woithon gesorgt, die nicht nur eine eigene Brauerei mit eigenem Braumeister eingerichtet haben in den Kellergewölben, wo nun auch Lotteraner-Bier gebraut wird. Auf dem Etikett prangt – wie zu erwarten – das Konterfei von Hieronymus Lotter. Aber auf der Getränkekarte hat sich mittlerweile ein ganzes Lotter-Sortiment eingefunden. Neben dem recht exklusiven Lotter-Wasser (das hoffentlich nicht aus der Pleiße stammt) gibt es schon ein ganzes Sortiment von Hochprozentigem unter der Dachmarke „Lotters Geist“ – vom Allasch über den Kräuterlikör bis zum nun per Päckchen eingetrudelten Premium Eierlikör. Entdeckt wurde auch schon ein Lotter-Wein aus dem Saale-Unstrut-Gebiet, aber auch eine reichhaltige Lottertorte. Der Bursche hätte Augen gemacht, wenn er das noch erlebt hätte, denn es ist eine „Biskuittorte mit einem dunklen Schokoladenüberzug und einer Füllung aus Himbeeren, weißer und dunkler Schokoladenganache“.
Lotter muss also – wenn man das so betrachtet – eine ganz schöne Schnasselnase gewesen sein. Ob freilich Eierlikör zu seinen Osterbräuchen gehörte? Wohl eher nicht. Die Forschungen zur Frühgeschichte des Eierlikörs verweisen nach Südamerika. Im 17. Jahrhundert versuchten ein paar Holländer, ein süßes und alkoholhaltiges Getränk der Ureinwohner vom Amazonas nachzuempfinden. Sie ersetzten dabei die Avocado durch Hühnereier. Andere Legenden sehen den Entstehungsweg eher über die Linie Mexiko – Spanien. Aber beides erst im 17. Jahrhundert, als die Mitteleuropäer dabei waren, sich gegenseitig zu brandschatzen.
Hieronymus Lotter hat mit ziemlicher Sicherheit keinen Eierlikör kredenzt bekommen von seiner Eheliebsten Katharina, geborene Bauer, Tochter des Ratsherrn Johannes Bauer. Eher ordentlich importiertes Bier und importierten Wein. Überhaupt war das 16. Jahrhundert in Leipzig ganz bestimmt noch kein süßes. Wenn man süßte, dann meist noch mit Honig oder Obst. Rohrzucker war rar und kostbar und wurde fast nur als Arzenei verwendet. Keine gute Ausgangsbasis für Eierlikör also, wenn sich die Lotters gern einen Eierlikör bereitet hätten.
Da war es mit Hasen als Osterbraten wesentlich einfacher – oder Lamm oder Fisch aus der Pleiße.
Seit 1898 heißt übrigens die kleine Straße, die das Neue Rathaus vom Stadthaus trennt, Lotterstraße. Pünktlich zum 400. Geburtstag von Hieronymus Lotter hat man sie so benannt, auch wenn nicht ganz klar ist, ob er nun 1497 oder 1498 geboren wurde.
Und es gibt nur eine einzige offizielle Adresse an dieser Straße: die Lotterstraße 1.
Das ist der Ratskeller Leipzig.
In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer
https://www.l-iz.de/bildung/medien/2017/04/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108
Keine Kommentare bisher