Am Samstag, 3. September, feierte die Georg-Schumann-Straße wieder „Nacht der Kunst“, die siebente mittlerweile, die den Blick darauf lenken soll, dass an dieser ellenlangen Magistrale was passiert. Etwas anderes als anderswo, etwa an der „KarLi“ im Süden oder der „Kö“ in Schleußig. Was auch damit zu tun hat, dass hier Lebenswelten aufeinander treffen. Das muss gestaltet werden.
Nicht immer glücklich. Auch die Georg-Schumann-Straße hat ihr Magistralenmanagement, große Pläne sowieso, manchmal aber auch Konflikte mit einer Stadtverwaltung, die ihre eigenen Vorstellungen hat von dem, was gebaut werden soll und was nicht. Was dann zuweilen zu so unglücklichen Lösungen führt wie dem „Möckernschen Platz“, der eher ein Gedenkort für karge Betonwellen geworden ist, oder dem Platz an der Huygensstraße, auf dem in den letzten beiden Jahren versucht wurde, nachträglich noch ein bisschen Leben und Kunst zu implementieren. Aber auf diesem Steinpflaster hat nicht mal das tapferste Pflänzchen eine Chance. Die Kunstprojekte verschwinden. Der Platz bleibt so unnahbar wie zuvor. Als hätte die Verwaltung hier mal zeigen wollen, wie viel Abschreckung man mit gutem Granit schaffen kann.
Das freut zumindest die Polizei.
Deswegen hat sich der Bildhauer Christoph Hundhammer für dieses Jahr dann doch lieber ein anderes Plätzchen zur Aufstellung seiner neuesten Skulptur gewünscht. Auf dem Huygensplatz hatte er seinerzeit eine Pferdeskulptur aufgestellt, die verschiedene Dinge assoziierte – die jahrhundertealte Rolle der Handelsstraße, die hier entlangführte und Leipzig mit den Messestädten im Westen verband, ein wenig spielte die Gestaltung auch mit dem Don-Quijote-und-Rosinante-Motiv. Und man konnte durchaus auch an das Trojanische Pferd denken, als das sich auch dieser Platz entpuppt hat.
Was passieren kann in einer Stadt, in der Mancher seine Eigeninteressen verfolgt, das aber nicht immer dazusagt.
Dafür steht auch jener kleine grüne Platz an der Ecke Lützowstraße/Georg-Schumann-Straße, wo am Freitag die neue Skulptur von Christoph Hundhammer aufgestellt wurde. 100 Meter stadteinwärts befindet sich die Brachfläche, wo die Leipziger Ahmadiyya-Gemeinde eine kleine Moschee bauen will. Als die Pläne 2013 bekannt wurden, nutzten es Leipzigs Rechtsradikale, um binnen weniger Tage eine aggressive Stimmung aufzubauen, die sich auch im Internet austobte. Natürlich als Trojanisches Pferd, auf das dann auch hunderte Bürger aus dem eher konservativen Spektrum aufsprangen. Einige Medien schürten regelrecht die Angst vor dem Bauwerk und der Gefahr, die davon ausgehen sollte, eifrig flankiert von den Beiträgen einiger Politiker, die bei solcher Stimmungsmache keine Grenzen mehr kannten in ihrer verbalen Brandstifterei.
Das war der Zeitpunkt, als die Gohliser Zivilgesellschaft sich zusammentat und dieser Möchtegern-Bürgerinitiative „Gohlis sagt Nein“ gemeinsam mit mehreren Aktionen entgegentrat, in denen die Beteiligten zeigten, dass ein friedliches Zusammenleben nur mit Toleranz und Respekt für alle möglich ist.
Ein Ergebnis dieses Engagements war dann am 28. September 2015 die Aufstellung einer Holzskulptur, die unter Anleitung des Künstlers Joachim R. Niggemeyer entstanden war. Sie steht auf der Grünfläche vor dem ehemaligen Plattenbau der Erich-Kästner-Schule und lädt zum Nachdenken ein, wie der Bürgerverein Gohlis das Anliegen dieser Skulptur mit dem Titel „Denk mal!“ formuliert: „Ihre Gestaltung lädt ein zur Interaktion, zum Perspektivwechsel und Rollentausch. Die Nutzung der Reliefs regt zum Nachdenken über Stereotype an und macht die wechselseitigen (Vor-)Urteile sichtbar.“
Und damit kommuniziert auch die von Christoph Hundhammer gestaltete Plastik, die auf der Grünfläche auf der anderen Seite der Straße vorübergehend ihren Platz gefunden hat. Zumindest für eine Woche darf sie dort stehen. Und die Organisatoren der „Nacht der Kunst“ betonen extra, dass es wirklich genau so gemeint ist: „Nicht erst seit Pegida und Legida entlädt sich verbale Gewalt – und nicht nur diese – auf den Straßen in Sachsen. So fanden auf der Georg-Schumann-Straße 2013 Proteste gegen die geplante Moschee statt, weitere Aktionen folgten. Politiker und Medien sprachen gar von Straßenterror, der hier stattfindet. Im Mittelpunkt der Projekte stehen daher drei künstlerische Arbeiten, die durch die Annäherung an das Thema ‚Gewalt‘ inhaltlich miteinander verbunden sind.“
Eine davon ist die von Christoph Hundhammer geschaffene Skulptur auf der Freifläche an der Kreuzung Lützowstraße/Georg-Schumann-Straße, die die biblische Geschichte um Judith und Holofernes aufgreift.
Man sieht eine aufrecht stehende Frauengestalt, die hinunterschaut auf einen großen Männerkopf.
Wer in der Bibel – und zwar im Alten Testament – nachschaut, merkt, dass das eine erstaunlich heutige Geschichte ist, denn der assyrische Feldherr Holofernes wurde vom babylonischen König Nebukadnezar II. ausgesandt, alle Völker im vorderen Orient zu bestrafen, die ihn nicht in seinem Krieg gegen die Meder unterstützt hatten. Holofernes’ Kriegszug war eher kein gewöhnlicher Eroberungszug, sondern ein einziges Rauben, Plündern, Brandschatzen und Morden. Man fühlt sich bei diesem Berserker schon sehr an den heutigen IS erinnert. Als er gerade dabei ist, die befestigte Stadt Betulia zu belagern und verdursten zu lassen, entschließt sich die schöne Witwe Judith, mit ihrer Magd und einer Kanne Wein zu Holofernes zu gehen, der sich von der schönen Frau dann auch betören lässt, die Diener aus dem Zelt schickt und sich am schweren Wein berauscht. Als er so besoffen darniederliegt, haut ihm Judith den Kopf ab und verlässt mit dem abgeschnittenen Kopf das Lager. Entsprechend kopflos sind am nächsten Tag die Truppen des Holofernes – sie ziehen ab und Betulia ist gerettet.
Es ist so eine typische Geschichte, die gleich mehrere Geschichten und Deutungen in sich trägt.
Was dann mit Hundhammers Skulptur noch verwirrender wird, denn diese Judith hat weder ein Schwert noch Arme. Aber der Kopf des Holofernes ist schon ab. Sie schaut also auf den Besiegten hinunter, der Besiegte scheint zu ihr aufzuschauen und sich dabei seine Gedanken zu machen. Sind es lüsterne? Oder will er aus seinem Fehler lernen? Steckt in diesem Holofernes-Kopf schon die Radikalität späterer Dschihadisten, die auch auf Frauen und Kinder keine Rücksicht mehr nehmen und nur noch zerstören, um des Zerstörens willen?
Das „Buch Judit“ gehört nicht zu den Büchern, die in die Luther-Bibel mit aufgenommen wurden. In den katholischen Bibeln und in Apokryphen-Sammlungen ist es enthalten. Da kann man dann lesen, dass die Sache nicht ganz so flott vonstatten ging, dass Judit drei Tage im Lager des Holofernes aushalten musste. Erst nach einem Gastmahl am dritten Tag, als Holofernes seiner Beute endlich habhaft zu werden glaubt, aber halt zu viel Wein getrunken hat, kommt sie zum Zug. Man erfährt auch noch, dass Judit sich im Gebet allen Mut holen musste, um den schlafenden Feldherrn dann mit zwei kräftigen Hieben zu enthaupten und dann den Kopf ihrer Dienerin zu geben, die ihn verstaute, und beide konnten das Lager ungesehen verlassen.
Das hätte also auch schiefgehen können. Nicht alle Holofernesse sind so leichtgläubig.
Und die Gegenwart ist voller Holofernesse. Noch eine Woche kann man vor der in Holz gehauenen Szene stehen und sich so seine Gedanken machen.
Auch ein anderer Teil der „Nacht der Kunst“ ist in den nächsten Tagen noch erlebbar.
Denn Erneut findet in diesem Jahr die „Nacht der Kunst-Auktion“ statt, an der 37 KünstlerInnen mit Fotografien, Gemälden, Grafiken und Skulpturen beteiligt sind. Die Werke können bis Mittwoch, 7. September, im Auktionsraum in der Georg-Schumann-Straße 130 besichtigt werden. Während des Abschlussabends zur NdK am 7. September werden um 19:30 Uhr die Ergebnisse bekanntgegeben. Der Erlös geht zu jeweils 50 Prozent an die „Nacht der Kunst“ und die beteiligten KünstlerInnen.
Die Öffnungszeiten des Auktionsraums in der Georg-Schumann-Str. 130 neben Café „homeLE“: 5. bis 6. September 15:00-18:00 Uhr, 7. September 16:00-19:00 Uhr, ab 19:30 Uhr Bekanntgabe der Ergebnisse während der Abschlussveranstaltung.
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