Ein Straßenmusikfestival im Sommer 1989 schien die Politik der DDR zu gefährden, so dass die Staatsmacht die Straßenmusik unterband, Musiker in Gewahrsam nahm. Kurt Masur lud sich Publikum und Leute ins Haus ein, die Verantwortung tragen würden oder tragen sollten. Im Hauptfoyer wurde es eng, auch auf den Treppenstufen reichten die Sitzplätze nicht aus.

Kurt Masur ließ nicht locker, er wollte Straßenmusik ermöglicht sehen, im Einverständnis mit Staat, Stadt und Verwaltung. So begann eine ganz neue Reihe mit Kurt Masur als Hausherren, Gastgeber, Moderator. Und heute würde man sagen: als Mediator. Hatten die Architekten des Foyers an so etwas gedacht? Es funktionierte. Es war noch kein runder Tisch. Vor der Saal-Rückwand war das Podium. Da, wo ein Wandbild von der DDR-Zensur verboten, 1981 verkleidet und verdeckt worden war. Ausgerechnet dort konnte der Dialog beginnen. Über die Freiheit der Kunst, die Straße, die Musiker.

Monate später, und als hätten sich schon eiserne Vorhänge gehoben, las hier, im Foyer des Gewandhauses, Rolf Hentrich aus seinem Buch „Der vormundschaftliche Staat“.

Jährlich gab es Besucheraussprachen zur Vorstellung des Konzertprogramms der nächsten Saison. Auslastungszahlen standen noch nicht im Vordergrund. Es gab begehrte und ausverkaufte Veranstaltungen. Und mancher Abend Neuer Musik war eben weniger begehrt, und hatte seine Fans. Gerhard Rühm hat sogar Bücher verschenkt: „Verkaufen kann ich sie ja hier nicht!“

Da war die Leiterin der Gewandhauskasse schon mal überrascht, als ein Journalist sie fragte, ob es denn verfügbare Anrechte gäbe. „Ja, man kann immer wieder nachfragen…“, war die Antwort. Es wurden zuweilen Erhöhungen der Eintrittspreise verkündet und eine Besucherin war besorgt: „Wenn die Leute aber kein Geld mehr für Konzerte übrig haben?“ Kurt Masur verstand und gab Hoffnung: „Man kann auch miteinander befreundet bleiben, wenn man sich eine Weile nicht sieht.“

Hausmusik

Wenn Kurt Masur sprach, dann war das eine Person und eine Institution. Das war so, wenn er vor einem Saal voller Leute sprach wie auch im persönlichen Gespräch, mit oder ohne einem Rundfunk-Mikrofon dazwischen. Fragte man ihn nach Hoffnungen, so sprach er vom musikalischen Nachwuchs und wünschte sich, dass mehr Hausmusik gemacht werden möge! Und da war neulich ein „Hausmusiktag“, angeregt von der Notenspur-Initiative, an dem man gar nicht mal nur zu Hause und in Familie, sondern an allen nur möglichen Orten musizierte.

Das gerettete Mendelssohn-Haus. Foto: Ralf Julke
Das gerettete Mendelssohn-Haus. Foto: Ralf Julke

Wenn nun die Rede ist von der Ehrung Kurt Masurs im öffentlichen Raum, so will man Bertolt Brechts Rat variieren: „Sie ehrten ihn, in dem sie der Leipziger Musik nützten und damit sich selbst nützlich waren“. Ein Saal in der Musikschule Leipzig „Johann Sebastian Bach“ heißt schon längst „Kurt-Masur-Saal“ und ist damit ein Wegweiser zu allen Konzertterminen. Ein Leipziger Hausmusiktag in Gedenken an Kurt Masur, das wäre ein Fest für alle Beteiligten.

Kurt Masurs Gewandhaus-Familie

Gewandhauskapellmeister Kurt Masur dirigierte das Publikum mit. Sein Handzeichen gebot Ruhe bis zum Ausklingen des letzten Taktes im Nachhall des Saales. Erst dann baute sich die Applauskulisse auf. Dazu gehört auch die Story, dass er Sponsoren mal um Hustenbonbons gebeten hat, zumal auch schon Tonaufnahmen nicht freigegeben worden waren, wie Toningenieur Lothar Thomalla erzählte, „weil das Publikum einfach zu laut war!“

In seiner Zeit als Gewandhauskapellmeister war Kurt Masur zugleich Staatlicher Leiter des Gewandhauses. Eine Serie in der Zeitung „Wir in Leipzig“ war der „Gewandhaus-Familie“ gewidmet. Volker Stiehler hatte die Arbeitsverträge gewechselt, um dieser Familie treu zu bleiben. War er zunächst der Bauleiter, wechselte er dann in die Gewandhaus-Technik-Direktion und studierte noch einmal neu.

Neben der privaten Masur-Familie war in der Gewandhausfamilie eine engagierte Frau an seiner Seite in Sachen Büro, Protokoll und Organisation, Christa Kalb, vormals Röder-Heyner. Über die Liebe zur Musik und Chorgesang war sie zum Orchester gekommen, dessen Verwaltung damals noch im Romanushaus saß.

Anfang der 1990er Jahre fragte ein Leipziger Journalist an, ob sie über ihre Arbeit in der „Gewandhaus-Familie“ Auskunft geben würde. Sie hat erst ihren Chef um Genehmigung gebeten, und er stimmte zu. Als Kurt Masur sein Arbeitszimmer räumte, wechselte Christa Kalb ins Büro des Thomaskantors. Als sie in den Ruhestand ging, erzählte sie noch einmal für das Buch „Frauensache – Wir verdienen das Vertrauen der Männer.“ Und man traf sie, wie auch Volker Stiehler, immer wieder im Publikum der Leipziger Konzerte.

Masur-Spielplan

Sohn Ken Masur ist längst erfolgreicher Dirigent, Tochter Carolin Masur ist in Leipzig auf vielen Bühnen zu Hause, in Opernhaus und Musikalischer Komödie, mit Wagners Wesendonck-Liedern mit David Timm am Klavier, mit sächsisch-musikalischem Programm, in der Lachmesse-Jury oder als Talk-Masterin in der Moritzbastei. Ein Spielplan, möchte man sagen, wie schon von Vater Kurt Masur durchlebt. Musik ist in Leipzig eine Familien-Sache. Wahre Freude ist eine ernste Sache. So wie es im Gewandhaus geschrieben steht. Man ahnt förmlich, wie Masur sagen würde: „Wahre Freunde sind auch eine ernste Sache!“

Terminhinweis:

Trauergottesdienst für Ehrenbürger Kurt Masur

Mit einem Trauergottesdienst in der Thomaskirche nimmt die Stadt Leipzig am 14. Januar, 11 Uhr, Abschied von Prof. Kurt Masur. Am 19. Dezember war der Dirigent, ehemaliger Gewandhauskapellmeister und seit 1989 Ehrenbürger Leipzigs im Alter von 88 Jahren in den USA gestorben. Zum Gottesdienst, den Thomanerchor und Gewandhausorchester musikalisch gestalten, werden die Familie von Kurt Masur, aber auch viele Freunde, Kollegen, Weggefährten, zahlreiche geladene Gäste aus Politik und Kultur sowie viele Leipzigerinnen und Leipziger erwartet. Oberbürgermeister Burkhard Jung wird im Rahmen des Gottesdienstes in einer kurzen Ansprache an das Wirken Kurt Masurs erinnern.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar