Seit dem 18. Dezember steht eine große Bronzeskulptur neben dem Eingang zum Museum der bildenden Künste: ein 274 Zentimeter hoher Bronzeguss des von Markus Lüpertz 2014 für den Bonner Stadtgarten geschaffenen "Beethoven". Beethoven in Leipzig? Noch ein Kandidat für die Notenspur? Oder ein Leipziger Versuch, die westeuropäische Postmoderne nachzuholen?

Am 18. Dezember wurde die mehr als eine Tonne schwere Bronzeskulptur mit großem Tamtam eingeweiht. Der Künstler selbst fuhr mit Bentley vor und wunderte sich, dass seine Kunst so provoziert, obwohl er doch nur geliebt werden will. Er wünschte sich auch – und das hat man nun seit 1989 ziemlich oft gehört – Leipzig möge offener sein für so eine Art Kunst, die Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt so einordnet: Lüpertz‘ Malerei wird als „Neo-Expressiv“ beschrieben. “Die Figürlichkeit ist mit Verve aufgeladen. Antike Figuren, das Ringen zwischen dem Apollinischen und dem Dionysischen, die arkadische Landschaft sind seine Themen.”

Was dem Laien natürlich suggeriert, es gäbe gar eine Kunstrichtung, die sich Expressivität nennt. Wer die ganzen Purzelbäume und Verrenkungen der heutigen Kunstwissenschaftler verfolgt, das, was sie sehen, irgendwie in eine Klassifikation der Kunststile einzuordnen, der hat bald das Gefühl, dass sie versuchen, jedem Künstler gleich noch eine eigene Schublade zu verpassen. Hilfreich für Museumsbesucher, die nicht auf ästhetischen Spitzenschuhen laufen, ist das alles nicht.

Die "Beethoven"-Plastik von Markus Lüpertz vorm Eingang des Bildermuseums. Foto: Ralf Julke
Die “Beethoven”-Plastik von Markus Lüpertz vorm Eingang des Bildermuseums. Foto: Ralf Julke

Auch nicht, wenn Leipzigs Kulturbürgermeister Michael Faber sich ein weiteres Mal wünscht, “dass wir uns reiben – an Beethoven, seiner Musik und an der Auffassung eines Künstlers im 21. Jahrhundert.” So zitiert ihn die LVZ. So ungefähr hat man das 2013 auch gehört, als der verspielte jugendliche Wagner von Balkenhol auf dem Klinger-Sockel am Dittrichring seinen Platz fand. So hörte man das, als die Wettbewerbsergebnisse zum Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal bekanntgegeben wurden. Und dann wieder, als die Ergebnisse 2013 völlig auf den Kopf gestellt wurden.

Und die Leipziger?

Sie laufen über den Platz, auf dem das Denkmal nicht gebaut wird. Und sie laufen an all den anderen Plastiken im Stadtraum vorbei, an denen sie sich reiben sollen. Und es interessiert niemanden. Was nicht unbedingt an den Leipzigern liegt, sondern an etwas, was eigentlich die besseren Künstler alle irgendwann begreifen: Wenn Kunst nicht beeindruckt, ist das Werk in die Hose gegangen. Da hilft auch das wissenschaftliche Label nicht: Neo-Expressiv?

Auch der Leipziger Max Klinger war expressiv. Auf seine Art. Und an ihm versucht sich Lüpertz nun schon seit geraumer Zeit zu reiben.

Markus Lüpertz hat in den letzten Jahren immer wieder das Museum der bildenden Künste Leipzig besucht – beeindruckt von der pathetischen Architektur sei sein Ziel das Werk von Max Klinger gewesen, heißt es aus dem Museum. Dessen „Beethoven“ sei für ihn eine große Herausforderung.

Markus Lüpertz‘ „Beethoven“ (Bronzeguss, 200 x 130 cm Grundfläche, Höhe 274 cm) existiert in zwei Exemplaren. Ein „Beethoven“ steht seit vergangenem Jahr in der „Beethoven“-Stadt Bonn, der zweite, jetzt ausgeführte Guss wurde nun in Leipzig vor dem Museum der bildenden Künste platziert.

Aber dann versucht es Lüpertz, besser zu machen.

“Im Gegensatz zum historischen Vorbild holt Lüpertz Beethoven vom Sockel und platziert ihn unterhalb eines dominierenden Genius”, interpretiert das Museum. Was nicht ganz stimmt. Denn der Klingersche Beethoven steht ja auf keinem Sockel. Er sitzt in einem prächtigen Sessel auf einer Felsklippe, vor ihm ein Adler, der fast erschrocken zurückzuweichen scheint vor diesem kämpferischen Komponisten, der die Schläge des Schicksals in Musik hämmern will. Klinger ist hier etwas geglückt, was Bildhauern sehr selten gelingt: nicht nur einfach einen Berühmten auf den Sockel zu stellen, sondern eine Plastik wie Musik zu gestalten. Etwas, was er ja bekanntlich mit Wagner auch versucht hat – doch an Wagner ist er gescheitert. Der pathetische Hallodri aus Sachsen hat sich ihm verweigert. Vielleicht auch deshalb, weil die Glorifizierung Wagners zu Beginn des 20. Jahrhunderts überhaupt nicht dem entsprach, was er tatsächlich komponiert hat.

Drei schlecht Gelaunte: Beethoven (rechts unten), sein Genius (links) und Napoleon (oben). Foto: Ralf Julke
Drei Schlechtgelaunte: Beethoven (rechts unten), sein Genius (links) und Napoleon (oben). Foto: Ralf Julke

Und eben das, was Klinger mit seinem “Beethoven” in eine Figur gegossen hat, das hat Lüpertz nun wieder auseinander genommen. Er hat Beethoven gleich mal geköpft und den Kopf zu Füßen einer sitzenden Statue platziert, die den Genius verkörpern soll. Aber der hat keine Arme, nur ein Bein. “Schlecht gelaunt” sei dieser Beethoven, schrieb die LVZ. Der Genius ebenso.

Tatsächlich wirkt die Plastik wie ein schlecht gelaunter Rentner auf der Bank, zu dessen Füßen ein schlecht gelaunter Hund namens Beethoven zum Knurren ansetzt.

Möglich, dass Markus Lüpertz zu seinem Genius so ein Verhältnis hat. Ganz und gar Kopf und eben ganz und gar nicht das, was für Beethoven immer Musik war: Herz, Begeisterung, Sturmgewalt, ruhig auch heroisch. Er komponierte so, wie er die wilde Weltgeschichte durch Europa marschieren sah. Klinger hat dieses Brodeln, das gerade den älteren, zunehmend gehörlosen Beethoven regelrecht unzufrieden und wütend machte, in die geballte Faust gepackt, mit der sein sitzender Beethoven die Sache zu packen versucht.

Davon ist bei Lüpertz nichts geblieben.

Und durch den ebenso schlecht gelaunten Napoleon, der an der Museumsfassade noch für die “Delacroix Delaroche”-Ausstellung Werbung macht, bekommt der winterliche Spaziergänger gleich ein ganzes Ensemble der Schlechtgelaunten in engster Beziehung.

Bei Beethoven übrigens gleich doppelt, denn seine 3. Sinfonie, die “Eroica”, hatte er ursprünglich Bonaparte gewidmet. Als der sich aber 1804 zum Kaiser krönte, hat Beethoven die Widmung auf der Originalpartitur wütend wieder ausradiert.

Das Enthüllungsdatum 18. Dezember sei sowohl eine Reminiszenz an die Eröffnung des ersten Museumsgebäudes am Augustusplatz (18.12.1858) gewesen wie auch an den Tauftag Ludwig van Beethovens (17.12.1770). Und die von einem Sammler ermöglichte Leipziger Präsentation sei erst der Anfang, kündigte Schmidt an. Er will – wenn erst mal alle vier Riegel rund um das Museum der bildenden Künste bebaut sind – in den Durchgängen einen regelrechten Skulpturenboulevard anlegen. Möglich, dass Leipzig auf diese Weise noch mehr Lüpertz bekommt, denn für 2017 und 2018 sind weitere Beiträge des Künstlers für das Museum der bildenden Künste Leipzig geplant.

Zwar erst einmal im direkten Diskurs in der Ausstellung im Haus. Aber bei Lüpertz verwandelt sich das Expressive auch schnell mal in eine wuchtige Plastik, die darauf drängt, irgendwo hingestellt zu werden. Und so nebenbei kündigte der 74-jährige Düsseldorfer, der auch in Berlin, Karlsruhe und Florenz lebt und arbeitet, schon mal an, nun auch in Leipzig eine Werkstatt aufzumachen. Ein Atelier in der Leipziger Baumwollspinnerei sei in Planung, war zu hören.

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“Klinger hat dieses Brodeln, das gerade den älteren, zunehmend gehörlosen Beethoven regelrecht unzufrieden und wütend machte, in die geballte Faust gepackt, mit der sein sitzender Beethoven die Sache zu packen versucht.”

Diese Worte umschreiben Klinger’s Interpretation Beethovens wundervoll.
Was Lüpertz versuchte bleibt kläglich.

Hoffen wir mal, dass die Pläne von Lüpertz in Leipzig (Parcours, Atelier) sich von selbst oder außen, zerschlagen.

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