Das Leipziger Ersterwรคhnungs-Jubilรคum wird noch eine ganze Weile im Stadtbild prรคsent sein. Dafรผr sorgt die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) zusammen mit dem Graffitiverein e.V.. Und wie das aussehen kann, ist seit Donnerstag, 17. Dezember, ganz offiziell am LWB-Plattenbau Riemannstraรe 8-10 zu sehen, gleich am Bayrischen Bahnhof, auch wenn Autofahrer beim Einbiegen Schwierigkeiten haben dรผrften, das groรe Wandbild zu entschlรผsseln.
Fรผr das groรe Wandbild zur Stadtgeschichte hat das kommunale Wohnungsunternehmen eine 264 Quadratmeter groรe Flรคche samt dem nรถtigen Baugerรผst fรผr die Kรผnstler des โStadtmalerโ-Projektes zur Verfรผgung gestellt. Am 17. Dezember, drei Tage vor dem offiziellen Stadtgeburtstag, wurde das groรformatige Bild รผbergeben.
Sebastian Drechsel, Vorsitzender des Graffitiverein e.V., versucht, das groรe Bild so zu erklรคren: โAuf dem Bild wird die Stadtwerdung als Bรผrgerstadt dargestellt.โ
Das Wandmotiv sei im Rahmen eines Workshops im Stadtgeschichtlichen Museum von den zehn beteiligten Kรผnstlern entwickelt worden. Dargestellt wird Drechsel zufolge unter anderem die vermeintliche Entstehung des nicht datierten Stadtbriefes. Der wird zwar aufgrund der erwรคhnten Personen auf die Zeit zwischen 1156 und 1170 datiert (was dann das gern verwendete โDurchschnittsjahrโ 1165 ergibt), aber er scheint erst 1215 / 1216 beim Aufstand der Leipziger gegen Markgraf Dietrich eine Rolle gespielt zu haben, den das Volk spรคter den โBedrรคngtenโ nannte, denn er wurde nicht nur von den rebellischen Leipzigern unter Druck gebracht, die Leipzig gern zu einer freien Reichsstadt gemacht hรคtten, sondern auch von den eigenen Meiรner Adeligen. Wobei Manches darauf hindeutet, dass seine Ermordung 1221 nicht auf das Konto der Leipziger geht, sondern auf das einiger rรคnkesรผchtiger Adliger.
โDas Graffitikunstwerk zeigt symbolisch die List der Leipziger Bรผrger beim Aufstand um 1215, mit welcher sie das Stadtrecht wahrscheinlich selbst vordatierten und so erfolgreich die Belagerung durch den Markgrafen Dietrich vereiteln konntenโ, versucht Sebastian Drechsel seine eigene Interpretation der aufrรผhrerischen Jahre 1215 / 1216, die damit endeten, dass Dietrich 1217 nach kurzer Belagerung mit einem Trick in die Stadt kam und den Leipzigern drei Zwingburgen in die Stadt setzte. Vielleicht nicht mal als Bestrafung, sondern schlicht, um seine Macht รผber die wichtigste Stadt der Markgrafschaft Meiรen zu sichern.
Denn wirklich โvordatiertโ hatten die Leipziger ihren Stadtbrief wohl nicht. Im 1. Band der Leipziger Stadtgeschichte, der jetzt erschienen ist, wird ausfรผhrlich darauf eingegangen, warum die Stadtgrรผndung um das Jahr 1165 durchaus realistisch ist. รbrigens auch in Betracht des aufrรผhrerischen Jahres 1215. Denn damit Bรผrger ihre Stadt auf dem Weg zu einer potenten Reichsstadt sehen, muss auch erst mal die wirtschaftliche Potenz da sein und der neu gegrรผndete Markt seine Kraft bewiesen haben.
Dass das manchmal auch zu Reibereien und โUnfรคllenโ fรผhren konnte, weil auch das Beherrschen einer jungen Stadt eine Machtprobe war, sei in diesem Kontext mit der Darstellung des โReitunfallsโ auf dem Bild zu sehen, betont Drechsel. Was wie ein futuristisch auf dem Kopf stehendes Pferd aussieht, ist also ein ganz symbolischer Reitunfall vor 800 Jahren.
Gleichzeitig bezieht sich das Motiv auf das am Stadtbrief angebrachte Siegel, das verkehrt herum angebracht ist, so dass der abgebildete Reiter auf dem Kopf steht.
An der Giebelwand ist auรerdem die Kreuzung der beiden wichtigen Handelswege Via Regia und Via Imperii dargestellt, an der die neue Stadt Leipzig entstanden sei. Wobei auch hier die Forscher rรคtseln: Kann es sein, dass erst die Grรผndung der Stadt mit ihrem Markt dazu fรผhrte, dass die beiden wichtigen Handelsstraรen in Leipzig gebรผndelt wurden?
Zu diesem Beginn im Zeichen des Handels gehรถren dann auch der abgebildete Goldsack, eine Tuchschere, der vermeintliche Stadtbrief, ein Lindenblatt (die Geschichte mit der โLindenstadtโ ist augenscheinlich nicht aus den Kรถpfen zu kriegen), das Symbol โPax. Alpha et Omegaโ und ein Schwert.
โWir hoffen, dass das Bild an unserer Hauswand ein kleines Stรผck Stadtgeschichte in die Gegenwart holtโ, sagt Bernd Plaul. Er ist Leiter der LWB-Geschรคftsstelle Mitte 2.
Drechsel zufolge sollen ab dem Jubilรคum 2015 in den Folgejahren insgesamt zehn solcher Open-Air-Kunstwerke in Leipzig entstehen und das Interesse an vermeintlich trockenen Geschichtsthemen wecken. Idealerweise befinden sich die Wรคnde in allen Stadtbezirken.
Das Projekt Stadtmaler soll Meilensteine Leipziger Historie abseits touristisch bekannter Orte in die Wohnquartiere hineintragen. Als weitere Bilderthemen nennt Drechsel die Leipziger Universitรคtsgeschichte, Leipzig als Messe-, Buch- und Musikstadt, die Vรถlkerschlacht und die Industrialisierung oder auch die Friedliche Revolution. Beim Stadtmaler-Vorhaben handelt es sich um ein offizielles Projekt zur 1.000-Jahrfeier 2015.
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