Auf der Karl-Heine-Straße ist am Samstag, den 21.03.2015 wieder das frühlingshafte Westpaket am Anrollen. Im Hintergrund war Bewegung, ganz natürlich nach zehn Jahren voller Aufregung und Abenteuer. Nun ist der Welpenschutz abgelaufen und Steffen Balmer erzählte Tanner, was so an Veränderung in Sicht ist.
Guten Tag Steffen. Du bist ja nun nach fast zehn Jahren aus der ersten Reihe des Westbesuch e.V. herausgetreten. Wie ist denn die neue Organisationsstruktur und welche Rolle hast Du jetzt inne?
Lieber Volly, ich danke dir für deine Neugierde, und ja, ich habe mich nach 10 Jahren Vorstandsarbeit ganz bewusst und aus teilweise sehr unterschiedlichen Gründen entschieden, in die zweite Reihe des Westbesuch e.V. zu treten. Zum Einen habe ich das Gefühl, dass 10 Jahre eine lange Zeit ist, um an nur einem Projekt mitzuwirken und da die inhaltlichen Schwerpunkte, insbesondere der letzten fünf Jahre, stark auf mich fokussiert waren, wird es zum Anderen nun Zeit einer jüngeren Generation von Kulturfreiwilligen mit neuen Ideen, Kompetenzen, Utopien und Herangehensweisen Raum zu geben.
An der Organisationsstruktur hat sich grundsätzlich erst einmal nichts geändert, außer, dass diese nun endlich wieder personell breiter sowie beweglicher aufgestellt und auf vielen Schultern verteilt ist. Das heißt konkret, dass spezielle Aufgaben von Mitgliedern übernommen worden sind, wie zum Beispiel in den verschiedenen Bereichen der Öffentlichkeitsarbeit oder des Abrechnungswesen, die auch die entsprechende Qualifikation und das persönliche Engagement haben, so dass sich viele administrative Vorgänge und Aufgaben effektiver gestalten lassen und dadurch Energien für andere spannendere Inhalte und Ideen frei werden.
Was den Spaßfaktor für den Einzelnen deutlich erhöht und darüber hinaus individuelle Interessen sowie eigene Fähigkeiten stärker berücksichtigt und in den Mittelpunkt stellt.
Wie soll das aber konkret funktionieren? Ich meine, so etwas geht ja nicht ad hoc.
Es wird ganz klar eine Übergangszeit geben, in der ich meine Erfahrungen der letzten Jahre in die zuweilen kleinststrukturierten Vorgänge an die Neuen und Jüngeren vermitteln möchte. Ich hoffe, das gelingt uns auch im Bereich meiner persönlichen Kontakte, die ja oftmals über die vielen Jahre zu Freundschaften gewachsen sind, aber auch ganz allgemein der stetig zunehmenden kulturellen und stadtteiligen Vernetzung des Westbesuch e.V.
Und weiter – Du so persönlich?
Hmm, darüber hinaus gibt es noch zwei weitere, persönliche Projekte, die unmittelbar mit dem Westbesuch zusammenhängen und mit denen ich mich in der nächsten Zukunft intensiver beschäftigen möchte. So soll bis Ende 2015 Anfang 2016 ein Bildband mit fotografischen Impressionen aus 10 Jahre Kultur- und Stadtteilfest Westbesuch entstehen. Mit kleinen Geschichten und Begebnissen sowie einer feinen Auswahl an Fotografien aus dem umfangreichen Bildarchiv dieser Jahre. Über das zweite Projekt, das mir ebenfalls sehr am Herzen liegt, haben wir schon einmal bei anderer Gelegenheit gesprochen: die Vorbereitung einer szenischen Ausstellung zur Alltagsgeschichte von Lindenau/Plagwitz – Ein sozialräumlicher und kultureller Rückblick der Stadtteilentwicklung zwischen 1870 bis 1990.
Ja, ich erinnere mich – aber das war ja eher intern. Kannst Du der Leserschaft da auch etwas erzählen?
Diese Ausstellung widmet sich Menschen verschiedener Generationen und mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Hintergründen; sie widmet sich den Besonderheiten um die Frage, wie die Menschen ihren Alltag lebten und erlebten, ihre persönlichen Schicksale und wie sich deren Leben und Alltäglichkeit in den Medien ihrer Zeit widerspiegelte. Es geht um ihre persönlichen Schicksale, ihre Alltags- und Arbeitswelten sowie den Einfluss, den diese Menschen auf die kulturelle und soziale Entwicklung in beiden Stadtteilen gehabt haben. Wer waren diese Menschen? Woher kamen sie? Was hat sie bewegt? Zu gegebener Zeit werden wir sicher noch einmal die Gelegenheit haben, detaillierter über dieses Projekt zu sprechen.
Im März gibt es auch das Frühlingswestpaket. Kannst Du da schon Näheres erzählen? Was geschieht Erfrischendes? Und: wird es wieder auf der Karl-Heine-Straße stattfinden? Ich hörte ja Gerüchte von wegen: neuer Austragungsort.
Auch hier ein großes Ja: das nächste Westpaket am 21. März 2015 wird wieder auf der Karl-Heine-Straße stattfinden, auch wenn der Verein für die Zukunft nicht ausschließt, das Straßenfest auch an anderen Locations stattfinden zu lassen. Die Gründe liegen zum Einem in den teilweise unerfreulichen Erfahrungen mit wenigen Akteuren auf der KH-Straße, die sich nicht an vorab getroffene Vereinbarungen gehalten haben und denen das schnelle Geld wichtiger war als eine gemeinschaftliche Zusammenarbeit und zum Anderem werden wir dem wachsenden Bedürfnis eines aktuellen Sicherheitskonzeptes und den durchaus berechtigten, neugeschaffenen Voraussetzungen durch das Marktamt Leipzig, für das in den letzten Jahren gewachsenen Kulturfest, Rechnung tragen müssen. Aber wir bleiben natürlich optimistisch, dass wir im positivsten Sinne mit allen Akteuren, den Händlern und Anwohnern, als auch mit den Ämtern der Stadt im Gespräch bleiben.
Darüber hinaus möchte ich aber diese Frage gern an das neue Vorstands-Team Christoph, Miriam und Katarina, die natürlich gemeinsam mit dem gesamten Westbesuch-Team an neuen Ideen arbeiten sowie an Laura, die u.a. für unsere Pressearbeit zuständig ist, weiterreichen. Ich bin der Meinung, an dieser Stelle sollten nicht nur ich, sondern vor allem die jungen und kreativen Köpfe, des Westbesuch zu Wort kommen.
Christoph, Miriam und Katarina, Laura: Lieber Volly, momentan befindet sich der Verein in einer längeren Planungsphase. Derzeit machen wir uns viele Gedanken darüber wo es hingehen soll – wie kann der Westbesuch sich auf neue Art positiv im Leipziger Westen einbringen? Wir wollen eine solide Kommunikationsplattform für lokale Initiativen und Anwohner sein. Daher arbeiten wir an neuen Konzepten für mehr Miteinander, mehr Teilhabe, mehr Gemeinschaft und natürlich auch weiterhin unabhängige Kultur im Westkiez. Ab dem Herbst wollen wir unsere ersten, neuen Ideen umsetzen. Aber schon zum nächsten Westpaket im Frühling wird einiges anders – es wird zwar wie immer auf der Karl-Heine-Straße stattfinden, allerdings kleiner als sonst, damit es für alle entspannter wird, der Karl-Heine-Boulevard wieder ein Ort zum Flanieren, schauen, inspirieren und mitmachen wird.
Und wie soll das genau geschehen?
Wir wollen uns in Zukunft von der immer weiter zunehmenden Masse der kommerziellen Angebote distanzieren und versuchen etwas Spannendes und Neues dagegenzusetzen. Die Anwohner werden mehr Raum bekommen und aufgefordert, eigene Aktivitäten auf die Straße, vor ihre Haustür zu holen. Wie auch sonst bietet die Westkultur an diesem Tag kulinarische Genüsse vielfältiger Art und natürlich weiterhin Trödelschätze und Kunsthandwerk für Jedermann. Vor der Druckstatt spielen auf einer Bühne junge Leipziger Musiker, eingeladen vom Underground. Zusätzlich sorgen an unserem Vereinsstand Musiker für gute Stimmung.
Dieses Mal werden die Besucher hier in ein offenes Wohnzimmer eingeladen, in dem die Besucher mit uns viele hoffnungsvolle Lotusblüten falten können. Zwei besondere Aktionen können wir darüber hinaus für das kommende Westpaket ankündigen: Auf kreative Köpfe warten Rallye-Fahrzeuge von Orienthelfer e.V.. Gegen eine kleine Spende darf man diese bemalen und so syrische Flüchtlinge im Libanon unterstützen. Und in der Westwerk-Halle heißt es “Bücher to the People”. Ein letztes Mal können die Bücher der alten Gewerkschaftsbibliothek des VEB Chemieanlagenbaukombinats Leipzig-Grimma ausgeliehen werden – ohne Rückgabefrist. – Wir freuen uns und sind gespannt auf ein neues, anderes Westpaket.
Mittlerweile hast Du, Steffen, ja auch einen richtigen festen Job – was Deine Möglichkeiten, Dich im Verein aufzureiben ja glücklicherweise etwas eingrenzt – und den Neuen und Jüngeren eben auch die Chance gibt zu zeigen was mit neuen Besen alles zu kehren geht. Was machst Du denn da genau? Womit verdienst Du jetzt richtig Deine Brötchen?
Naja, welcher Job ist heutzutage schon so richtig fest, aber eine Menge Glück hatte ich bei einer Bewerbung letztes Jahr schon. Obwohl Bewerbung in diesem Fall nicht das richtige Wort ist. Ich hatte mich ja in den letzten Jahren schon öfter für den ein oder anderen interessanten Job beworben und Gelegenheit, viele gute Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen zu führen, aber diese Bemühungen gelingen eher selten. Dann hat aber, wie nicht selten, der Zufall ein wenig nachgeholfen: bei einer eher zufälligen Begegnung mit dem Leiter eines Hallenser IT-Institutes und dem daraus sich ergebenen Gespräch, stellten wir gemeinsam fest, dass wir uns gegenseitig prächtig ergänzen könnten.
Seit Juni 2014 arbeite ich also als Dozent für Softwareentwicklung und Neue Medien an diesem Institut, zuerst für eine kurze Probezeit in Halle und nun vorwiegend in Leipzig. Meine Arbeit lässt sich durch zwei Tätigkeitsbereiche beschreiben: zum Einen gibt es da den direkten Unterricht mit Themen zu Grundlagen der Informatik sowie Vorträge über Einführung, Konzeption und Entwicklung von Anwendungssoftware und Webapplikationen mit Hilfe unterschiedlichster Programmiersprachen / Programmierumgebungen. Und zum Anderen betreue ich Seminare und Workshops zu den verschiedensten Disziplinen der modernen Informatik.
Schwerpunkt in der Ausbildung ist die Entwicklung und Realisierung intermedialer und praxisorientierter Projekte in Auseinandersetzung mit den angewendeten Medien und Programmiersprachen und in Hinsicht auf die Entfaltung von ästhetischen, organisatorischen und technischen Kompetenzen der Lernenden. Kurzum, all die Erfahrungen, die ich nach 20 Jahren selbständiger Arbeit als Künstler und Programmierer weitergeben kann und mir immer gewünscht habe, weitergeben zu können.
Wie können sich Menschen denn noch bei Euch, also beim WESTBESUCH e.V., einbringen?
Diese Frage haben wir uns immer wieder gestellt und nun ist sie auch ein Teil des neuen Konzeptes geworden: wie können sich Anwohner, Kreative und Inspirierte, Vertriebene und Zugezogene, Enttäuschte und Utopisten, Zu-Sich-Gekommene und Aus-Sich-Heraus-Getretene, Missverstandene und Versteher, Kooperative und Solisten sowie all die Gemüter, denen der Spaß an einem unabhängigen Straßenfest nicht abhandengekommen ist, direkt an dem Tag des Kultur- und Straßenfestes, auf der Karl-Heine-Straße einbringen? Oder anders ausgedrückt: Jeder kann und darf sich, unabhängig von der Organisation des Westbesuch, auf ganz individuelle Art und Weise in das Straßenbild einbringen. Natürlich lässt sich solch eine Idee nicht von einem Westpaket zum anderen realisieren. Die Umsetzung dieser Idee wächst natürlich nur mit der Akzeptanz derer, die selbst etwas auf die Beine stellen wollen und mit der Bereitschaft, das Feld der bunten Ideen nicht nur den “Anderen” zu überlassen. Voraussetzung ist dabei gegenseitiger Respekt, Gewaltfreiheit und das Achten auf unsere und andere Grenzen. Und wenn wir am Ende des Tages (oder der Nacht) mit einem inneren Lächeln den Heimweg antreten können, dann haben die Mühen der Vorbereitung duftige Blüten in unseren Herzen hinterlassen.
Um aber auf deine ursprüngliche Frage zurückzukommen: der oder die Interessentinnen, die uns bei der Organisation des Straßenfests mit Ideen, Kreativität, aber auch tatkräftig unterstützen möchten: schreibt uns eine Mail an info@westbesuch.com und beschildert kurz worin eure Stärken liegen und wo ihr euch in der Vereins- bzw. Gestaltungsarbeit wiederfinden könntet.
Danke, lieber Steffen. Und Dir Gesundheit und Gelassenheit.
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