Es gibt eigenartigere Orte als Herrentoiletten um interessante Menschen zu treffen. Trotzdem sollte die Aufmerksamkeit auch dort nie schwinden. Tanner traf Niemann jedenfalls beim Nebeneinander und man kam ins Gespräch – über Literaturzeitschriften, Philosophie und Pro- und Contra-Legida.

Hallo Manuel, das ist ja lustig. Da treffen wir uns gerade auf der Männertoilette des Helheim – weil im Saale Open Mike ist – und Du erzählst mir was von einer neuen Literaturzeitschrift, die Du herausbringen willst. Erzähl doch mal den Anderen hier, was Dich dazu treibt? Literaturzeitschriften macht man ja nicht, weil man reich werden will. Warum, ja warum, nagelst Du Dir dieses Unterfangen an Dein Bein?

Lustig, ein absurder Ort für den Beginn eines ebenso absurden Unterfangens. Ich steh’ ja noch quasi am Anfang: Ich habe ein paar Anzeigen geschaltet, da ein klein wenig Resonanz eingefahren, dass zumindest Interesse besteht, noch eine solche Zeitschrift hier in Stadt aufzuziehen. Und habe jetzt fast zeitgleich ein Jobangebot im Norden der Republik angenommen – und denke daran, die Zeitschrift damit auch weiter zu öffnen. Das trifft im Moment alles ein wenig zusammen, wie ich hoffe, nicht unglücklich. Davor war ich in der Stadt eher schlecht vernetzt und fast ausschließlich im Internet aktiv.

Der Impuls hingegen kam aber ganz woanders her: direkt von der Straße. Ich habe im letzten Jahr mein Studium in Halle abgeschlossen, war dann für ein paar Monate in Prag, um dann, pünktlich zum Jahresauftakt wieder zurück, die Legidisten hier aufmarschieren zu sehen. Das war nicht mehr die Stadt, die ich kannte, keine “Leipziger Freiheit”, und ich hatte das Gefühl, dem irgendetwas entgegensetzen zu müssen. Wider einen solch undemokratischen Zeitgeist und für mehr Gegenöffentlichkeit. Und wieder hin zu einer Gesprächskultur, die einen solchen Namen verdient. Das ist es, das vermisse ich zurzeit. Aber das scheint ein generelles Phänomen zu sein.

Ein simples Beispiel: Diskursethisch ist das, was ich derzeit auch etwa auf den Gegendemos erlebe, gelinde gesagt, alles etwas suboptimal: Man steht da gut abgeschottet von der Polizei, sieht eigentlich nur die Jungs in Grün, hört, wie die, die hinter einem stehen, die Anderen (die ja da sein sollen, da hinter den Polizisten) ausbuhen, -pfeifen und mit “(Vor-)Haut ab!” anschreien (so als gehörten Nazis gar nicht oder gerade hier her). Und ab und zu wird dann geklatscht, weil der Redner, von dem man kaum was verstanden hat, auf der Bühne hinter einem offensichtlich einen Absatz oder gar wichtigen Punkt gemacht hat. Und das ist dann gut und richtig, nur damit sich die Minderheit, die sich vorn hinter den Polizisten verbirgt, nicht anfängt zu glauben, sie sei in einer Art stiller Mehrheit oder gar so eine Unmöglichkeit wie – das sie auch nur subsumierende – Volk als Gesamtheit.

Welchen persönlichen Background hast Du, was qualifiziert Dich zum Herausgeber?

Aus diesem gerade geführten kleinen Exkurs merkt man schon: Ich bin hier geboren, habe auf dem Dorf gelebt, kenne den – mitunter auch braunen – Sumpf vor der Stadt. Und lebe nun seit über zehn Jahren hier vor Ort, Zentrum Ost. Sieht man mal von den jetzt gerade gepackten Koffern und, davor, der S10-Pendelei nach Halle ab. Dort hat man mir einen Abschluss in Philosophie und Germanistischer Literaturwissenschaft möglich gemacht. Was, glaub’ ich, auch nicht die schlechtesten Referenzen sind. Zudem kann ich lesen. Und mache dies sogar gern. Und ich kann zuhören. Und ich weiß, verdammt noch mal, was ein gutes Argument ist. Und was nur blanker rhetorischer Aufwand. Auch gehöre ich wohl zu den Wenigen, die an die Wirksamkeit von Literatur, von Kultur überhaupt, noch zu glauben hoffen.

Andererseits, um jetzt nicht arg zu pathetisch zu wirken, weiß ich auch, um deren Grenzen. Bestimmte Menschen erreicht man einfach nicht mehr. Zum Teil verstehe ich auch den Unmut und Politikverdrossenheit an dem parlamentarischen Geschehen im Land, der sich auf Parteizugehörigkeit und Kreuze-Setzen statt Falten-Gehen beschränkt. Aber die Antwort kann nicht sein, wie ein bockiges Kind andere zusammenzuschreien oder auf noch Schwächere verbal einzuprügeln. Oder Schweineköpfe aufzuspießen, um zu zeigen, wie viel Bildung man doch besitzt, dass die sogar ausreicht, um die religiösen Gefühle anderer gezielt zu verletzen.

Und was suchst Du nun genau für Texte? Und wie soll die Zeitschrift genau aussehen?

Im Grunde möchte ich eine Pluralität von Stimmen, weil ich glaube, dass nur die ein adäquates Abbild liefert, wie ein interkultureller Austausch funktionieren kann. Das Genre ist dabei fast nebensächlich, wobei ich selbst – grad’ was die Literatur betrifft – bestimmte Schwächen, etwa für die Lyrik habe. Zu diesen Schwächen gehört auch, dass ich bei den meisten Literaturstreits, die meist nur die Fronten der littérature engagée vs. l’art pour l’art neu aufrollen, sehr oft auf Seiten der Zeitgebundenen stehe: Ich suche Texte am Puls der Zeit und ich glaube an nichts, was dieser – als letzte Antwort – auf Dauer widersteht. Aber das soll dem nicht im Weg stehen, dass es auch Prosa- oder Sachtexte wie auch – ich bin meiner Zunft da verpflichtet – philosophische Essays oder auch Fotos, Skizzen und Bilder in die Zeitschrift schaffen. Der menschliche Ausdruck ist vielfältig, ich bin offen und neugierig, und das sollte jeder sein.

Willst Du das alles alleine stemmen oder hast Du noch wen mit im Boot?

Ich würde mich eher freuen, wenn sich noch weitere Leute finden, die neben ihren Texten auch ihr Engagement und ihren Enthusiasmus, etwas zu gestalten, mit einfließen lassen. Und meinen (etwas blinden) Aktionismus und (naiven) Idealismus damit unterstützen. Schon weil ich gern immer auch andere Perspektiven höre und so auch nicht in die Verlegenheit kommen würde, geschmacksdiktatorisch den einen oder anderen Text abzulehnen oder über die Maßen hervorzuheben. Augenblicklich habe ich einen sehr guten Kontakt in Max Beckmann, den Mitherausgeber der FETTLIEBE und einen guten Kenner der Szene, der mich hierher ins Helheim eingeladen hat, wofür ich sowohl als auch sehr dankbar bin. Aber die Redaktion ist noch offen, ich suche auch Lektoren, Grafiker, jeden, der sich einbringen kann und will.

Hast Du schon einen Zeitplan? Erscheinungsweise, Release-Feiern etc?

Na, nicht den Tag vor dem Abend … Ich such’ gerade eine Wohnung, wo ich dann im Exil als Volontär bei einer Lokalzeitung residiere. Und warte nebenher auf Texte. An denen steht und fällt alles. Ausbeute bisher noch sehr wenig bis gar nichts. Aber Schreiben braucht eben mehr Zeit, als Parolen nachzuschreien. Also, auch wenn ihr, die ihr das hier lest, auf den ganzen organisatorischen Kram keine Lust habt, sendet ein! Die Email-Adresse (in klein) steht am Ende des Interviews …

Wie willst Du Deine Leser und Leserinnen erreichen? Wo und wie verkaufst Du? Wer ist überhaupt Dein Zielpublikum?

Verkauf interessiert mich wenig. Da bin ich wohl ein Kind des Ostens. Kostendeckend sollte sich das Ganze lediglich refinanzieren. Ich bin momentan noch am Überlegen, ob es in den Print geht oder doch nur eine Online-Variante als eZine geben wird. Letzteres würde die Kosten (außer an Selbstausbeutung) denkbar gering halten und man könnte auch über eine Creative-Commons-Lizenz nachdenken. Andererseits bin ich eben ein Buchmensch, ich mag die haptische Erfahrung; und wenn man die nicht gleich auf Hochglanz trimmen wollte, sollte man auch etwas Ansprechendes in DIY-Optik auf die Beine stellen können.

Also ohne dass potentielle Leser durch einen hohen Preis oder Anzeigenschnickschnack abgeschreckt würden. Ich weiß, wie es ist, mit wenig Geld auskommen zu müssen. Und Literaturbegeisterte, die ich erreichen will, die wissen es lohnt, über den eigenen Tellerrand zu blicken, haben meist entweder wenig davon oder ohnehin andere Werte. Aber da mir jetzt das Amt nicht mehr so auf auf die Pelle rückt, und ich zudem auch ein wenig verdiene, fällt für mich auch ein wenig der Druck weg, etwas Begrenzt-Uneigennütziges wie eine Plattform groß vor denen auf Kontoauszügen rechtfertigen zu müssen.

Wir wünschen Dir jedenfalls bestes Gelingen.

Das ist nett. Ich uns allen, auch noch im Februar: Ein gutes Jahr. Auf dass der Spuk bald vorbei ist und die (vermeintlich) neue Rechte das macht, was sie am besten kann: Sich selbst zerfleischen und demontieren, wenn grad’ kein Anderer da ist.

Texteinsendungen mit einem kurzen Vorwort (Wer & Was etc.) bitte ab sofort an: lipsiaismine[at]aol.com

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