Filme machen funktioniert am Besten mit dem Herzen. Und mit schwieligen Händen, wenn es ums Paddeln geht. Daniel Weißbrodt paddelte die Donau entlang und hat darüber einen Film gemacht – und dies von Anfang bis Ende. Tanner fragte ihn über Finanzierung, Dreh und Philosophie aus.
Hallo Daniel Weißbrodt, ich halte gerade Deinen Film „Die Völkerverständigung, die klappt ganz gut …“ Ein Film über die Tour International Danubien“ in der Hand. Jetzt mal für die Uneingeweihten: Was ist die Tour International Danubien eigentlich?
Die Tour International Danubien, kurz TID, ist die längste, die wahrscheinlich älteste und trotzdem – außerhalb von den Paddlerkreisen selbst – wohl unbekannteste Paddeltour der Welt, die alljährlich im Sommer auf der Donau stattfindet. Die TID startet Ende Juni in Ingolstadt, sie führt in elf Wochen über 2.500 km durch acht Länder und endet Anfang September in Sfântu Gheorghe, Rumänien, am Schwarzen Meer.
In diesem Jahr findet nun schon die 60. TID statt, begonnen hatte alles 1956, als eine kleine Teilbefahrung zwischen Bratislava und Budapest. Aber schon 1969 startete die TID in Ingolstadt, Flusskilometer 2.455, und führte lange Zeit bis Silistra, Bulgarien, km 275. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: 20 Jahre vor dem Fall des Eisernen Vorhangs kommen da ein paar Verrückte und sagen: „Ach, eure komischen Grenzen, die interessieren uns nicht, und ach ja, wo gibt’s nochmal die Visa? Uns interessiert allein der Fluss.“
Wird nicht ganz leicht gewesen sein …
Das war ja ein ungeheurer bürokratischer Aufwand damals! Das wichtigste Ziel der TID war und ist die Überwindung von Grenzen, die gegenseitige Akzeptanz ungeachtet aller kulturellen, sprachlichen und religiösen Unterschiede und das gegenseitige Kennenlernen. Das finde ich äußerst faszinierend, und es nötigt mir den höchsten Respekt ab, so etwas in der Hochzeit des Kalten Krieges unbeirrt durchzuziehen und eine Tradition zu begründen, die nun schon ein gutes halbes Jahrhundert existiert und nach wie vor äußerst lebendig ist.
Wie kam es zu dem Film? Filme gibt es ja wie wilde Zeltlager an der Donau – recht viele – warum hast Du den Film gemacht? Was fehlte?
Im Frühjahr 2008 hatte ich auf dem Dachboden des Hauses, in dem ich damals lebte, ein altes Faltboot gefunden. Da ich mich ohnehin für das mittlere und südöstliche Europa interessiere, schon oft dort war und immer wieder gern dort bin, fiel meine Wahl auf die Donau.
Mit dem Boot langsam und lange unterwegs zu sein, dabei kleinere und größere Orte zu besuchen, in die man mit einer anderen Art des Reisens niemals gelangen würde, das hat mich sehr gereizt. Zudem ist die Donau – kein Fluss auf der Welt hat auch nur annähernd so viele Anrainerstaaten – für mich der exotischste Fluss der Welt. Alle paar hundert Kilometer eine neue Grenze, ein neues Land, eine neue Sprache, das finde ich ungeheuer faszinierend. Die Gewässereigenschaften und die Strömungsverhältnisse, die Fließgeschwindigkeit und solche Sachen, das war für mich völlig nebensächlich, das interessierte mich, wenn überhaupt, nur ganz am Rande. Das war ziemlich naiv. Aber es funktionierte, und ich kam bis Budapest. 2010 fuhr ich dann weiter bis Ruse, Bulgarien, km 495, und 2011 bis ans Meer. Daraus entstand dann das Buch „Regensburg am Schwarzen Meer. 2.400 Kilometer auf der Donau“, erschienen 2013 im Engelsdorfer Verlag, aber ich war mit dem Donauvirus infiziert.
Nach der ersten Tour schon hatte ich angefangen, Literatur über die Donau zusammenzusammeln, ich habe mich ein bisschen eingelesen, das Interesse war geweckt, und dann stößt man über kurz oder lang auch auf die TID. Und so bin ich 2013 mitgefahren, diesmal am Stück, von Deutschland bis ans Meer, ich wollte einen Dokumentarfilm über die TID machen, habe eine Kamera mitgenommen, Interviews mit einigen der Paddler geführt, die die Gesamtstrecke gefahren sind, und habe schöne Detail- und Landschaftsaufnahmen gesucht. Wann hat man schon einmal die Möglichkeit, etwas zu machen, das es so noch nicht gegeben hat und was kaum jemand kennt, obwohl es eine absolut faszinierende Geschichte ist? Ein Film über die TID, das war ein solches Novum.
Der Film entstand ja über eine Crowdfundingaktion. Kannst Du uns da bitte etwas erzählen dazu? Was kam zusammen? Wer hat geholfen? Was bekamen die Crowdeinzelhelden? Wo floss das Geld hin?
Als sich abzeichnete, dass das Material sowohl von der Menge – ich hatte 42 Stunden Aufnahmen mit nach Hause gebracht – als auch von der Qualität ausreichend ist, einen Film daraus zu machen, und als der Rohschnitt schon ganz gut aussah, habe ich das Crowdfunding gestartet. Ich finde, dass das eine gute Möglichkeit ist, ein Projekt zu finanzieren. Wenn viele Menschen sagen: „Ja, ich bezahle heute beispielsweise eine DVD oder eine Premierenkarte, erhalte sie in einem halben Jahr, und mit meiner Vorfinanzierung entsteht ein Film, den es ansonsten nicht geben würde“, dann ist das eine ganz feine Sache. Hier finden sich Gleichgesinnte, die, jeder mit seinem Anteil, gemeinsam etwas auf die Beine stellen, das eben nur durch die Crowd, durch den Schwarm, entstehen kann. Aus der Quantität erwächst dadurch eine Qualität, das finde ich ganz großartig.
Es gab verschiedenste Gegenleistungen, angefangen von der gebrannten DVD über DVDs im DigiPack mit Booklet, von den Premierenkarten über die Nennung als Unterstützer, bis hin zum Sponsorenpaket war alles und für jeden Geldbeutel etwas dabei.
Durch die TID selbst, aber auch über den Deutschen Kanuverband und den Wasserwanderausschuss Leipzig, über viele Vereine in ganz Deutschland, aber auch mit der Hilfe von vielen einzelnen Paddlern in Deutschland, Österreich und der Schweiz war ich in der Szene ganz gut vernetzt, die Organisatoren und die Teilnehmer der TID haben mich wahnsinnig unterstützt, so dass das Crowdfunding letztlich erfolgreich war.
So kamen dann gut 19.000,- Euro zusammen, und der TID-Film wurde das fünfterfolgreichste Projekt der Visionbakery. Mit dem Geld habe ich zum einen meine Existenz für ein halbes Jahr gesichert, vor allem aber die Musikrechte, die DVD-Produktion, den Premierenabend und so weiter bezahlt. Man glaubt ja nicht, was da selbst bei einer solch absoluten Low-Budget-Produktion alles an Kosten zusammenkommt.
Du bist buchbar – für 300 Eus kommst Du in unabhängige Kinos, in Vereine oder zu anderen Interessierten, zeigst Deinen Film und erläuterst – funktioniert dieses Konzept? Wohin ging und geht denn schon die Reise des Films mit Dir?
Das Interesse und die Neugier der Paddler selbst ist sehr groß, die Leute erkennen sich wieder in dem Film, und dass er authentisch auf die wirkt, die wissen, was Paddeln ist, das erfüllt mich wirklich mit einer großen Freude. Aber es ist ja mein Ziel, diese faszinierende Geschichte auch außerhalb der Insiderkreise zu erzählen, sie hinauszutragen und zu sagen: Schaut her, das ist eine wahnsinnig tolle Sache, davon sollte man gehört haben!
Das fängt jetzt langsam an, und nach der Premiere im November in der Schaubühne Lindenfels habe ich den Film schon in Mainz gezeigt, im März fahre ich nach Spremberg, dann nach Ulm und Würzburg, im Juni wird er, wenn alles klappt, in Ruse (BG) laufen, und im September im Rahmen eines Donaufestivals in Belgrad (RS). Jetzt zeigt sich, dass es eine gute Entscheidung war, den Film in allen Sprachen der Donauanrainerstaaten sowie in Englisch und – vielleicht sogar als der erste, zumindest aber als einer von ganz wenigen deutschen Filme überhaupt – in Romanes zu untertiteln. Leben kann ich davon zwar noch nicht, aber das ist auch nicht mein vorrangiges Ziel.
Jahrelang hast Du Dich wissenschaftlich und intensiv – auch publizierend – mit Nietzsche befasst. Gibt es da Übergänge zwischen der Philosophie und dem Paddeln? Wenn ja, welche?
Nun, ich bin ja kein Philosoph, ich bin Historiker und Germanist, und meine Beschäftigung mit Nietzsche – ich habe sechs Jahre lang an der Kritischen Gesamtausgabe der Werke mitgearbeitet – war editorisch, nicht inhaltlich oder analysierend. Wir haben an der IX. Abteilung, am späten handschriftlichen Nachlass ab Frühjahr 1885, gearbeitet, das war akribische Transkriptionsarbeit. Mit der Philosophie Nietzsches selbst bin ich nie richtig warm geworden, auch wenn ich seine reiche, seine präzise und wunderbar schöne Sprache sehr schätze. Seine Wortschöpfungen sind jedenfalls von einer Schönheit, die ihresgleichen sucht.
Paddeln hat eher etwas Meditatives und damit, wie ich finde, etwas eher Unphilosophisches. Aber am Morgen aus dem Zelt kommen, das Gras unter den nackten Füßen spüren, direkt am Ufer seinen Kaffee trinken und zu wissen: ich werde die nächsten Tage oder gar Wochen weiterfahren mit dem Fluss, das Leben mit der Sonne, aufwachen, wenn sie aufgeht, und schlafen gehen, wenn es dunkel wird, einfach immer draußen zu sein, keine Wände, das ist sehr schön. Und am Abend, nach einer langen Tagesetappe, am Fluss zu sitzen, über das fließende, strömende Wasser zu blicken und spüren, dass man ein Teil von dieser Landschaft ist, das sind unvergessliche Momente eines kleinen und doch ganz großen Glücks.
Du hast ja auch bei dem wundervollen Standardwerk zum ostdeutschen Blues „BYE BYE, LÜBBEN CITY – Bluesfreaks, Tramps und Hippies in der DDR“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf) mitgewirkt. Welches war da Dein Thema? Und was hast Du erzählt?
Als Historiker habe ich mich vorwiegend mit der Geschichte des mittleren Europas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigt, mit der DDR und ihren östlichen und südöstlichen Nachbarn, und ich bin ein großer Freund der Alltags- und der Mentalitätsgeschichte. Die subkulturellen Strömungen und Bewegungen finde ich zudem sehr interessant. Ich stamme selbst aus Südthüringen, und da lag es nahe, dass ich über den Wasunger Karneval schreibe, der bei den Bluesern in den 70er und 80er Jahren sehr beliebt war, und den ich selbst ja auch in den 90ern dann noch erlebt habe.
Wie geht es jetzt weiter? Welche Projekte wachsen gerade?
Ich habe schon ein paar Ideen im Hinterkopf, derzeit schreibe ich bereits an einem weiteren Drehbuch, aber es steht noch in den Sternen, ob es umgesetzt werden kann. Nur so viel: Mit Paddeln oder der Donau hat es diesmal nichts zu tun.
Dann wünschen wir Dir ganz viel Leben. Danke für die Antworten.
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