Auch Dr. Martin Luther würde sich den Termin freihalten, wenn er heute noch lebte. Gute Disputationen liebte der Theologieprofessor aus Wittenberg. Und streitbare erst recht, auch wenn er zu recht mehrfach Muffensausen hatte, weil der Preis für eine gute Disputation zu seiner Zeit durchaus auch der Scheiterhaufen hätte sein können. Aber davor muss sich bei den Leipziger Disputationen, die seit 2009 stattfinden, niemand fürchten. Am 23. Juni geht es um Macht.
Gestartet ist die Reihe von Disputationen 2009 im Rahmen der Lutherdekade. In dieser Lutherdekade, die ja bekanntlich 2017 ihren Höhepunkt erlebt, ist jedes Jahr unter ein Thema gestellt. 2014 ist es das Thema Politik. Wie gießt man so etwas in einer Disputation? Auch noch in eine, die in der Thomaskirche stattfindet? Wo wird das griffig? Wo wird Politik griffig, ohne dass die Leute einschlafen?
Ergebnis ist die Formel “Macht Glaube Politik”. “Das können Sie mit Ausrufezeichen schreiben, mit Fragezeichen, egal wie”, sagt Thomaspfarrerin Britta Taddiken. Die Thomasgemeinde ist wieder Gastgeber. Partner sind – wie in den Vorjahren – die Stadt Leipzig und die Universität Leipzig, die seit dem Uni-Jubiläum 2009 eines auf jeden Fall wissen: Sie gehören zusammen. Seit 600 Jahren. Und auch 1519, als die berühmte Leipziger Disputation mit Martin Luther und Dr. Eck stattfand, spielten beide eine Rolle. Das Land Sachsen in Person des Kurfürsten übrigens auch. Der hieß damals Georg, wurde der Bärtige genannt und wurde durchaus als reformwilliger Fürst betrachtet. Dem war es schon ein Anliegen, dass dieser renitente Prof. Luther aus Wittenberg einmal öffentlich erklärte, was er an der alten Kirchenhierarchie zu kritisieren hatte.
Ursprünglich sollte die Disputation ja auch an der sächsischen Landesuniversität stattfinden. Aber die Leipziger Theologieprofessoren trauten sich nicht, wollten auch nicht selbst disputieren. Da sollte lieber der Prof. Johannes Eck ran von der Uni Ingolstadt, der schon vorher mit gedruckten Polemiken gegen Luther auffällig geworden war. Und die Universität wollte man dafür auch nicht so recht hergeben, so dass dann Kurfürst Georg die Hofstube seines Leipziger Schlosses zur Verfügung stellte. Wo dann vom 27. Juni bis zum 3. Juli disputiert wurde. Mit weltbewegenden Folgen. “Denn eines war danach klar”, stellt Ulrich Brieler, Leiter des Referates Wissenspolitik der Stadt Leipzig, fest, “dass es keine Einigung geben würde. Der Bruch war endgültig, wie wir heute wissen.”
Im Grunde hatte Luther, indem er Ablasshandel und Papstkirche hinterfragte, die Machtfrage gestellt. Auch die Frage nach der Trennung zwischen Staat und Kirche. Brieler erinnert daran, dass der politische Zwist zwischen dem Papst in Rom und den deutschen Kaisern vorher 300 Jahre lang die Politik bestimmt hatte. Die enge Verflechtung von Politik und Religion hörte ja bekanntlich nicht einfach auf, sondern mündete in neue, teils blutige Konflikte. Aber dieser endgültige Bruch, der mit der Leipziger Disputation offensichtlich war, gilt bis heute nicht ohne Grund als Beginn der Neuzeit. Die Folgen für Künste, Wissenschaft, Politik und Staatenbildung sind bekannt. Auch wenn Martin Luther mit dem Meisten, was da entstand, sicher nichts hätte anfangen können. Denn anfangs waren seine 1517 an die Kirchentür in Wittenberg geschlagenen Thesen ja nichts als eine Herausforderung zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Maßstab für alles: die Bibel. Auch für Luther.
“Und damit stand auch die Frage: Wie wollen wir eigentlich leben”, sagt Brieler.Das vergisst man oft, wenn es um Politik und Machtfragen geht. Auch Wahlen sind Entscheidungen über Lebensentwürfe. Auch Entscheidungen über Freiheiten.
Logisch, dass das in den jeweils zehn Thesen, die die beiden eingeladenen Disputanten formuliert haben, wieder auftaucht. Am Donnerstag, 5. Mai, wurden die Thesen wieder ganz offiziell an die Kirchentür der Thomaskirche geheftet. Den Hammer gibt es fürs Foto immer symbolisch dazu. Die Forscher zweifeln sowieso, ob Luther seinerzeit tatsächlich so handwerklich zu Werke ging. Stellvertretend kamen Britta Taddiken für die Thomaskirche, Ulrich Brieler für die Stadt und Prof. Dr. Matthias Schwarz, Prorektor der Uni Leipzig, zum Thesenanschlag.
Die beiden eingeladenen Disputanten wird man dann am 23. Juni in der Thomaskirche erleben. Nicht ganz in der ursprünglich geplanten Formation. Ein Gast, den die Thomaskirchgemeinde gern gesehen hätte, musste aus Termingründen absagen: der Journalist und Herausgeber des “Freitag”, Jakob Augstein. Das hätte durchaus für mehr Feuer in den Thesen sorgen können. Verständlich, dass die Organisatoren besorgt waren, auf die Schnelle einen adäquaten Ersatz zu finden. Sie fanden ihn mit Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Rektor der HHL, direkt in Leipzig. Er ist ja nicht nur HHL-Rektor, sondern auch ein liberales Urgestein. Sein Forschungsfeld als Wirtschaftswissenschaftler waren mal Mittelstandsökonomie, Entrepreneurship und komplexe Unternehmensdynamik. Logisch, dass er den Freiheitsbegriff auch aus liberaler Sicht sieht, auch als Freiheit für Religion (nicht von Religion). Ganz lutherisch gedacht: Jeder entscheidet selbst, bestimmt selbst, in welchem Verhältnis er sich positioniert zu Gott, Politik, Macht und Welt.
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Man kann ja ein bisschen durcheinander …
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Es ist wieder soweit …
Da auch sein Gegenüber – Ingolf U. Dalferth – eine strikte Trennung von Staat und Kirche vertritt, könnte es passieren, dass sich der Zündstoff zwischen beiden an anderer Stelle auftut. Denn Ingolf U. Dalferth, seit 2007 Professor an der Claremont Graduate University in Kalifornien, benennt einige sehr moderne theologische Standpunkte, die auch den Punkt der Distanz betonen – nicht des Staates von der Kirche, sondern der Kirche zum Staat. Nur so kann sie kritische Positionen einnehmen und kann sich den Herausforderungen der Zeit stellen, so seine These. Also eher nicht das, was Pinkwart unter “partnerschaftlicher Zusammenarbeit” versteht.
Fast wünschte man sich, dass Pinkwart hätte mit Augstein disputieren dürfen – und Dalferth würde moderieren. Aber die Moderation liegt bei Angela Elis wieder in bewährten Händen. Wer dabei sein will, sollte sich den Termin gut merken: 23. Juni, 20 Uhr in der Thomaskirche, Leipziger Disputation 2014, “Macht Glauben Politik”.
Die beiden Disputanten:
http://de.wikipedia.org/wiki/Ingolf_U._Dalferth
http://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Pinkwart
Die beiden Thesen als PDF zum download.
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