Natürlich ist der Wurm drin. Wer spricht denn heute noch Sächsisch? Richtiges, klares Sächsisch. Ganz selbstverständlich und im Alltag? - Die Antwort lautet: Niemand. Der Leipziger Sprachprofessor Beat Siebenhaar hat natürlich Recht. Der sächsische Dialekt ist im Grunde Geschichte. Und trotzdem gehört er in die Schule. Und auf die Bühne. Wie beim Wettbewerb um das Gaggaudebbchen der Lene-Voigt-Gesellschaft. Schauplatz wieder: die heimelige Bühne des Kabaretts Sanftwut. Mittwoch, 15. Mai, 24 Grad Celsius.
Ein Wetterchen, bei dem das junge Leipzig mit sprudelnden Hormonen auf Wiesen liegt. Und die ganz jungen Leipziger aufgeregt wie die Springfrösche den Beginn des Wettbewerbs erwarten, der kein Wettstreit ist. Jeder, der am Kinder- und Jugendwettbewerb der Lene-Voigt-Gesellschaft teilnimmt, gewinnt. Das Präsent mit Kakao und Buchgutschein am Ende ist allen sicher, die mitmachen. Der Beifall auch. Der Spaß sowieso. Denn beim “Gaggaudebbchen” geht es nicht um Sieg und Niederlage, sondern um die Freude an den Texten der Lene Voigt. Und die jungen Leute zeigen den etwas älteren Teilnehmern des Erwachsenenwettbewerbs um die “Gaffeganne” schon lange, wo die Latte liegt.
Sie können ihre Texte und lassen sich auch nicht vom Lampenfieber aus dem Konzept bringen. Vielleicht, weil man mit 10, 11, 14 Jahren die Sache noch locker nimmt. Immerhin gibt’s keine Zensuren, auch wenn die Lehrerinnen mit im Publikum sitzen. Denn heimlich ist es ein kleiner Schulwettstreit geworden. Es gab Zeiten, da passten Wettbewerbsteilnehmer und Publikum noch in das Lene-Voigt-Kabinett des “Ratskellers”. Das ist lange her. Damals räumten die Schüler aus der Lene-Voigt-Schule fast immer die Preise ab, weil die Schule als einzige in Leipzig außerschulisch auch die Rezitation von Lene-Voigt-Texten pflegte. Eine Übung, die mutig macht. Denn hier regieren Sprachwitz, Burschikosität und das schnippische Naturell der 1891 in Leipzig geborenen “Leipziger Nachtigall”. Da darf man beim Vortrag selbst frech und burschikos sein. Lene Voigt ist immer jung geblieben. Das merken auch junge Leute, wenn sie sich mit ihren Texten auf die Bühne wagen.Als sich an der Artur-Becker-Schule in Delitzsch ebenfalls ein engagiertes Lene-Voigt-Trainingsprogramm etablierte, rutschte die Latte schon etwas höher. Das Kabinett reichte nicht mehr, das Kabarett Sanftwut öffnete gastlich seinen Theatersaal. Und die Vorträge auf der Bühne wurden nicht nur mutiger – die Kinder und Jugendlichen entdeckten ihren Spaß an der schauspielerischen Darbietung und erschienen immer öfter in Kostüm.
Ja, und 2010 wurde dann ganz und gar die innerleipziger Konkurrenz aus der Taufe gehoben: Am neuen Gymnasium in der Bornaischen Straße etablierte sich ein weiteres Angebot, das von den Schülerinnen und Schülern rege genutzt wird. Das Ergebnis war ein neuer Rekord: 26 junge Vortragskünstler hatten sich für den diesjährigen Wettbewerb um das “Gaggaudebbchen” angemeldet. Drei wurden krank, eine Starterin meldete sich noch in letzter Minute, so dass am Mittwoch, 15. Mai, erstmals 24 junge Leute aus Delitzsch und Leipzig auf der Bühne standen und Texte von Lene Voigt rezitierten. Auffällig gern und oft Balladen der Dichterin. “Die Originale”, wie Uwe Rohland als Moderator gern zu betonen wusste. Die kleinen und die großen Originale. Auch die Gedichte von der “Gogosbalme” und “Mei Goldfisch” sind ja kleine Balladen.
Erstmals gab es, weil so viele Mutige auf die Bühne wollten, drei “Gaggaudebbchen”, drei Sieger. Keine Platzierung. Es wäre auch zu unfair gewesen. Und die Jury hatte zu knobeln, als die 24 Mutigen ihre Texte zelebriert hatten. Manche noch ein bisschen steif, aber mit Gefühl, viele in phantasievollem Kostüm. Fast schon Standard das Zaubererkostüm und der “Zauwerlährling”. Beliebt auch die “Gogosbalme”, die in sächsischen Regionen nicht mehr wachsen mag. Fast hätte man damit gerechnet: Eine Gogosbalme schafft es in die engere Auswahl. Und Karlheinz Kühn sowieso, der in schickem Anzug schon mehrfach die Jury begeistert hat in den letzten Jahren.Und eine Gogosbalme – heimlich ausgeliehen in der Schule in der Bornaischen Straße – schaffte es tatsächlich. Aber nicht wegen ihres bedauernswerten Anblicks, sondern weil Bennet Jahn den Text mit der richtigen Portion Witz vortrug.
Ein Klassiker stand anfangs gar nicht auf dem Programm: “Dr Fischer”, mit dem Sarah Fechner im letzten Jahr das Gaggaudebbchen gewann. Immerhin so ein echtes Übungsstück für junge Damen, wenn es darum geht, sich den Burschen zu angeln, der sich sonst immer nur die Barsche und Forellen holt. Das war die Chance für die tapfere A., die sich kurzerhand entschloss, noch ins Programm zu springen. Und da sie ihren Text beherrschte und ihn auch szenisch herzhaft umsetzte, war sie dann die zweite, die ein “Gaggaudebbchen” bekam. Das dritte ging dann an Lucas Ebert, der das Gedicht “‘s Mädchen aus der Främde” konsequent auch im Mädchenkostüm umsetzte. Kompliment!
Gaggaudebbchen 2012: Sarah Fechner angelt sich mit “Dr Fischer” den Sieg
Ein sonniger 16. Mai. Ein Rascheln …
Wenn’s Lehrerinnen wissen wollen: Die Gaffeeganne 2011 geht an Katja Rauchhaupt
Ein lauer Herbstabend war’s …
Gaggaudebbchen 2011: Die Jury ist beinah verzweifelt
Die Lehrer sind schuld …
Und so wissen wir, dass man auch zu Lene Voigts Zeiten damit rechnen musste, dass man dem schönen Frätzchen, das einem da begegnete, nicht unbedingt vertrauen sollte. Es könnte sein, es dreht einem das eine oder andere Produkt an, das man eigentlich nicht braucht. – Ansonsten gab es viele schöne Frühlingsgedichte. Die Arbeit der Lehrerinnen, die mit Lene Voigt zumindest wieder ein kleines bisschen sächsische Mundart in die Schulen gebracht haben, zahlt sich aus. Ein herzliches Dankeschön und große Anerkennung für das Engagement und die Unterstützung, die sie den jungen Vortragskünstlern gegeben haben. Lene Voigt zumindest erreicht die Herzen der Jungen und Mädchen. Auch wenn da und dort dann doch die Pointe unter den Teppich rollte. Das passiert bei dieser Dichterin schon mal – sie zwinkert mitten im Text und lässt den neckischen Bruch fast verschwinden. Da eilt man drüber weg und wundert sich erst hinterher, dass irgendwas fehlt.
Das ist dann die ganz große Kunst. Es ist wie Jonglage: ein Gedicht lernen – und das auf Sächsisch – es eindrucksvoll vortragen – und dabei auch noch die Pointen erwischen. Es gibt nicht viele Wettbewerbe, die anspruchsvoller sind.
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