"Neue Nazis - jenseits der NPD: Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts", so heißt das neue Buch des Journalisten Toralf Staud. "Diese Planhaftigkeit bei der Gewaltanwendung, das ist etwas Neues", sagt der Autor im L-IZ-Interview über die Autonomen Nationalisten. Staud liest und diskutiert am 17. Oktober 2012 in Leipzig.
Herr Staud, in Ihrem neuen Buch richten Sie den Blick auf die neuen Nazis jenseits der NPD. Verstellt eine Fixierung auf die Rechtsaußenpartei nur die Sicht auf die wirklichen Herausforderungen?
Ja, das ist auf jeden Fall so. Im Moment geht die wohl größte Gefahr von Rechtsaußen nicht so sehr von der NPD aus, sondern von den Autonomen Nationalisten. Bei denen ist die Gewaltbereitschaft viel höher. Und während die NPD stagniert, herrscht bei den Autonomen Nationalisten eine große Dynamik.
Ich finde, dass die Öffentlichkeit mehr auf diese Entwicklung schauen sollte. Die Fixierung auf die NPD, die aktuell vorherrscht, die halte ich für falsch.
Wie dramatisch bewerten Sie die Gefährdungen, die von den Autonomen Nationalisten ausgehen?
Wir haben in dem Buch die These formuliert: Wenn man im Moment nach einem Terror von Rechtsaußen Ausschau hält, dann sollte man zuerst nach den Autonomen Nationalisten schauen. Da gibt es Leute, die mit Bomben basteln.
Da gibt es Leute, die die Gewaltanwendung nicht aus taktischen Gründen hintanstellen. Die schauen, anders als die NPD, nicht auf Wählerwirkung und ein biederes Image. Denen geht es um die schnelle Aktion. Das kennen wir ja aus der Kriminalitätsforschung, dass das draufgängerische, gewaltorientierte Moment bei jungen Männern am stärksten ausgeprägt ist.
Dabei gehen die Autonomen Nationalisten, anders als vor ihnen die Skinheads, viel planvoller vor. Die machen gezielt “Anti-Antifa-Arbeit”, spähen ihre “Gegner” aus. Es gab zum Beispiel den Fall, dass jemand einen Job bei Telefonanbieter angenommen hat, um über die Kundendatenbank an Privatadressen zu kommen. Diese Planhaftigkeit bei der Gewaltanwendung, das ist etwas Neues.
Welcher Befund hat Sie bei Ihren Recherchen am meistens aufgewühlt?
Ich selbst war am meisten überrascht, als ich das Kapitel über Rechtsterrorismus in der alten Bundesrepublik recherchiert habe. Ich war verblüfft, wie viele Vorläufer des NSU es in der Geschichte Westdeutschlands gab – weshalb das Erschrecken über den NSU-Terror im letzten Herbst ziemlich verwunderlich ist. In Deutschland – in Öffentlichkeit, Politik und Sicherheitsbehörden – steht offenbar die Erinnerung an die Rote Armee Fraktion so sehr im Vordergrund, dass alles, was nicht aussieht wie die RAF, nicht als Terrorismus erkannt wird.
Welche neuen Erkenntnisse über die Szene erwarten Sie im Zusammenhang mit der Anklageerhebung gegen die NSU-Terrorzelle, die noch für dieses Jahr angekündigt ist?
Von der Anklageerhebung selbst erwarte ich eigentlich keine neuen Erkenntnisse. Vieles von den Ermittlungen ist ja in den vergangenen Monaten schon an die Öffentlichkeit gedrungen.
Viel neugieriger bin ich auf den Prozess. In einem möglichen Kreuzverhör mit Angeklagten oder Zeugen kommen möglicherweise neue Details ans Licht.
Der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat jüngst Ostdeutschland als regionalen Schwerpunkt neonazistischer Aktivitäten und Einstellungen ausgemacht. Wie nahe liegt er damit an der Realität?
Das ist so. Man muss sich viel mehr fragen, warum sagt der Bundesinnenminister das erst heute? Seit mehr als zehn Jahren sehen die Rechtsextremen Ostdeutschland als ihren besonderen Aktionsraum an. Der Minister hat da vollkommen Recht. Was es da anschließend an Kritik aus Ostdeutschland gab, halte ich für wohlfeil. Die Probleme sind in Ostdeutschland weit gefährlicher.
Vielen Dank für das Gespräch.
Der Autor ist Jahrgang 1972, gebürtig aus der Altmark im nördlichen Teil des heutigen Sachsen-Anhalt. In Leipzig und Edinburgh hat Staud studiert.