Manchmal bekommt man tatsächlich gute Anregungen auf Kongressen. So ging es Kerstin Wiese, Leiterin des Bach-Museums Leipzig, jüngst in Weimar, wo es um Barrierefreiheit in Museen ging und die Möglichkeiten, neuen Nutzergruppen mit Hilfe moderner Smartphones Zugang zu Museen und Sammlungen zu ermöglichen, den es vorher nicht gab. Denn was lockt einen Gehörlosen in ein Musikermuseum? Um mal diese Frage zu stellen.

Was lockt Gehörlose und Hörbehinderte überhaupt in ein Museum, fragten sich auf dem Kongress etliche Referenten. Und auch bald Kerstin Wiese, die mit dem Bach-Museum immerhin schon eines der interaktivsten und barriereärmsten Museen in Leipzig leitet. 2010 wurde es mit seiner neu gestalteten Ausstellung eröffnet. Es gibt rund 30 Audio-Guides, die man im Foyer ausleihen kann – in den wichtigsten Sprachen, aber auch speziell für besondere Zielgruppen wie Kinder zum Beispiel. Man hat schon an Viele gedacht, als man die neue Ausstellung konzipierte, hat Mitmach- und Reinhör-Angebote geschaffen. Wohl wissend, dass vielen Besuchern, wenn sie nicht gerade eingefleischte Bach-Freunde sind, die Barockmusik und der Thomaskantor fremd sind.

Also braucht man Angebote, die den berühmten Komponisten, seine Zeit und seine Musik fassbar und spielerisch erlebbar machen. Kinder und Jugendliche finden das aufregend. Lehrerinnen übrigens auch. Musiklehrerinnen wie Katrin Bresemann von der 68. Mittelschule, die schon seit vier Jahren mit dem Bach-Museum kooperiert, ihre Klassen in das Bosehaus am Thomaskirchhof schleppt, aber auch Projektwochen organisiert. Zum Thema Bach. Was machen begabte Mittelschüler draus, wenn man ihnen ein paar Bach-Anekdoten vorlegt und dann einfach sagt: Macht mal!? – 2010 wurde ein Musiktheaterstück drauf mit dem eindeutigen Titel “Johnny, es kracht”. Johnny, die heutige Inkarnation des ehrwürdigen Johann Sebastian, rockte mit E-Gitarre über die Bühne.

2011 veranstaltete die ganze 68. Schule eine Barock-Projektwoche, in der selbst eingefleischte Fachspezialisten wie Mathelehrer mit ihren Schülern gemeinsam entdeckten, dass der Barock eben nicht nur Musik war, sondern auch Wissenschaft und Handwerk. Katrin Bresemann schwärmt davon noch heute, denn eine ganze Schule entdeckte dabei, dass Barock eben kein trockener Lernstoff im Buch ist, sondern ein richtig lebendiges Zeitalter war.2012 war es die 7a, die sich ganz speziell dem Thema Bach näherte und zwei zauberhafte Trickfilme schuf, die beide auf der Website des Bach-Museums zu finden sind.

Das jetzige Schuljahr ist zwar gerade erst gestartet. “Aber schon 48 Schüler haben sich fürs Theaterprojekt angemeldet”, freut sich Katrin Bresemann. Zum Bachfest 2013 soll es Premiere haben. Dabei ist das Stück noch nicht einmal geschrieben. Nur eines ist sicher: Ein Mord soll drin vorkommen. Arbeitstitel: “Mord im Bach-Museum”. Und Manches deutet darauf hin, dass es ein Wandel-Theaterstück wird: Gespielt wird in den heiligen Hallen des Bachmuseums an mindestens fünf Schauplätzen. “Brauchen wir keine Kulissen”, sagt Katrin Bresemann. “Nur Requisiten und Kostüme.” Und das Publikum darf oder muss mitlaufen, wenn es die Lösung des Kriminalfalls erleben will, in dem möglicherweise Leute wie Sherlock Holmes, Miss Marple, Columbo und Horatio Caine aus “Miami CSI” mitmischen.

Und die Gehörlosen?

Sie bekommen im Bach-Museum seit Kurzem eine gebärdensprachliche Führung per Video-Guide für Gehörlose und Hörgeschädigte auf einem videofähigen Smartphone. “Ohne die Entwicklung der Smartphones wäre das gar nicht möglich gewesen”, sagt Kerstin Wiese, die nach dem Kongress in Weimar alles dransetzte, für Hörgeschädigte ein eigenes Besucher-Skript fürs Bachmuseum erstellen zu lassen.

“Selbst mit den meisten Tafeln und Beschriftungen können Gehörlose nichts anfangen, weil sie die Hälfte der verwendeten Begriffe nicht verstehen”, sagt sie. Für die Erarbeitung der in deutscher Gebärdensprache gezeigten Erklärungen hat sie sich Profis geholt. Und als alles fertig war, hat sie den 1. Leipziger Gehörlosenverein “1864” e. V. zur Qualitätsprüfung ins Museum eingeladen. Und Karin Köhler, Erste Vorsitzende des 1. Leipziger Gehörlosenvereins, kam gern mit ihren Mitstreitern. Einer von ihnen gänzlich gehörlos.Ein durchaus spannender Test. Denn wie erleben Hörgeschädigte so ein Museum, wenn ihnen für gewöhnlich die Welt der Töne und damit der Musik verbaut ist? Auch in der Schule gehört Musik nicht zum Ausbildungsstoff. Meist spielt nur die Trommel als Instrument eine Rolle, weil man als Gehörloser zumindest die dumpfen Schläge der Trommel mitbekommt.

Aber wie erklärt man Bach, wenn die Besucher nicht wissen, wie sich Orgel- und Chormusik anhört? Wie kann man die Rolle des Thomaskantors in der Musikgeschichte und in der Geschichte der Stadt erklären.

Das alles scheint mit dem speziell für Hörgeschädigte entwickelten Video-Rundgang zu gelingen. “Danach weiß man überhaupt erst, was Bach ist”, sagt sie. Und erinnert sich fast mit Schrecken an andere Museumsführungen mit Gebärdendolmetscher, bei denen sie selbst verzweifelte, weil die Aufmerksamkeit immer geteilt war. Entweder betrachtete sie die Exponate und bekam nicht mit, was erklärt wurde. Oder sie achtete auf den fast immer zu eiligen Dolmetscher – und sah nichts vom Museum.

Das katastrophalste Erlebnis in jüngster Zeit war für sie ein Besuch im “Grünen Gewölbe” in Dresden, wo die Ausstellungsstationen mit Punkten markiert sind, die zum Audio-Guide passen. Selbst Erklärungstafeln fehlte. “Da waren wir nach 20 Minuten wieder draußen und haben eigentlich nichts gesehen”, sagt sie.

Das App zur Video-Tour im Bachmuseum soll demnächst auch im App-Store zu finden sein, verspricht Kerstin Wiese. “Da kann man sich vor dem Besuch schon mal kundig machen. Oder sich quasi auch aus der Ferne alles erzählen lassen”, sagt sie. Das Bachmuseum soll erst das dritte, vierte Museum in Deutschland sein, das überhaupt so eine Videotour in Gebärdensprache anbietet. “Und”, sagt Kerstin Wiese, “das erste Musikermuseum, das so etwas macht.” Und Karin Köhler war von dem neuen Angebot so begeistert, dass sie gleich eine ganze Besuchergruppe aus Koblenz ins Museum lotste. Für den Ausstellungsbesuch hatten die Gäste keine Zeit – den Video-Guide aber haben sie bewundert. “Sie wollen unbedingt wiederkommen”, sagt Köhler.

www.bach-leipzig.de

Die Schülervideos: www.bach-leipzig.de/index.php?id=1160

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