Die diesjährige Ausgabe des DOK Leipzig ist vorüber. Wir möchten auf zwei Filme zurückblicken, die sich zwei großen Krisen der vergangenen Jahre gewidmet haben: der Demokratiebewegung in Belarus und der Fluchtbewegung über das Mittelmeer.
Letzteres zeigt die deutsche Produktion „Einhundertvier“ auf eine Weise, wie sie direkter kaum sein könnte. Aus bis zu sechs Kameraperspektiven ist in Echtzeit zu beobachten, wie eine Seenotrettung abläuft.
Zwischen Routine und Angst
Zunächst wirkt das alles sehr routiniert und – rein formell betrachtet – ziemlich unspektakulär. 104 Personen befinden sich auf einem Schlauchboot, bekommen der Reihe nach Rettungswesten ausgehändigt und werden dann in kleinen Gruppen auf das sichere Schiff gebracht. Alles läuft planmäßig, doch als ein Boot der libyschen Küstenwache auftaucht, greifen Unsicherheit und Angst um sich.
Allein wegen dieser Momente lohnt sich die Doku schon, denn sie zeigen noch einmal eindrücklich, dass diese viel diskutierte Küstenwache keine Partnerin für Menschen sein kann, die es mit den Menschenrechten ernst meinen.
Ab und zu fehlt Einordnung
Bewusst verzichtet der Film auf jegliche Kommentierungen aus dem Off, aber an einigen Stellen wäre das wünschenswert gewesen. Grundsätzlich ist nachvollziehbar, warum die handelnden Personen das tun, was zu sehen ist, aber einige Hintergrundinfos – zum Beispiel dazu, inwiefern es gerade nicht nach Plan läuft oder was in welchen Momenten besondere Herausforderungen sind – hätten weitergeholfen.
In dieser Hinsicht ist „Wer, wenn nicht wir?“, ebenfalls eine deutsche Produktion, etwas hilfreicher. Sie widmet zwar ebenfalls viel Zeit den drei zentralen Protagonistinnen, die sich für Demokratie in Belarus einsetzen, liefert aber auch ein paar Informationen an die Hand, mit denen sich das Gesehene einordnen lässt.
Dreh in einer Diktatur
Gedreht wurde das Material ungefähr im Zeitraum von Anfang 2021 bis Anfang 2022 – also etwa ein Jahr nach dem Höhepunkt der Demokratiebewegung in Belarus und bis zur russischen Invasion in der Ukraine – durch die das erste Thema in der internationalen Aufmerksamkeit endgültig nahezu verschwunden war.
Protagonistin ist unter anderem Nina Bahinskaja, die über 70 Jahre alt ist und immer noch regelmäßig auf die Straße geht. Sie glaubt, dass sie ausreichend Bekanntheit erlangt hat, um vor Repression einigermaßen sicher zu sein. Und sie will ganz bewusst allein demonstrieren – aus Angst vor der Repression, die weniger „sicheren“ Mitstreiter*innen drohen könnte.
Von den Demonstrationen im Jahr 2020 sind zwar auch einige Aufnahmen zu sehen, doch im Mittelpunkt stehen eindeutig die Beobachtungen der drei Frauen über einen längeren Zeitraum. Mit einem guten Gefühl entlassen diese leider nicht – es gibt wenig Hoffnung für die Demokratie in Belarus. So wie es wenig Hoffnung für die Menschen auf dem Mittelmeer gibt.
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