Spätestens ab den ungeheuerlichen Vorgängen rings um die Anklage gegen Lothar König wurde der Jugendpfarrer aus Jena deutschlandweit bekannt. 2013 sollte er anlässlich des Protestes gegen den jährlichen Neonaziaufmarsch in Dresden zu Gewalt aufgerufen haben. Lügende Polizeibeamte, falsche Beschuldigungen und Widerstand pflasterten seither den Weg des Thüringer Antifaschisten. Nun hat sein Sohn einen beeindruckenden Film über ihn und das Ende seiner Zeit als Seelsorger für junge Menschen gedreht.
Tilman König selbst ist LZ-Lesern kein Unbekannter. Der Leipziger Filmemacher legte gemeinsam mit seinem Bruder Karl-Friedrich König mit dem „Schwarzen Nazi“ bereits 2016 eine Film-Groteske um einen integrierten Schwarzen (Hauptrolle: Aloysius Itoka) vor. Der in Sachsen spielende Streifen zeigt einen hoch integrierten Mann, der nach einem Naziüberfall aus dem Koma erwacht selbst zum Neonazi mutiert, ein Plot, welcher mit gerade einmal 70.000 Euro Produktionsbudget zu einem Kassenerfolg wurde.
Nun hat sich Tilman König seinem Vater zugewandt und eine behutsame, beobachtende und einfühlsam begleitende Dokumentation zu einem Mann vorgelegt, der vor allem eines ist: widerständig. Schon allein dank seines Protagonisten gelingt es Tilman, ein beeindruckendes Leben eines Mannes zu zeigen, welches bereits die Frankfurter Allgemeine zur Überschrift „Einer hält den ganzen Schädel hin“ brachte.
Die Stärke des Streifens entwickelt sich dabei aus der Nähe zwischen Vater und Sohn; statt zu einem Nachteil zu werden, wird die familiäre Beziehung genutzt, um auch Lothar König selbst zu hinterfragen, die Ereignisse des Gerichtsprozesses gegen den Pfarrer einzuordnen und seine Arbeit in Jena bis zum Höhepunkt, einer kraftvollen Predigt Königs zur Verteidigung der Schöpfung, zugewandt und aufmerksam zu beleuchten.
Zu sehen ist die Dokumentation derzeit unter anderem am 5., 6. und 7. Januar 2023 jeweils 19 Uhr im Leipziger Cineding. Am 6. Januar 2023 lohnt der Besuch besonders, dann ist Tilman König selbst für ein Publikumsgespräch vor Ort. Die LZ konnte bereits vorab ein Interview mit dem Filmemacher führen.
Das Interview mit Tilman König
Lieber Tilman, Du hast mit dem Film „König hört auf“ eine Dokumentation über Deinen Vater vorgelegt, der nun als Pfarrer in Ruhestand gegangen ist. Was war der Anstoß, neben diesem Umstand, Deinem Vater eine ganze Dokumentation zu widmen?
Als Filmemacher schaut man natürlich in seinem Umfeld nach Themen. Man hat dann oft einen persönlichen, besonderen Zugang und dass Lothar eine interessante Person ist, lag ja auf der Hand und da die Entpflichtung anstand, war dann einfach die Entscheidung zwischen „Jetzt machen“ – oder „Nie machen“. Allerdings war der Film erstmal als 30 Minuten Film geplant.
Welche Haupteigenschaft hast Du von Deinem Vater übernommen und wie schätzt Du diese ein?
Ich denke ich bin ganz gut darin, andere Leute für eine Idee zu gewinnen. Und das dann auch durchzuziehen.
Als Sohn eines DER Pfarrer im Osten in Merseburg schon vor der „Kehre“ und danach in Jena: Wie würdest Du den Einfluss Deines Vaters auf Eure Umgebung, auf die jeweiligen Stadtgesellschaften beschreiben?
In Merseburg war er bei der Jungen Gemeinde sehr beliebt, bei den anderen Pfarrern aber eher nicht. Da wurde er als Störenfried empfunden. Ähnlich war es in Jena immer wieder, die positiven Effekte lassen sich leider oft nicht messen.
Ich denke, dass er für einige Menschen in Jena Freiräume errungen hat. Auch in Bezug auf Arbeit gegen Rechtsextremismus hat er seine Spuren hinterlassen. Die AfD zum Beispiel konnte in Jena nie so richtig Fuß fassen, ich denke da hat er einen Anteil dran.
Kurz nach dem Beginn Deiner Doku wird ein Angriff auf Eure erste Wohnadresse in Jena geschildert. Inwieweit hat das das Leben Deiner oft in der Doku zu sehenden Schwester Katharina und Dein Leben geprägt?
Meine Schwester hat den Angriff damals nicht live miterlebt, aber genügend andere Angriffe von rechts. Da gab es ja laufend etwas. Ich denk das hat sie schon geprägt. Wenn man körperlich angegriffen wird, hinterlässt das Spuren. Aber auch die ganzen verbalen Drohungen und Anfeindungen, die mit der Zeit immer krasser wurden, prägen einen. Das hat meine Schwester in einem viel, viel stärkeren Ausmaß erlebt, als ich.
Mich selber hat der erste Angriff damals erstmal gar nicht so geprägt, ich konnte es schlicht nicht einordnen. Später dann, als ich ein paar krasse Dinge erlebt hatte, war ich froh, als ich 1999 zum Japanologie-Studium nach Leipzig gezogen bin. Da habe ich mich vor allem erstmal sehr, sehr frei gefühlt.
Dieses „Desinteresse geht mir auf die Nerven“, so Lothar im Film. Kann es sein, dass hier ein Kern auch seiner Vaterrolle Katharina und Dir gegenüber ist? Ist diese Haltung ein Teil seines und Eures Antriebes im Leben?
Hm, das kann ich schwer beurteilen, ich merke auf jeden Fall manchmal bei mir selbst, dass ich eigentlich mehr machen könnte, mich noch mehr mit bestimmten Sachen befassen müsste. Aber klar, meine Filme, die befassen sich eigentlich immer mit Randfiguren und gesellschaftlichen Themen.
Lothar König sagt auch im Film: „Doch, es gibt ein richtiges Leben im falschen. Denn egal wie Scheiße etwas läuft, gibt es immer auch etwas Gutes.“
Er erzählt dabei am Lagerfeuer sitzend von Jahrtausenden an Geschichte, von der Frage, was ein Leben ohne Scheitern wäre und dass es auch viel Gutes in der Welt gibt. Und schränkt ein, dass auch ihm es manchmal schwerfällt, sich darauf zu verlassen.
Es scheint, dass Lothar König die christliche Lehre vor allem sehr modern auslegt und lebt. Was siehst Du als Hauptmotiv für das Engagement Deines Vaters?
Hm, das ist eine schwierige Frage. Ein Hauptmotiv ist sicher die Wut auf die gesellschaftlichen Umstände und Ungerechtigkeiten. Diese Wut gibt auch Energie. Und das ist eine Sache, die er vielen Jugendlichen mitgegeben hat, macht was aus eurer Wut, denn man kann schon etwas bewirken in unserer Gesellschaft.
Freiheit heißt eben auch Verantwortung. Wichtig dabei ist, dass aus der Wut kein Hass wird.
Lothar König wurde bei einem Übergriff in Jena schwer in Augennähe verletzt. Dennoch sagt er, „auch ein Nazi ist ein Mensch und ich habe nicht das Recht dieses Leben zu zerstören. Das ist die Linie.“ Später in der Doku schließt er auf die Frage nach den Morddrohungen gegen ihn und seine Familie eine Bewaffnung, auch die der linken Szene, mit dem Satz, „nein, wir nähern uns damit nur unseren Feinden an“ aus.
Siehst Du darin eine starke Position oder kommt Dir das eher wie ein Eingeständnis von Wehrlosigkeit vor?
Ich denke, dass ist erstmal eine starke Position, sich nicht präventiv auf Überfälle oder Ungerechtigkeiten vorbereiten zu müssen. Und sich auch nicht vom Hass leiten zu lassen. Außerdem, jeder Angriff auf einen anderen Menschen macht ja auch was mit Dir selbst.
Andererseits heißt es nicht, dass man sich nicht verteidigen soll und darf. Genauso wie unsere Demokratie wehrhaft sein muss, gegenüber denen, die sie abschaffen wollen. Genauso ist es auch wichtig, sich nicht verdrängen zu lassen, sodass irgendwann Neonazis die Oberhand auf der Straße haben.
Hier ist Widerstand in vielen Formen wichtig, am besten von so vielen Menschen wie möglich.
Du thematisierst auch den Prozess gegen Deinen Vater, der allgemein als ungerecht, seitens der Polizei als verlogen und die Anklage als falsch wahrgenommen wurde. „Das Schlimme waren die ganzen Lügen der Polizisten“, sagt Dein Vater im Film. Und auch, „wie viele Leute sitzen im Gefängnis, weil Polizisten gelogen haben?“
Wie wurde der „Landfriedensbruchs-Prozess“ rings um die Vorfälle in Dresden 2013 innerhalb Eurer Familie besprochen?
Das war eine sehr harte Situation, weil da am Anfang wirklich die Existenz von Lothar auf dem Spiel stand. Also mit bis zu 15 Jahren Gefängnis als Androhung. Zum Glück sind dann viele Sachen ans Licht gekommen, wie die Falschaussagen, das Lothar entlastende, aber von der Polizei unterschlagene Videomaterial und auch die von der Jungen Gemeinde während der Demo selbst gedrehten Videos.
Das zusammen mit dem extrem fitten Anwalt Johannes Eisenberg hat es dann ermöglicht, sich gegen die Anklage zu wehren. Das ging aber auch nur, weil es eine breite Solidaritätswelle gab, die den Prozess auch finanziell mitgetragen hat. Außerdem waren Presse und andere Medien wichtig. Das hat für mich dann wenigstens ein bisschen das Vertrauen in die bestehende Gewaltenteilung zurückgegeben.
In der im Film gezeigten, letzten Predigt sagt der Pfarrer und Mensch Lothar König sichtbar offen und betroffen: „Gnade uns Gott, was wir mit dieser Welt, mit dieser wunderbaren Schöpfung anrichten. Ruhm, das Geld in den Taschen und das Geklimper – all das schadet.“
Was denkst Du, kennt ein Mann wie Dein Vater Momente der Ohnmacht vor dem oft neofaschistischen und materialistischen Lauf der Welt?
Ich denke auf jeden Fall gibt es diese Momente der Aussichtslosigkeit, aber dann auch immer wieder die anderen Momente, die Mut und Kraft geben und zeigen, dass man doch etwas bewirken kann.
Lothar wünscht sich im Film, dass er genug getan hat, damit es auch „reicht, wenns mal kälter wird“. Was denkst Du? „Reicht“ es und wie „kalt“ ist es aktuell?
Hm, das ist schwer zu beurteilen. Ich denke aber, dass Lothar immer noch ein Netzwerk und Freunde hat, auf die er zählen kann. Auch wenn das in solchen Abschiedszeiten erstmal anders erscheint.
Die aktuellen Krisen, mit der Klimakrise als größte Bedrohung im Hintergrund, lassen schon auf eine ziemlich düstere Zukunft schließen. Wir hier in Deutschland Lebende werden noch relativ lange verschont werden. Aber das gesellschaftliche Klima wird rauer werden in den nächsten Jahren, denke ich.
Der Film heißt „König hört auf“. Lothar selbst formuliert in einer Szene: „Pfarrer in Ruhestand, ich weiß nicht, was das ist“ und es „trägt, was da drinsteht, in der Bibel.“ In der letzten Szene bekommt man einen Eindruck, dass der Titel nicht ganz ernstgemeint sein könnte.
Was denkst Du: „hört“ so jemand wie Dein Vater einfach „auf“? Wie geht es für Lothar Deiner Meinung nach weiter?
Naja, als Jugendpfarrer musste er erstmal aufhören. Als Mensch wird er nicht aufhören, das zu tun, was er tun muss, solange es die Kraft hergibt.
„König hört auf“ ist abgedreht, läuft in den Kinos. Was hast Du als Nächstes vor?
Meine nächsten beiden Filmprojekte sind fiktional, bzw. experimentell. Meine eigene Familie als Thema im Dokfilm, das war ein ziemlicher Kraftakt und ich hab das für mich jetzt erstmal abgeschlossen.
Aktuell ist eine Serie in der Drehbuchphase und ein experimenteller Spielfilm in Produktion, für den lasse ich mir aber viel Zeit und Freiheit – das ist ein Film, der sich ähnlich zum Dokumentarfilm während des Drehs findet.
Was habe ich vergessen oder übersehen zu fragen, worauf Du dringend eine Antwort geben möchtest?
2022 war ein sehr turbulentes Jahr, es ist einen tolle Erfahrung mit Weltkino als Filmverleih den Film in die Kinos zu bringen und das mal nicht im Selbstverleih zu machen. Gefreut habe ich mich über die zwei Preise, als mein Film dieses Jahr im Deutschen Wettbewerb beim DOK-Festival in Leipzig lief.
Fast noch mehr habe ich mich gefreut, dass das DOK Festival Leipzig zusammen mit Vision Kino den Film als Film für Schulvorstellungen herausgesucht hat. Die haben richtig tolles Unterrichtsmaterial zum Film erstellt und die erste Vorführung vor 70 Schülern im Passage Kino lief auch schon.
Ich war überrascht, wie konzentriert, die Jugendlichen den Film geschaut haben und dann im Filmgespräch mit mir viele interessierte Fragen kamen. Der Film wird jetzt auf den Schulkinowochen gezeigt und da freue ich mich schon auf die Resonanz. Denn ein Film muss ja geschaut werden.
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