Wer fragt, bekommt Antworten. Im Dezember fragte die CDU-Fraktion im Leipziger Stadtrat, wie es denn sein könne, dass der Leiter des Leipziger Dok-Film-Festivals, Christoph Terhechte, das Plädoyer der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ habe unterzeichnen können. Aber das Kulturdezernat fing gar nicht erst an, selbst zu antworten, sondern lässt in der Antwort Christoph Terhechte selbst zu Wort kommen.
Die CDU hatte seltsamerweise gar nicht Terhechte selbst angefragt oder das zuständige Dezernat Kultur, sondern hatte eigentlich eine Art Selbsterklärung von Oberbürgermeister Burkhard Jung erwartet, so wie gleich in Frage Nr. 1: „Wie steht der Oberbürgermeister zur Resolution des Bundestages?“
Was schon seltsam wirkt, ganz so, als wäre der OBM so eine Art Gesinnungshüter für alle Stadtangestellten und insbesondere die im Kulturbereich. Was einen doch sehr an eigentlich überwunden geglaubte Zeiten erinnert. Und wahrscheinlich ist auch deshalb die Debatte über das Plädoyer so gründlich entgleist, ohne dass auf das eigentliche Anliegen des Plädoyers überhaupt eingegangen wurde.
Auch nicht von der CDU-Fraktion. (Die Fragen kann man hier nachlesen.). So verstärkt man natürlich Vorurteile. Und es braucht erst die Erläuterung von Christoph Terhechte, damit man merkt, worum es eigentlich geht in unserer Zeit der überhitzten Diskussionen.
Die Antwort von Christoph Terhechte, Geschäftsführer und Intendant von DOK Leipzig, vom 6. Januar 2021:
„Die Anfrage der CDU-Fraktion im Leipziger Stadtrat gibt mir Gelegenheit klarzustellen, dass ich die Ziele und Aktivitäten des BDS klar ablehne und die Bundestagsresolution zur Ausgrenzung der BDS-Kampagne begrüße.
Ein Missverständnis ist hingegen, dass das von mir mitunterzeichnete Plädoyer der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ eine solche Relativierung der BDS-Kampagne verfolge. Es bezieht ganz im Gegenteil deutlich Stellung gegen den BDS wie auch gegen jeden Antisemitismus, und es verurteilt keineswegs die Resolution des Bundestages, wie es in der Anfrage der CDU-Fraktion leider heißt, sondern macht auf eine fragwürdige Dynamik aufmerksam, die sich in der Folge dieses Beschlusses entwickelt hat.
Es ist offenkundig, dass in Deutschland und in der Welt ein neuer Antisemitismus grassiert.
Diese Entwicklung ist abscheulich, und DOK Leipzig wird ihr auch unter meiner Leitung ohne Vorbehalt entgegentreten.
Hierzu muss man sich meines Erachtens aber auch jeder missbräuchlichen Verwendung des Begriffs widersetzen und offen darüber reden, worin sich Antisemitismus ausdrückt – und worin eben nicht. Mit meiner Unterschrift trete ich gemeinsam mit den Vertreter/-innen zahlreicher renommierter Kulturinstitutionen für Meinungsfreiheit und Weltoffenheit ein, keineswegs aber für die Verharmlosung von Antisemiten und Israel-Feinden.
Selbstverständlich hat kuratorische Arbeit sensibel zu sein für antisemitische und jegliche rassistische Tendenzen und darf diesen keine Bühne bieten. Es häufen sich jedoch in der jüngeren Vergangenheit Fälle, in denen es nicht mehr darum geht, wie in der Bundestagsresolution gefordert, der BDS-Kampagne entgegenzutreten und dieser jegliche öffentliche Unterstützung zu entziehen, sondern Künstler/-innen und Wissenschaftler/-innen zu diskreditieren, die einer Sympathie für die Ziele der BDS-Bewegungen auch nur vage verdächtig sind.
Hierdurch ist ein Klima entstanden, in dem Kulturinstitutionen implizit gefordert sind, Künstler/-innen auszukundschaften, mit denen sie zusammenarbeiten oder deren Werk sie präsentieren wollen. Da dies niemand will, machen sich Selbstzensur und damit ein Ausschluss weiter thematischer und regionaler Felder von künstlerischen Diskursen breit. Betroffen von dieser Dynamik sind Vertreter/-innen vorwiegend muslimischer Weltregionen ebenso wie kritische israelische Künstler/-innen.
Die Initiative „GG 5.3. Weltoffenheit“ wird im Übrigen nicht nur von vielen der bedeutendsten deutschen Kulturinstitutionen getragen. Bemerkenswert ist auch die Unterstützung durch Institutionen, die sich jüdischer Kultur verpflichtet haben. Diese und nicht nur diese beklagen, dass die Vielfalt jüdischer Stimmen in Deutschland – die Stimmen deutscher Jüdinnen und Juden, die Stimmen in Deutschland lebender Bürger/-innen Israels wie auch die Stimmen jüdischer Angehöriger anderer Nationen – hierzulande kaum wahrgenommen wird. Die Sensibilität für verbreitete antisemitische Vorurteile und Klischees durch schlichte Formeln zu ersetzen, welche Antisemitismus vorwiegend an unserem Verhältnis zu Israel festmachen, ist mehr als problematisch.
Die BDS-Resolution des Deutschen Bundestages zitiert die Arbeitsdefinition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken: „Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“
In der vielfach polemisch geführten Diskussion um die Streitfälle der letzten Zeit wird diese Definition jedoch häufig gefährlich vereinfacht. Gewiss versteckt sich Antisemitismus oft hinter Kritik an Israel. Das bedeutet jedoch nicht, dass die kritische Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen israelischen Politik zwangsläufig als Antisemitismus zu werten ist.
Wenn im Zweifelsfall zulasten kritischer Künstler/-innen entschieden wird, dann sehe ich die Kunstfreiheit in Gefahr. Das Argument, jede nicht strafbewehrte Meinung könne immer noch abseits eines staatlich finanzierten wissenschaftlichen oder künstlerischen Diskurses geäußert werden, ignoriert die Tatsache, dass es Aufgabe des Staates ist, Kunstfreiheit auch und gerade durch Kunstförderung zu garantieren.
Die Sorge, dass unter dem Dach der Kunstfreiheit antisemitischen Äußerungen und antisemitischer Politik eine Bühne bereitet werden könne, ist verständlich. Das Plädoyer der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ in dieser Weise misszuverstehen, verdeutlicht indes die aufgeladene Atmosphäre, in der über dieses Thema gestritten wird. Wir sollten gemeinsam dafür Sorge tragen, Künstler/-innen und kulturelle Institutionen vor falschen Verdächtigungen zu bewahren, die in keiner Weise durch die begründete Bundestagsresolution gegen den BDS abgedeckt sind.“
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