Ein bisschen mussten sich jetzt alle Freunde der Trickfilme von Schwarwel gedulden. Aber am Dienstag, 5. April, ist es soweit. Dann feiert der Trickfilm „Leipzig von oben“ nach seiner Voraufführung in der Alten Börse im Herbst um 18 Uhr Premiere im Zeitgeschichtlichen Forum in Anwesenheit des Regisseurs Schwarwel und des Filmteams, moderiert von Annegret Richter.

„Leipzig von oben“ ist ein autobiografischer Film von Schwarwel über das Leben in Leipzig im Jahr 1000 seit seiner Ersterwähnung als „urbs Lipzi“ durch Thietmar von Merseburg im Jahre 1015. Ein ganz persönlicher Film zum abgelaufenen Jubiläumsjahr. Denn bei aller Feierei vergisst man ja leicht, dass auch eine Stadt wie Leipzig immer zuerst ein Ort ist, wo Leben passiert – Geburt, Liebe, Krankheit, Freude, Sterben, Trauer. Das ganze Repertoire, ohne das auch der Aufenthalt im schönen Leipzig niemals zu Herzen gehen würde.

Und „Leipzig von oben“ ist vor allem ein emotional aufrüttelnder Film über das Sterben in Leipzig, nachdem man hier sein ganzes Leben als Bürger dieser Stadt gelebt hat, die 850 Jahre zuvor durch Otto den Reichen von Meißen ihr Stadt- und Marktrecht erteilt bekam, was es Leipzig erst möglich machte, seitdem zu einer der wichtigsten Handelsmetropolen in Deutschlands Mitte zu wachsen und zu gedeihen – mit allen Vor- und Nachteilen, die es mit sich bringt, eine Stadt jenseits der 500.000er-Einwohner-Marke zu sein.

Den ganzen Zwiespalt bekommt man natürlich mit, wenn man seine wichtigsten Lebenstief- und -höhepunkte hier erlebt hat, in dieser Stadt des Handels und der schönen Künste, der selbst 40 Jahre DDR-Mief diesen ganz speziellen Hauch von Weltstadt niemals austreiben konnte.

In der einfühlsamen Geschichte von „Leipzig von oben“ steht ein Leipziger Autor (na, wer wohl?) im Mittelpunkt, der die Aufgabe hat, das Drehbuch für ebendiesen Film zu schreiben, der gerade im Rahmen der Feierlichkeiten zu 1.000 Jahre Ersterwähnung Leipzigs entsteht. Doch während sich der Autor mit der Recherche zur Stadtgeschichte und seinen Ideen und Ansätzen für die Story herumschlägt, ist er im Privaten in die häusliche Pflege und Betreuung seines sterbenden Vaters eingebunden.

Man trifft den Helden in der elterlichen Küche sitzend an, wo er die Nacht zwischen seiner Schreibarbeit am Laptop und dem Sterbebett seines Vaters im benachbarten Wohnzimmer verbringt. Dabei taucht er tief hinein in Erinnerungen, die neben dem Schmerz des Abschiednehmens auch immer die schönen, wichtigen und skurrilen Momente an Orten, mit Persönlichkeiten und Bürgern wachrufen, die mit seinem und dem allgemeinen Leben in Leipzig fest verschweißt sind: mit dem Völkerschlachtdenkmal und dem Südfriedhof, mit der Friedlichen Revolution, der Judenverfolgung, der PEGIDA-Demonstration, dem Gewandhaus, dem Krankenhaus St. Georg, dem Clara-Zetkin-Park und der Thomaskirche.

Filmstill aus "Leipzig von oben". Foto: Agentur Glücklicher Montag
Filmstill aus „Leipzig von oben“. Foto: Agentur Glücklicher Montag

Aber auch Felix Mendelssohn Bartholdy bekommt seine Würdigung, dessen Ouvertüre zu „Ein Sommernachtstraum“ op. 21, eingespielt vom Gewandhausorchester Leipzig unter der Leitung von Kurt Masur, „Leipzig von oben“ die musikalische Umrahmung gibt. Leipzig ist Musik. Auch mit dem GewandhausKinderchor, der unter der Leitung von Frank-Steffen Elster für „Leipzig von oben“ Beethovens „Ode an die Freude“ eingesungen hat.

So entsteht ein doppeltes Bild dieser Stadt, tiefgründiger, weil sichtbar wird, wie erst das einzelne Leben der großen Kulisse einen Inhalt gibt, aber selbst wieder Teil einer großen Geschichte ist. Der Autor lässt sich treiben in diesen Erinnerungen und Geschichten, die ihn mit seiner Familie und mit seinen Freunden ebenso verbinden wie mit Leipzig selbst, in dem er ebenso geboren wurde wie vor ihm sein Vater und nach ihm sein Sohn und sein Enkelsohn.

Anders als so mancher Image-Film ist dieser hier kein Sightseeing mit dem Hop-on-hop-off-Bus, der uns nur an den Gebäuden der Stadt vorbeifährt, während der bemützte Stadtführer fröhlich plaudert, und der die Mitreisenden mal irgendwo für ein Foto und einen Kaffee kurz verweilen lässt. Der Film ist wirklich eine Einladung in das Leben hinter den Fassaden dieser Stadt, um davon zu erzählen, wie es sich wirklich anfühlt als ein Einwohner dieser Bach-Helden-Hypezig-Stadt.

Stilistisch gehen Regisseur Schwarwel und das Produktionsteam von Glücklicher Montag dabei konsequent den Weg weiter, den sie mit „Richard – Im Walkürenritt durch Wagners Leben“, „1813 – Gott mit uns“ (beide 2013) und „1989 – Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“ (2014) eingeschlagen haben:

Eine Animation Novel, die sich auch wieder stilistisch an Schwarwels Erzähl-Zyklus „Seelenfresser“ orientiert – einprägsame Motive, starke Charaktere, dunkle Töne und satte Farben, die auch ermöglichen, dass der Zuschauer in die Rolle des Filmhelden schlüpfen kann. Und die Fragen, die Schwarwel bewegen, dürfen ruhig auch die des Publikums werden: Wo kommen wir her? Was hat die Geschichte mit dem Leben eines einzelnen Menschen zu tun?

„Leipzig von oben“, 5. April, 18 Uhr im Zeitgeschichtlichen Forum.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar