"Die Tribute von Panem" gehen in die nรคchste Runde. Dass Hollywood den letzten Band der Roman-Trilogie in zwei Teilen verfilmt, ist bedauerlich. Gleichwohl entpuppt sich "Mockingjay - Teil 1" รผberraschenderweise als der ausgereifteste Film der Blockbuster-Reihe.

Revolution bedeutet Umsturz. Umsturz bedeutet Verรคnderung. Jede Revolution braucht ihre Anfรผhrer. Im fiktionalen Panem soll Katniss (Jennifer Lawrence) in diese Rolle schlรผpfen. Nachdem das Kapitol ihre Heimat, Distrikt 12, nahezu vollstรคndig zerstรถren lieรŸ, flรผchteten die wenigen รœberlebenden in Distrikt 13. Von einem tiefen Hรถhlensystem aus planen die Rebellen den Umsturz der bestehenden Machtverhรคltnisse.

Katniss weigert sich anfangs, in der ร–ffentlichkeit โ€“ also รผber das digitale Videosystem der Republik โ€“ aufzutreten. Das Kapitol hรคlt ihren Freund Peeta (Josh Hutcherson) gefangen, die Regierung setzt ihn als Lockvogel ein. Erst als die Rebellen zusichern, ihn zu befreien und nicht zu bestrafen, stellt sich die frรผhere Gewinnerin der Hunger-Spiele mutig in die Schusslinie.

Francis Lawrence (nicht verwandt mit Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence) stand vor einem kleinen Husarenstรผck. Weil die Produzenten sich entschieden, das Finale der Bestseller-Trilogie aus รถkonomischen Interessen in zwei Teilen zu erzรคhlen, musste der Regisseur aus der actionarmen ersten Buchhรคlfte ein Blockbuster-Event kreieren, das fรผr klingelnde Kinokassen sorgen muss. Die Aufgabe hat der Filmemacher eloquent gelรถst, indem er im ersten Teil von โ€œMockingjayโ€ (dt. Spotttรถlpel) die sozialkritischen Motive der Buchvorlage herausschรคlt.

Actionfans kommen diesmal kaum auf ihre Kosten. Viel wird gesprochen, wenig gekรคmpft. Der Krieg gegen das Kapitol wird im Kino erst in einem Jahr ausgetragen werden. Der Zuschauer erlebt eine zerbrechliche Revolutionsheldin. โ€œIch hab das alles nie gewolltโ€, sagt Katniss. โ€œIch wollte nie an den Spielen teilnehmen, sondern nur meine Schwester retten und verhindern, dass Peeta getรถtet wird.โ€ โ€“ โ€œMiss Everdeen, es sind die Dinge, die wir am meisten lieben, die uns zerstรถrenโ€, erwidert kaltherzig Prรคsident Snow (Donald Sutherland).
Dass die scheinbar heile Welt, die der machtbesessene Diktator seinen Untertanen mit glitzernden Hunger-Spielen vorgegaukelt und diesen mit einschรผchternder Gewalt aufgezwungen hat, keine ist, erlebt der Zuschauer, wenn Katniss zu Beginn Distrikt 12 besucht. Zwischen den Trรผmmern stapeln sich Schรคdel und andere menschliche รœberreste. Damit die Bewohner der verbliebenen Bezirke gegen den Tyrannen rebellieren, bedarf es einer starken Anfรผhrerin. Katniss soll in der Rebellen-Propaganda die Hauptrolle spielen. Doch das Inszenieren gekรผnstelter Polit-Filmchen erweist sich als Griff ins Klo.

Weil gute Propaganda nur funktioniert, wenn der Held an seine Sache glaubt, muss Katniss selbst in den Krieg ziehen โ€“ und sich dabei filmen lassen. Der Besuch eines Feldlazaretts mรผndet in einem blutigen Debakel, dass das Fass zum รœberlaufen bringt. Der erste Teil von โ€œMockingjayโ€ zรคhlt gewiss zu den Fantasy-Highlights dieses Kinojahres. Die atmosphรคrisch dichte Inszenierung geht auf, darstellerisch gibt es nichts zu meckern. Philip Seymour Hoffman ist in einer einer letzten Rollen zu erleben โ€“ wie immer in Hรถchstform.

Dass der Streifen 25 Jahre nach dem Anfang vom Ende der ehemaligen Ostblocks in die Kinos kommt, mag dem Zufall geschuldet sein. Beabsichtigt ist dagegen die Vermittlung des typisch amerikanischen Freiheitsdranges, die sich seit eh und je durch die Hollywood-Geschichte zieht. Waren Suzanne Collinsโ€™ Romane eine verklausulierte Kampfansage an die missratene AuรŸenpolitik der Bush-Administration, steht das Kapitol in den Filmen als Metapher fรผr die Feindbilder auรŸerhalb des amerikanischen Hoheitsgebiets: Nordkorea, Al-Qaida und alle anderen, die irgendwo auf der Welt Menschen unterdrรผcken. Anspielungen auf US-Tagespolitik? Zumindest fรผr das europรคische Auge nur schwer zu identifizieren.

Dass die Message hinter den mit viel Pathos und CGI-Effekten erzeugten Bildern Wirkung zeigt, bewiesen die Proteste gegen die thailรคndische Militรคrregierung im vergangenen Sommer. Teilnehmer bedienten sich der filmischen ร„sthetik, indem sie das mit der Hand geformte Widerstandssymbol kurzerhand okkupierten.

USA 2014, R: Francis Lawrence, D: Jennifer Lawrence, Julianne Moore, Donald Sutherland, Philip Seymour Hoffman, 125 Min, FSK 12.

Filmstart ist der 20. November, zu sehen im Cineplex, CineStar, CT Taucha, Regina Palast und UCI Nova Eventis.

Die Seite zum Film:
www.thehungergamesexplorer.com/de/epk/mockingjay-teil1-de-de

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