Elizabeth Bishop (1911 - 1979) zählt zu den bedeutendsten Lyrikerinnen der US-amerikanischen Moderne. Bruno Barreto untersucht in seinem Melodram "Die Poetin" die homosexuelle Beziehung der Schriftstellerin zur Architektin Lota de Macedo Soares. Ein sinnlich-anregendes Stück Kino.

Elizabteth Bishop (Miranda Otto), die inmitten einer Schaffenskrise steckt, besucht 1951 in Rio de Janeiro ihre Studienfreundin Mary (Tracy Middendorf). Deren Lebensgefährtin Lota (Glória Pires) ist von der ersten Begegnung mit der Dichterin, die sie verehrt, bitter enttäuscht.

Arrangiert sich die Architektin zunächst mit dem unnahbarem Gast in ihrem opulenten Landhaus, erkennt sie bald, dass nicht Arroganz, sondern Verletzbarkeit und Selbstzweifel hinter Elizabteths Passivität stecken. Mit einem Trick verlängert Lota Bishops Aufenthalt und beginnt, vehement um die Freundin ihrer Lebenspartnerin zu werben.

Die Frauen kommen sich näher, gehen eine sexuelle Beziehung ein. Sehr zur Missbiligung von Mary. Als Lota ihr größtes Werk, die Gestaltung des heute weltbekannten Flamengo Parks beginnt, droht die Dreierbeziehung vollends aus dem Gleichgewicht zu rutschen. Elizabeth kann, beflügelt von Glücksgefühlen, wieder schreiben. Beide Frauen sind auf dem Zenit ihres Schaffens. Da droht ein Militärputsch alles zu ändern.

Cineasten kennen Bruno Barreto als ausgewiesenen Experten für die brasilianische Gesellschaft. Seine Filme packen Tabu-Themen an, berühren, provozieren, rütteln auf. Mit seinem dritten Film “Dona Flor und ihre zwei Ehemänner” feierte der Regisseur 1976 den internationalen Durchbruch. Die Adaption eines Romans von Jorge Amado bescherte ihm 1979 die Golden-Globe-Nominierung. Barretos kontroverses Sozialdrama über eine Bus-Geiselnahme im Jahr 2000, “Last Stop 174”, stand 2009 in der Endauswahl um den Oscar für den besten nichtenglischsprachigen Film.
In “Die Poetin” skizziert der Filmemacher das Bild zweier Frauen, die in den Fünfzigern den gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit weit voraus sind. Sie leben offen homosexuell. Mary und Lota gründen im Laufe der Handlung eine postmoderne Patchwork-Familie, indem sie ein Kind adoptieren. Keine Überraschung, dass Elizabeth Bishop ihre Schreibblockade überwindet, kaum dass sie sich in der Idylle der brasilianischen Vorstadt-Provinz offen zu ihrer Homosexualität bekennen kann.

Barretos Film liefert ein beeindruckendes Zeugnis über die brasilianische Oberschicht der fünfziger Jahre ab, ohne Zeitdokument zu sein. Dem Zuschauer wird die Kluft zwischen Konvention und Moderne sinnhaft vor Augen geführt. Das Werk ist kein typisches Homo-Drama. Der Erotik-Anteil hält sich glücklicherweise stark in Grenzen.

Der Regisseur interessiert sich vielmehr für die Entwicklung der Persönlichkeiten von Bishop und Soares. Der Film lebt von zwei brillianten Schauspielerinnen. Hauptdarstellerin Miranda Otto gelingt vortrefflich, die inneren Konflikte der Literatin nach außen zu tragen. Gleiches gilt für Glória Peres, die Soares eine unterkühlte, ja beinahe eiskalte Note einverleibt.

Barreto untermalt das griffige Spiel der Protagonistinnen mit warmen, evozierenden Bildern. Der Zuschauer fühlt mit, fühlt nach, leidet mit. Soares landet gegen Ende der gut zweitstündigen Reise erst in der Psychiatrie, begeht schließlich in Bishops New Yorker Wohnung Suizid.

Die Autorin sitzt in der Schlussszene heulend auf dem Sofa, den toten Kopf ihrer Weggefährtin im Schoß. Im Hintergrund heulen die Sirenen. Eine bessere Metapher für die Kunst des Verlierens – der Titel eines von Bishops bekanntesten Gedichten – hätte Barreto nicht finden können.

Brasilien 2013, R: Bruno Barreto, D: Miranda Otto, Glória Pires, Tracy Middendorf, 110 Min, FSK6.

Filmstart ist der 10. April, zu sehen in der Kinobar Prager Frühling.

Die Seite zum Film:
www.diepoetin-film.de

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