"Gegen den Strom" - das klingt erst mal provokant. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten kommt es einem irgendwie vertraut vor. Irgendwie MDR-mäßig. Ein Blick in den elektronischen Buchladen. Na hoppla: 9.156 Ergebnisse allein für Bücher mit dem Titel "Gegen den Strom". Irgendwie scheinen die Deutschen ein Volk von lauter Gegen-den-Strom-Schwimmern zu sein. Dabei geht's hier eigentlich nur um eine schöne Kirche.
Die Hofkirche in Dresden. Ein imposantes Stück sächsischer Geschichte, nicht wegzudenken aus der Regierungszeit Friedrich August II., Sohn August des Starken, der sich in Polen nicht nur den Königstitel besorgte, sondern 1719 seinen Sohn auch mit einer echten Kaisertochter verheiratete – mit Maria Josefa Benedikta, älteste Tochter Kaiser Joseph I. Die Sachsen machten damit deutlich, in welcher Liga sie als Fürstenhaus spielen wollten und dass sie sich durchaus in der Lage sahen, auch bei den Habsburgern in die Thronfolge einzutreten. Dazu kam es zwar nie, aber es ist ein wesentlicher Teil der langen und treuen Orientierung Sachsens auf das deutsche Kaiserhaus, das die Sachsen auch im Siebenjährigen Krieg an die Seite Österreichs führte – und das Land zum Tummelplatz der preußischen Armeen Friedrichs II. machte.
Auch das sicher ein kleines Stück Politik “gegen den Strom”. Denn militärisch war Sachsen den Preußen nicht gewachsen. Als die Preußen Dresden beschossen, büchste Friedrich August II. nach Warschau aus. Maria Josefa aber blieb da. Aus Treue zu ihren Sachsen, vielleicht auch einfach aus Verantwortungsgefühl. Was dann wohl auch das barocke Kleinod der Hofkirche vor preußischem Beschuss rettete. Eine Kirche, die tatsächlich irgendwie “gegen den Strom” gebaut wurde. Bekanntlich war ja schon August der Starke zum katholischen Glauben übergetreten, um seine Ambitionen auf den polnischen Königsthron zu untermauern. Nur eine katholische Kirche gab es in Dresden seit der Reformation nicht mehr. Die Katholiken behalfen sich mit Gottesdiensten im ehemaligen Komödienhaus. Das fand Maria Josepha nicht angemessen und drängte ihren Ehemann lange Zeit, ein würdiges Gotteshaus zu bauen.20 Jahre lang, heißt es in diesem eindrucksvollen 44-Minuten-Film von Adina Rieckmann und Volker Schmidt-Sondermann. Aber sechs Jahre kommt wohl eher hin. Denn ihr Gemahl bestieg erst 1733 den sächsischen Thron. 1739 begannen die Bauarbeiten für die Hofkirche – anfangs unter strengster Geheimhaltung. Der junge König befürchtete wohl zu recht einige Unruhen im protestantischen Sachsen. Entworfen hat das barocke Kleinod der italienische Architekt Gaetano Chiaveri, der zuvor in Petersburg tätig war und auch das Bauen am Wasser (der Newa) erlernt hatte. 16 Jahre – bis 1755 – bauten tausende Handwerker und Gefangene an der Kirche. Aus Italien waren ganze Familien italienischer Spezialisten ins Land geholt worden, die am Fuß der künftigen Kirche ihre Siedlung bauten, die später als Italienisches Dörfchen berühmt wurde.
Gebaut wurde auf kurfürstlichem Grund, direkt vor dem Schloss. Und es kommen in diesem Film einige wichtige Akteure vom Dompfarrer über den ehemaligen Dombaumeister bis hin zu Alexander von Sachsen zu Wort, die den Kirchenbau auch interpretieren als eine barocke Herausforderung an die protestantische Umgebung. Die Kirche verstellt nicht nur die Sicht auf das Schloss, sie dominiert auch wie ein stolzes Schiff die berühmte Canaletto-Silhouette des barocken Dresden. Und das macht zumindest stutzig. Denn der große Konkurrenzbau der Hofkirche wird in diesem Film nicht an einer Stelle erwähnt: die protestantische Frauenkirche, deren Bau kurz vorher, 1726, begonnen wurde und der 1743 fertig war. Beauftragt nicht vom König, sondern vom Rat der Stadt Dresden.
Beide Kirchen sind heute – auch nach all den Aufbaubemühungen seit den Zerstörungen des 2. Weltkrieges – nicht mehr wegzudenken aus dem Dresdener Stadtbild, das insbesondere seit 1990 nach und nach viele barocke Kleinode wiedergewonnen hat. Am 13. und 14. Februar 1945 wurde nicht nur die Frauenkirche zerstört – auch die Hofkirche lag zum großen Teil in Trümmern. Nutzbar war nach dem Krieg nur noch die St. Benno-Kapelle, die Kapelle des sächsischen Landesheiligen.
Aber natürlich erzählt der Film auch, wie die katholische Gemeinde nach dem Krieg darum kämpfte, das Gebäude zu erhalten. Gegen die durchaus kirchenfeindliche Politik der Regierung, aber auch gegen den herrschenden Mangel an Baustoffen und Geld. Dass in den 1980er Jahren eine eigene Bauhütte gegründet wurde, half da noch wenig, auch wenn es den Willen der katholischen Kirche in Sachsen deutlich machte, den Bau zu retten. Was dann nach 1990 und der Wiedergründung des Landes Sachsen auch tatsächlich gelang. Mit 11 Millionen Euro unterstützte der Freistaat die Wiederherstellung des barocken Bauwerks, das auch 1989 während der Friedlichen Revolution kurzzeitig eine wichtige Rolle gespielt hatte.
Die Bilder des Kamerateams und einer eigens zur Aufnahme der Kirche von allen Seiten eingesetzte Kameradrohne zeigen, warum die Dresdner diese Barockkirche auch lieben, wenn sie selbst nicht gläubig sind. Dass drüben auf dem Dach lauter katholische Heilige stehen, erzeugt heutzutage keinen Protest mehr. Ein katholisches Königshaus gibt es auch nicht mehr, auch wenn in der Kirchengruft die Gebeine der Wettiner ruhen. Wenn sie nicht gerade – wie 2002 – von der Elbflut bedroht sind. Die Kamera fängt nicht nur die eindrucksvolle Außenhülle ein, auch an der barocken Pracht im Inneren weidet sich der Blick. Darf er sich auch weiden, denn hier wird sichtbar, wie eng verzahnt barocke Musik und barocke Architektur sind. Die große Silbermannorgel ist sowieso ein Unikat. Da darf Domorganist Thomas Lennarzt natürlich schwärmen. Domorganist, weil die Hofkirche auch die Kathedrale des sächsischen Bischofs ist.
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Nicht ausgelassen werden die beiden wichtigen Erinnerungsstätten im Inneren der Kirche – jene an die Bombenopfer vom Februar 1945 und jene für die Opfer des NS-Terrors. Immer wieder zeigt die Kamera auch die Prozession im inneren Rundgang der Kirche – eine Besonderheit, die es so wohl nur in Sachsen gibt. Denn auch Friedrich August II. traute sich nicht, seine Sachsen zu verärgern, in dem er katholische Prozessionen durch Dresden zuließ. Das musste schon schön unter Ausschluss der Öffentlichkeit passieren – und passiert so bis heute im Inneren der Kirche.
Auch das ist mitgedacht in diesem Titel “Gegen den Strom”, genauso wie die imposante Lage dieser Kirche über der Elbe.
Andererseits zeigt gerade die jüngere Rettungsgeschichte der Kirche, wie weit entfernt Sachsen heute von den religiösen Kämpfen der Vergangenheit entfernt ist. Die Hofkirche ist nicht wegzudenken aus der barocken Stadtkulisse. Sie ist Teil eines reichen kulturellen Erbes, das nicht nur von den Dresdnern auch in seiner Vielfalt geliebt wird. Die Hofkirche hat auch wichtige sächsische Komponisten wie Carl Maria von Weber und Richard Wagner inspiriert. Und der Film selbst ist natürlich auch ein eindrucksvolles Poem auf diesen Bau und seine bald 300-jährige Geschichte. Ein klein wenig trotzig, obwohl es diesen Trotz wohl nicht mehr braucht.
Adina Rieckmann, Volker Schmidt-Sondermann “Gegen den Strom. Die erstaunliche Geschichte der Dresdner Hofkirche”, DVD, St. Benno Verlag, Leipzig 2014, 14,95 Euro
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