1792 erschien posthum Denis Diderots (1713 - 1784) Novelle "Die Nonne". In der Erzählung geht der Aufklärer hart mit Kirche, Klosterleben und gesellschaftlichen Zwängen ins Gericht. Das Werk, hierzulande weitgehend unbeachtet, bietet jede Menge Filmstoff. Jacques Rivette (85) inszenierte das Schicksal der Ordensschwester Suzanne 1962 vielbeachtet mit Anna Karina und Liselotte Pulver. Guillaume Nicloux (47), der 2001 mit "Eine ganz private Affäre" seinen bisher erfolgreichsten Hit landete, hat sich fünfzig Jahre später an eine Neudeutung gewagt.
Im späten 18. Jahrhundert wird die bürgerliche Suzanne Simonin (Pauline Etienne) von ihren Eltern genötigt, fortan im Kloster zu leben. Grund ist, dass die hübsche Frau unehelich gezeugt worden ist. Ihre Mutter (Martina Gedeck) verlangt, dass Suzanne mit ihr für diesen Fauxpax Buße tut.
Hinter den sakralen Gemäuern wird die Novizin zunächst von einer verständnisvollen Oberin unter die Fittiche genommen. Als diese jedoch stirbt, tritt eine neue grausame Äbtissin (Louise Bourgoin) an ihre Stelle. Die freiheitsliebende Suzanne sieht sich fortan Schikanen und schmerzhaften Repressalien ausgesetzt. Alles Aufbegehren gegen den religiösen Eifer nutzt nichts.
Die Vertreter des Klerus entbinden sie nicht von ihrem Gelübde, stimmen aber ihrer Versetzung an ein anderes Kloster zu. Dort wird sie zwar liebevoll aufgenommen, sieht sich aber den sexuellen Obsessionen der Oberin (Isabelle Huppert) ausgesetzt.
Weil Diderot seine Novelle nicht vollenden konnte, bietet der Stoff Spielraum für Interpretationen. Sah Rivette in Suzanne noch ein Opfer ihrer Zeit, das sich in sein Schicksal fügt, zeichnet Nicloux das Bild einer feministischen Rebellin, die gegen herrschende gesellschaftliche Zwänge aufbegehrt. Anders als Rivette nimmt er die Hauptfigur als handelnde Person wahr. Ganz im Sinne des Aufklärers Diderot.
Die Inszenierung wird ganz von Hauptdarstellerin Pauline Etienne getragen, deren intensives Spiel sich als Glücksgriff erweist. Als forscher, bisweilen unterkühlter Gegenpol erweist sich Louise Bourgoin (31), die sich als Äbtissin mit letzter Verbissenheit an Gott und Glauben klammert. Isabelle Huppert (60) mimt die Besessene, unterliegt im Äbtissinen-Duell aber klar nach Punkten. Martina Gedeck überzeugt als kaltherzige Mutter.
„Die Nonne“ könnte ein großartiger Film sein. Doch leider assoziiert der Zuschauer die vielen hellen Bilder aus dem Kloster stark mit einem Museumsbesuch oder dem sonntäglichen Kirchgang. Was kann daran grausam sein? Kurzum: Das Ambiente passt nicht zum Plot. So malerisch die Klosteranlagen in Maulbronn und Bronnbach, wo der Film gedreht wurde, sein mögen: Der Gang in ein düsteres Kloster, ohne Stuck und reichverzierte Decken, hätte dem Drama gutgetan. Von der äußerst üppigen Ausstattung ganz zu schweigen.
Die Sujets des Films – religiöser Fanatismus sowie das Aufbegehren gegen soziale Zwänge und Ungerechtigkeit – sind aktueller denn je. Niclouxs Zugriff auf die historische Vorlage ist lobenswert. Doch die filmische Umsetzung ist, manch wunderbarer Einstellung zum Trotz, nur als Teilerfolg zu werten. Schade.
F/D/Belgien 2012, R: Guillaume Nicloux, D: Pauline Étienne, Isabelle Huppert, Martina Gedeck, 114 Min, FSK 12.
Filmstart ist der 31. Oktober, zu sehen in den Passage Kinos.
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