Robert Guédiguian zählt zu den wenigen Filmschaffenden, deren Werk als politisches Manifest verstanden werden möchte. Der Franzose setzt sich seit über 30 Jahren mit dem Schicksal der Arbeiterklasse auseinander. Wie die meisten Filme des bekennenden Kommunisten spielt auch "Der Schnee am Kilimandscharo" in der Hafenstadt Marseille. In unterkühlten Bildern zeigt Guédiguian, welche verheerenden Folgen die Krise für die Arbeiterschaft hat.

Michel (Jean-Pierre Darroussin) und Marie-Claire (Ariane Ascaride) sind seit 30 Jahren ein glückliches Paar. Ihre Sippe wohnt in der Nähe, sie haben viele Freunde und sind stolze Gewerkschafter. Als Michel gezwungenermaßen einige Hafenarbeiter entlassen muss, kündigt er sich aus Solidarität gleich mit, um mit seinen Wertvorstellungen im Reinen zu sein. Seine innere Zufriedenheit gerät jäh ins Wanken, als Marie-Claire und er beim Dinner mit Freunden überfallen und ausgeraubt werden. Als Michel erfährt, dass der Raub von einem jungen Kollegen organisiert wurde, der durch ihn auch seinen Job verlor, steigt seine Wut. Das Paar begreift erst später, dass Angreifer Christophe (Grégoire Leprince-Ringuet) aus der Not heaus handelte. Er lebt allein mit zwei jüngeren Brüder, für deren Zukunft er aufkommen muss.
Regisseur Guédiguian zeichnet im Mikrokosmos einer Arbeiterfamilie ein messerscharfes Bild der kapitalistischen Wirklichkeit. Die Armen werden immer ärmer, die Reichen noch reicher. Räuber Christophe handelt aus einer Mischung aus Sozialneid und Verzweiflung. Seine politische Tat wäre nachvollziehbar, hätte er sich nicht das falsche Opfer ausgesucht. Gewerkschafter Michel lebt den linken Solidaritätsgedanken, der ihn dazu verführt, altruistisch auf seinen Kündigungsschutz zu verzichten. Guédiguian lässt zwei Extreme aufeinander prallen: Auf der einen Seite den (scheinbar) Gierigen, der nimmt, was er kriegen kann. Auf der anderen Seite den ums Gemeinwohl bedachten. Ohne mit dem berühmten Zeigefinger zu wedeln, bezieht der Altlinke klar Stellung zu Gunsten des Letzteren. Doch er verachtet den Dieb nicht, sondern äußert Verständnis für seine Situation.
Weil die Handlung klar durchstrukturiert scheint, wirkt der Film auf den Zuschauer recht schwermütig. Der Regisseur möchte den Zuschauer in erster Linie nicht unterhalten, sondern belehren. Marx’sche Ideologie rückt die Beziehungen zwischen den Figuren in den Hintergrund. Da kann auch ein starkes Ensemble keine ernsthaften Spannungsmomente zu erzeugen. Keine Frage: “Der Schnee am Kilimandscharo” ist ein Lehrstück für angewandten Klassenkampf.

Frankreich 2011, R: Robert Guédiguian, D: Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussin, Gérard Meylan, 107 Min, FSK 12.

Ab 22. März zu sehen in den Passage Kinos.

Die Seite zum Film:
www.der-schnee-am-kilimandscharo.de

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