Doris Dörrie setzt sich in ihren Filmen gern mit Antihelden auseinander. Oft sind ihre Protagonisten liebevolle Außenseiter vom Bodensatz der Gesellschaft. Nach ihrem durchwachsenem Ausflug in die Welt der übergewichtigen Friseuse Kathi ("Die Friseuse", 2010) hat die Münchenerin mit "Glück" ein rührseliges Liebesdrama inszeniert.
Nach dem Erzählband “Verbrechen” von Ferdinand von Schirach erzählt sie, wie sich Punk Kalle (Vincenz Kiefer) und Kriegsflüchtling Irina (Alba Rohrwacher) in Berlin kennenlernen und ineinander verlieben. Gemeinsam versuchen der Obdachlose und die Prostituierte, ihren alten Leben zu entrinnen und sich eine neue Existenz aufzubauen. Sie finden eine Wohnung, verdienen Geld, kommen halbwegs über die Runden. Mit allen Mitteln wollen sie sich und ihr Glück beschützen. Auch dann, als ein Freier (Oliver Nägele) in der gemeinsamen Wohnung tot zusammenbricht, Irina panisch flüchtet, so dass Kalle die Leiche findet und die Situation falsch interpretiert. Mit sehr fatalen Folgen.
Wie weit können Menschen gehen, um das zu retten, was ihnen am allermeisten bedeutet? Mit dieser Frage setzt sich Doris Dörrie in sehr ausdrucksvollen Bildern auseinander. Sei es das kitschig rote Blumenfeld, in das sich Irina und Kalle betten. Ihr erstes Rendezvous auf einem Spielplatz, der Flirt auf einer Kinderschaukel. Der Film besteht nicht nur aus schönen Momenten. Die Regisseurin zeigt zu Beginn des Films, wie Soldaten über Irinas Dorf herfallen, sie vergewaltigen und ihre Familie ermorden. Traurig auch die Szene, in der das Pärchen Kalles toten Hund heimlich im Gebüsch begräbt.
Wenn Irina ihrem Job nachgeht, empfindet man mit der zarten Frau regelrecht Mitleid. Sie lebt illegal in Deutschland, fürchtet sich vor der Staatsgewalt, ist irgendwie unerwüscht und fristet im Kiez zwischen Alt- und Plattenbauten ein trostloses Nischendasein. Das verbindet sie mit Kalle, der freiwillig auf der Straße zwischen Not und Elend haust. Mit Alba Rohrwacher und Vincenz Kiefer hat die Regisseurin zwei sehr talentierte Nachwuchsschauspieler entdeckt, die beide ihre Sache sehr gut machen. Sie nehmen ihre Figuren so ernst, dass man glauben möchte, sie spielen sich selbst.
Im Plot legt Dörrie eine spannende Milieustudie an, die sie allerdings nicht konsequent zu Ende führt. Sie fokussiert sich stark auf das Verhältnis der beiden Protagonisten zueinander. Dass deren Liaison böse enden wird, ahnt der Zuschauer spätestens, als Irina schimpft, sie würde am Liebsten ihre Freier umbringen. Dass ausgerechnet Irinas Strafverteidiger (Matthias Brandt) zum Erzähler auserkoren wurde, der gleich zu Beginn feststellt, dass seine Mandaten ihre Taten begehen würden, um ihr persönliches Glück zu bewahren, erweist sich als dramaturgisches Eigentor. Dörrie sei es verziehen. Denn die Regisseurin versteht Spaß und garniert den tragischen Wendepunkt der Geschichte, eine blutige Badszene, mit einer gehörigen Prise schwarzen Humors. Auch deshalb wird dieser Film im Gedächtnis hängen bleiben.
Deutschland 2011, R: Doris Dörrie, D: Alba Rohrwacher, Vinzenz Kiefer, Matthias Brandt, 112 Min, FSK 16.
Filmstart ist der 23. Februar, zu sehen in den Passage Kinos.
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