In einer Demokratie kann jeder mitbestimmen. Auch die, denen ihr Land scheißegal ist. Marisa (Alina Levshin) ist ihr Land nicht scheißegal. Sie ist Anfang zwanzig, Skingirl und rechtsradikal. Gemeinsam mit ihren Kameraden macht sie eine ostdeutsche Kleinstadt unsicher. Sie schlagen zu, wenn ihnen was gegen den Strich geht. Ihr Hass richtet sich gegen Juden, Ausländer, den Staat und seine Polizei.
Marisa macht die Ausländer dafür verantwortlich, dass ihr Lebensgefährte Sandro im Knast sitzt. Als die 15-jährige Svenja (Jella Haase) zur Clique stößt, ist sie alles andere als begeistert. Das hasserfüllte Mädchen sucht in der rechten Ideologie ein Ventil für seine Probleme in ihrem kleinbürgerlichen Elternhaus.
Als Marisa und ihre Clique mit den zwei jungen Asylbewerbern Jamil (Najebullah Ahmadi) und Rasul (Sayed Ahmad Wasil Mrowat) aneinandergeraten, eskaliert der Streit. Sie setzt sich wutentbrannt in ihren VW Golf, fährt die beiden Teenager auf dem Moped an und flüchtet. Ohne es zu ahnen setzt sie damit eine Kette von Ereignissen in Gang, die ihr Leben völlig auf den Kopf stellt.
Tags darauf steht einer der beiden vor dem Supermarkt, in dem Marisa jobbt und bittet um Hilfe. Aus der anfänglichen Feindschaft wird eine vorsichtige Freundschaft mit einem der Ausländer. Während Svenja immer tiefer in die rechte Szene abdriftet, beginnt Marisa ihre rechtsradikale Einstellung zu überdenken. Da wird ihr Freund aus der Haft entlassen und die Situation gerät außer Kontrolle.
Während die NS-Zeit häufig Thema ist, setzt sich der deutsche Film nur höchst widerwillig mit den braunen Gesellen von heute auseinander. Zuletzt sorgte in dieser Beziehung Mirko Borschts Neonazi-Drama “Kombat Sechzehn” für Aufsehen, der das Abdriften eines Teenagers in die rechte Szene beschreibt. Das war 2005. Warum wir sechs Jahre auf das nächste große Neonazi-Drama warten mussten, bleibt im Dunkeln.
Immerhin böte das Sujet genug Ansätze, die sich in einer fiktiven Story verarbeiten ließen. Nachwuchsregisseur David Wnendt, Jahrgang 1977, setzt sich in seinem Kinodebüt “Kriegerin” mit dem subkulturellen Neonazi-Milieu auseinander. Vor Beginn der Dreharbeiten recherchierte der Absolvent der HFF Potsdam ausgiebig zur rechten Szene, besuchte Aufmärsche, sprach mit sechs Frauen aus der Neonazi-Szene.
Die Ergebnisse spiegeln sich in einer Fülle kleiner Details wieder. So fährt die Protagonistin nicht zufällig ein Auto Marke Volkswagen. Auf ihrem Unterarm prangt der Szene-Code “14 Words”, beim Autofahren hört sie den Song “Holocaust Reloaded” und ihr Schlafzimmer ist mit allerlei NS-Devotionalien ausstaffiert. Sieht man einmal von der Vielzahl an Codes und Chiffren ab, mit denen die Zuschauer stark gehäuft konfrontiert werden, zeichnet der Regisseur ein lebensnahes Bild des subkulturellen Rechtsextremismus, dessen Alltag von Hass auf das Fremde, das Abweichende geprägt ist.
Gewalt dient den Protagonisten als Ventil für ihre Ängste und Aggressionen. Sogar untereinander gehen seine Kameraden aufeinander los, wenn einem nicht passt, was der andere sagt. Das ist nicht utopisch, sondern durch Aussagen von Szeneaussteigern unterfüttert.
Besonderes Augenmerk legt Wnendt auf die Rolle der Frau. Hier liegt die Stärke und zugleich größte Schwäche des Films.
Denn das Bild, das Wnendt von Neonazi-Frauen zeichnet, ist durch die Fokussierung auf das subkulturelle, lose organisierte Suffnazimilieu stark einseitig. Seine beiden rechten Protaginistinnen sind – jede auf ihre Weise – willensstarke Einzelkämpferinnen, die sich gegen (vermeintliche) männliche Autoritätsfiguren zur Wehr setzen. Solch starke Frauen sind gerade in der männerdominierten Nazi-Szene in einer extremen Minderheit. Der Frage, welche Funktionen den Neonazi-Frauen in der organisierten Szene zukommen, geht er nicht nach.
Stattdessen entwickelt er eine Aussteigerstory, die dank der lobenswerten schauspielerischen Qualitäten von Hauptdarstellerin Alina Levshin nett anzusehen ist, aber einen grotesken Eindruck hinterlässt. Insgesamt bleibt trotz dieses schier unvermeidbaren Makels festzuhalten, dass “Kriegerin” wegen seiner schockierenden Realitätsnähe, einer bis zur letzten Minute fesselnden Handlung und einer hervorragenden Besetzung ein starker deutscher Film ist, wie es ihn in den letzten Jahren nur selten gegeben hat.
D 2011, R: David Wnendt, D: Alina Levshin, Jella Haase, Sayed Ahmad, 106 Min, FSK: ab 12 Jahre.
Filmstart ist der 19. Januar, zu sehen in den Passage Kinos.
Keine Kommentare bisher