Lohnt es sich, private Briefe zu sammeln und auszustellen? Die Renmin Universität in Beijing beantwortet die Frage, mit ihrem Familienbriefmuseum, eindeutig mit „Ja“. Im Leipziger Konfuzius-Institut ist eine kleine Auswahl für vier Wochen zu sehen. Am 25. Oktober war die Vernissage, zu der wir eingeladen waren. Das 2016 eröffnete Familienbriefmuseum ist wohl einzigartig und gewährt mit rund 80.000 Exponaten einen Einblick in das familiäre und wirtschaftliche Leben im China des 20. Jahrhunderts.

Wir fragten Benjamin Creutzfeldt, Geschäftsführer Konfuzius-Institut Leipzig, der selbst noch Briefe schreibt, was ihm diese Ausstellung persönlich bedeutet.

„Erstmal meine große Leidenschaft für Briefe, ich schreibe immer noch Briefe, ich schreibe mein ganzes Leben lang Briefe. Leider antworten mir Leute nicht mehr so viel. Wir finden hier in dieser Sammlung, Korrespondenzen zwischen Enkeln und ihren Großeltern, von ferngereisten Vätern und ihren Kindern, aber auch Ingenieure, Wirtschaftsvertreter, die einen Handelsgesandten schreiben. Das ist eben spannend.

Natürlich ist das immer persönlich, aber in einem Jahrhundert wie dem chinesischen letzten Jahrhundert, in dem es eine Revolution nach der anderen gab, ist das Politische immer im Hintergrund. Das kann man gar nicht vermeiden. Das erlebt man auch hier, die chinesischen Briefe sind schwer zu lesen für den durchschnittlichen deutschen Leser, aber dazu haben wir das übersetzt und mit Fotos bereichert.

Spannend ist vor allen Dingen, dass es ein paar deutsch-chinesische Beziehungen gab. Das sind, zum Beispiel, die Freunde aus der DDR des Handelsgesandten Wu De Rong, der übrigens mit 93 Jahren immer noch glücklich in Peking lebt. Dort sieht man ganz klar, wie sich das familiäre, das persönliche und die Handelsinteressen gemischt haben.

Da sind die Fragen: Wie geht es Ihrer Frau, wie geht es Ihren Kindern? Meine Enkel sind schon zwei und übrigens, der Apparat so und so, der funktioniert nicht mehr, aber ich würde den gerne verkaufen, der wird schon in Hongkong vermarktet. Wie sehen Sie das? Und so ging das also hin und her, das ist ganz spannend.“

Li Zhenshi, die Direktorin des Museums der Renmin Universität, bei ihrer Rede zur Eröffnung der Briefausstellung. Foto: Thomas Köhler
Li Zhenshi, Direktorin des Museums der Renmin Universität, bei ihrer Rede zur Eröffnung der Briefausstellung. Foto: Thomas Köhler

Geht man durch die Ausstellung, dann bleibt der Blick an Briefen, die kalligrafisch hervorstechen hängen, aber auch an Besonderheiten, wie dem Brief eines Vaters an seine Tochter im Kindergartenalter. Dieser ist mit Schriftzeichen, Zahlen und Zeichnungen verfasst, die auch das Kind schon verstehen kann.

Auch der Schriftwechsel zwischen dem Gastprofessor an der Leipziger Karl-Marx-Universität Zhao Ruhong und seiner Tochter Zhao Heng ist zu sehen. Frau Zhao, heute eine bekannte Malerin und Schriftstellerin, die 1956/57 im Alter von 12 Jahren ebenfalls in Leipzig lebte, besuchte die Vernissage. Im Briefwechsel beschreibt Prof. Zhao 1953 alltägliches, wie seinen Eindruck von den Kindern in der DDR.

„Deutsche Kinder, sowie die Erwachsenen, lieben Briefmarken so sehr, wie ihr Puppen, vor allem chinesische und sowjetische Briefmarken.“

Zhao Heng schreibt 1954 an ihren Vater: „Mama sagt, ich soll Pionierin werden, um nach Deutschland zu gehen. Wenn ich das will, muss ich meine Fehler korrigieren, darf nichts werfen und mich nicht mit meiner Schwester streiten.“

Der Brief des Hao Wengui, der 1900 an seinen Sohn schreibt, beinhaltet Belehrungen und Lebensweisheiten.
„Beobachte immer die Handlungen der Ambitionierten und ahme nicht die oberflächlichen Unbeständigen nach. Wenn Du heute die Bitterkeit erträgst, wirst Du später sicher die Süße genießen.“

In den Ansprachen von Prof. Philip Clart, Benjamin Creutzfeld und Frau Li Zhenshi, Direktorin des Museums der Renmin Universität, wurde auf die besondere Bedeutung der Universität Leipzig und der Stadt Leipzig, für die Deutsch-Chinesischen Beziehungen hingewiesen.

Frau Li Zhenshi, Direktorin des Museums der Renmin Universität in Beijing, sagte dazu: „Für die Wahl des Konfuzius-Instituts Leipzig als Veranstaltungsort gibt es mehrere Gründe. Erstens ist die Universität Leipzig die erste Universität in Deutschland, mit der die Renmin-Universität ein Kooperationsabkommen geschlossen hat. Im Januar 1986 unterzeichnete beiden Seite das Abkommen über wissenschaftliche Zusammenarbeit.

Zweitens wurde das Konfuzius-Institut Leipzig gemeinsam von der Renmin-Universität, der Universität Leipzig und der Leipziger Stadtverwaltung aufgebaut. In Leipzig wurde 2007 das erste Konfuzius-Institut in Ostdeutschland gegründet.“

Nicht nur der Blick auf die Briefe, besonders auf die Kalligrafie, ist interessant. Der Kurator hat Fotos, Daten zu den Personen und Auszüge aus den Briefen in die Ausstellung aufgenommen. Die Themen sind vielfältig. Von Erlebnissen einer jungen Frau bei der „Landverschickung“ 1969, über Worte eines „alten Revolutionärs“ an seine Enkel bis hin zu Familienangelegenheiten eines Händlers im Jahre 1900 ist vieles zu lesen.

Bei manchen Briefen sind es auch die kleinen Details, die hervorstechen. Beispielsweise ist ein chinesischer Brief auf einem Briefformular eines HO-Hotels geschrieben. Die Ausstellung im Konfuzius-Institut ist auf jeden Fall sehenswert.

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