Die Anthropologin und Kuratorin der digitalen Ausstellung „No wobble!“ | „Нет вобле!“, Alexandra Arkhipova, hatte im März 2022 die Abonnent/-innen ihres Telegram-Kanals „(Non)entertaining anthropology“ aufgerufen, spontane Protest-Aktionen im öffentlichen Raum angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zu dokumentieren und an sie weiterzuleiten. Aus den bis Ende Februar 2023 eingesendeten Fotos wählten Arkhipova und ihr Team 476 Beispiele aus 48 Städten der Russischen Föderation aus.
Dabei ging es nicht darum, die Menge der Protestaktionen abzubilden, sondern deren Vielfalt, die kreativen Ansätze und die Arten, mit denen der Protest geäußert wurde.
Ausgewählt wurden „von allen Arten je zwei“, diese wurden analysiert, entschlüsselt, kontextualisiert und durch kurze Erläuterungstexte auf Russisch und Englisch so aufbereitet, dass sich den Ausstellungsbesucher/-innen das Spektrum des zivilen Protests gegen den Krieg eindrucksvoll offenbart. So erschließen sich auch Nichtruss/-innen die politischen, historischen und literarischen Kontexte der auf den ersten Blick manchmal unscheinbaren oder unverständlichen Kunstwerke.
Zu sehen sind Aufkleber, Flugblätter, Graffiti und komplexe Installationen, die unmittelbar nach Beginn der russischen Invasion auf den Straßen russischer Städte auftauchten. Ein mutiger Protest, denn die Repressionen gegen Andersdenkende in Russland haben ein enormes Ausmaß erreicht. Wer kritische Straßenkunst wie diese schafft, riskiert eine Geld- oder gar Haftstrafe.
Um einer Bestrafung zu entgehen, versuchen viele ihren Protest zu verschleiern. Im September 2022 schrieb etwa die junge Russin Alisa Klimentova „Net V***E!“ [Kein Krieg] auf den Bürgersteig. Sie wurde verhaftet. Vor Gericht erklärte Alisa, dass der von ihr geschriebene Satz eigentlich „Net VOBLE“ (Name einer Fischart) bedeutet, weil sie diesen Fisch nicht mag. Im Russischen klingen die Wörter „Krieg“ (voina) und eben jene Fischart (vobla) ähnlich und haben die gleiche Anzahl von Buchstaben.
Der Richter befand dies als stichhaltig und ließ sie gehen, aber als die Geschichte bekannt wurde, wurde sie erneut vor Gericht gestellt, ihr Fall wurde überprüft und sie wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Der beliebte russische Speisefisch ist damit zu einem Symbol des Antikriegs-Widerstands geworden. Aus diesem Grund trägt auch die Ausstellung diesen Namen.
„Es ist eine einmalige, unter die Haut gehende und wichtige Ausstellung. Sie zeigt, dass die durch massive Polizeigewalt und Propaganda in ihrer freien Meinungsäußerung unterdrückte russische Zivilgesellschaft dennoch höchst kreative Ausdrucksformen findet, ihrem Protest Luft und sich selbst Mut zu machen, indem sie den Angriffskrieg kritisch reflektiert und ihm u. a. mit Trauer, Humor und Sarkasmus begegnet“, sagt Dr. Susanne Jaeger (GWZO), die die Realisierung der Ausstellung gemeinsam mit den Kolleg/-innen der FSO betreute.
Die digitale Ausstellung wird gemeinsam vom Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) in Leipzig und der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen (FSO) begleitet und umgesetzt.
Zur Online-Ausstellung kommt man hier.
Das GWZO lädt alle Interessierten zu einer hybriden Ausstellungseröffnung ein:
„No wobble!“ | „Нет вобле!“, Russian Anonymous Street Art Against War 2022/23 – A Virtual Exhibition, Mittwoch, 25. Oktober, 15 Uhr, Ort: Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO), Reichsstraße 4–6 (Specks Hof), 04109 Leipzig, 4. Etage, Konferenzraum/Online
Zur Online-Anmeldung kommt man hier.
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