Es riecht nach trockenem Stroh im Atelier der Leipziger Künstler*innen Helge und Saxana. In Ballen liegt es herum, die gelbgrauen Halme haben ihren Weg in jede Ecke gefunden. Für einige Wochen ist der kleine Raum zu einer Ausstellung geworden – mit Kunst aus dem kleinen, deutschlandweit bekannten Dorf am Rande des Braunkohletagebaus Garzweiler II.
Fast eine Stunde raus aus Leipzig sind sie gefahren, um das Stroh von einem Hof zu besorgen. Aber ohne das ging es nicht, erzählt mir Jake.
Jake hat selbst vor und während der Räumung in Lützerath, auch liebevoll Lützi genannt, gelebt. Jetzt haben Jake und einige andere Menschen die Wanderausstellung „Lützer Art“ gemeinsam mit dem kurz vorher gegründeten Kunstverein von Helge und Saxana „Kunstverein 1,5°“ nach Leipzig geholt. Sie versammelt Fotografien, Malereien, Skizzen, Videos, Holzarbeiten, sogar ein Action-Kostüm aus der Räumung, eine Barrikade. Rund 40 Menschen aus Lützerath, Anwohner*innen, Aktivist*innen und Künstler*innen stellen aus.
Die Ausstellung dokumentiert ein Leben in Lützerath, wie es Medienberichte nicht einfangen konnten, von innen heraus. So steht hier mitten im Raum: Ein großer Tripod, ein Gestell aus drei Pfählen, die oben mit Seil verbunden sind. In Lützerath wurden sie verwendet, weil sie ein Hindernis für Räumfahrzeuge bieten. Kletterer*innen setzen sich unter die Spitze des Tripods und müssen erst heruntergeholt werden, bevor die Maschinen weiterfahren können.
Ende Januar wurde die Ausstellung das erste Mal in Köln, damals noch mit deutlich weniger Künstler*innen, eröffnet. Die Kunstwerke wandern dorthin, wo es Menschen gibt, die ihnen einen Raum geben und sich um sie kümmern: So selbst organisiert, wie in Lützerath alles war. Sie war unter anderem in Heidelberg und München. Potenzielle nächste Stationen sind Berlin und Hamburg.
Ich habe mit Helge Hommes und Jake, beide Künstler*innen und Aktivist*innen darüber gesprochen, wie sie die Atmosphäre von Lützerath auf so kleinem Raum wieder erlebbar machen wollten, was der Prozess mit ihnen selbst gemacht hat und wie sie dadurch ein anarchistisches Bild von Kunst zwischen Professionalisierung und Aktivismus versuchen.
Wie hast du die Vorbereitung der Ausstellung erlebt, Jake?
Jake: Der Aufbau war sehr krass und emotional. Als ich das erste Mal hierhin gekommen bin, sind mir fast die Tränen gekommen. Da stand das alles noch nicht, aber allein die Bilder von Helge und Saxana und auch wie viele Menschen parallel zum Thema Klima, Kohle und Anarchismus arbeiten, das hat mich vom Hocker gehauen.
Ich glaube, dass viele Menschen, die selbst in Lützerath waren, sehr emotional auf das alles reagieren werden. So wollten wir die Ausstellung auch aufbauen. Wir haben darauf geachtet, einen Kompromiss zu finden zwischen einer … na ja … „ernstzunehmenden Kunstausstellung“ und trotzdem diesen Lützi-Vibe zu erhalten.
Also das improvisierte, selbstgemachte?
Jake: Ja, also glaubwürdig, real zu sein. Das wäre ja der Wahnsinn, wenn diese Ausstellung eines Tages in einem krassen Museum landet, aber die Leute, die das organisieren, nur noch so Städter sind, die mit dem Ganzen nichts am Hut haben.
Für dich ist es das erste Mal, dass du eine Ausstellung mit vorbereitet hast. Wie seid ihr dabei vorgegangen?
Jake: Die anderen hatten da mehr Erfahrung, auch aus den letzten Ausstellungen. Ich habe das aus dem Bauch heraus aber ganz gut hinbekommen, auch wenn es mehr Arbeit war, als ich dachte. Mensch merkt, was das Kunstwerk braucht, damit es richtig im Raum steht. Dann mussten hauptsächlich Prioritäten gesetzt werden, denn wir konnten in diesem kleinen Raum nicht alles unterbringen. Einige große Arbeiten, die auch in Lützerath waren, konnten wir nicht hier einfach in irgendeine Ecke stellen.
Es ist eine sehr diverse Ausstellung. Es hat einen dokumentarischen Anspruch. Dann haben wir Fotos. Daneben die ganz schweren Sachen mit Räumungsbezug, zum Beispiel das Bild von dem gebrochenen Arm. Das ist heftig. Und dann die selbst gemalten Acrylbilder von Baumhäusern.
Helge: Es war wirklich eine richtige Findung, der ganze Prozess. Ich wollte zuerst den Tripod nicht. Dann habe ich aber gedacht: Wie komme ich dazu zu sagen, den Tripod will ich nicht, wenn Jake sich den so stark wünscht. Das hat sich dann gefunden.
Jake: Es war ein krasser Prozess. Meine Mitbewohnerin, die Kunstgeschichte studiert, meinte auch zu mir: Wie habt ihr zu sechst kuratiert? Sowas macht man normalerweise allein oder zu zweit. Dann wird das Ergebnis natürlich ein völlig anderes. Aber auch unser Anspruch war da ja ein anderer. Es waren zwei Seiten, die sich entgegengekommen sind: Der professionelle Hintergrund, zum Beispiel von Helge und Saxana und ich im Gegensatz wollte einfach ein bisschen machen. Für mich musste hier Stroh hin und es muss auch überall rumliegen, sonst ist das keine richtige Lützi-Ausstellung.
Helge: Und um Gottes willen durften wir keine Stühle aufstellen.
Der Anspruch der Ausstellung ist, Lützerath so zu zeigen, wie die Menschen vor Ort es erlebt haben und nicht wie die Medien es dargestellt haben. Ist euch das gelungen?
Jake: Ja schon. Es zeigt auf jeden Fall eine ganz andere Perspektive. Es ist nicht die Radikalo-Steine-schmeißen-Perspektive und auch nicht die Die-Welt-geht-unter-Perspektive. Die Ausstellung zeigt Lützerath von einer intimen Seite. Wenn man etwas malt und es jemandem zeigt, macht man sich verletzlich auf eine Art. Hier könnte natürlich jemand reinkommen und sagen, das ist alles Kitsch.
Helge: Dann kriegt er direkt um die Ohren gehauen: Es gibt nichts Zeitgemäßeres, als diese Werke. Sie kommen nicht daher und wollen ein Kunstwerk sein. Sondern sie sind Zeugnisse einer Gefühlswelt, die in einem jungen Menschen stattgefunden hat. Authentischer geht es nicht.
Jake: Und man sieht: Jeder bringt mit, was er hat. Es gibt ganz professionelle Kunst, große Kunstwerke. Aber auch in Lützi war es so, dass jeder mitbringt, was er kann und alle zusammen an einem großen Ganzen arbeiten. Das wird dann vielfältig.
Dort hinten liegen auch die matschigen Schuhe, die jemand in Lützerath anhatte. Da wäre ich nie drauf gekommen, dass das Kunst sein kann. Hier werden alltägliche Gegenstände aus Lützerath plötzlich zu Kunst.
Jake: Kunst hat zwei Facetten, denke ich. Zum einen der Skill, wie bei den Bildern von Helge. Er weiß einfach, wie man malt. Und dann gibt es das Emotionale. Ob man es schafft, dem eine Form zu geben, was durch Worte schwer auszudrücken wäre. Lützerath war so weit außerhalb der Normalgesellschaft, dass sich da ganz neue Dinge entwickeln konnten. Dinge, die Luft und Raum und Zeit brauchen. Solche revolutionären Momente gibt es nicht so oft. Deshalb ist das alles so schwer in Worte zu fassen. Durch Kunst geht das am besten. Kunst kann ein Gefühl fassen, das jeder verstehen kann, der hier reinkommt.
Ich stelle mir das auch sehr kompliziert vor, Kunst an so einem Ort zu machen. Wenn man geräumt wird, landet das in den Händen der Polizei und kann potenziell gefährlich für einen selbst werden. Ich selbst hatte Angst, dass von Lützerath kaum etwas bleibt außer Zeitungsartikeln und Fotos. Umso wichtiger und schöner ist es zu sehen, wie viele Dokumentationen und Zeugnisse es gibt.
Jake: Von mir selbst gibt es auch kein einziges Bild aus Lützerath. Da habe ich mich im Nachhinein sehr geärgert.
Die Wanderausstellung wird noch bis zum 15. Oktober an den Wochenenden in Leipzig zu sehen sein. Weitere Informationen dazu auf der Webseite und auf Instagram @luetzer_art
Öffnungstermine (ab dem 1. Oktober)
1. Oktober
7.–8. Oktober
14.–15. Oktober
jeweils 15–18 Uhr und nach Vereinbarung helgehommes@me.de
„Kunst von der Kante: Wanderausstellung „Lützer Art“ zeigt den Widerstand von innen heraus“ erschien erstmals im am 29.09.2023 fertiggestellten ePaper LZ 117 der LEIPZIGER ZEITUNG.
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