Seit 39 Jahren wird der Preis für politische Fotografie und Karikatur „Rückblende“ vergeben. Seit 20 Jahren sind die besten Arbeiten auch im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig zu sehen. Die Ausstellung dort wurde am Dienstag, dem 21. März, eröffnet. Und natürlich sind auch die Preisträgerarbeiten zu bestaunen. Wobei in diesem Jahr das Besondere ist, dass sich zwei Fotografen den Foto-Preis teilen: Bernd Kammerer und Boris Roessler.

Die Ausstellung ist beeindruckend – aber auch in gewisser Weise seltsam, als fehlte etwas, als sähe man nur einen winzigen Ausschnitt dessen, was geschehen ist und mit beeindruckenden Fotos in Zeitungen, Zeitschriften und auf Digitalportalen übers Jahr zu sehen war.

Was nicht heißt, dass die ausgewählten Fotos und Karikaturen nicht beeindruckend sind.
Zum geteilten Siegespreis teilen die „Rückblende“-Veranstalter mit: „Außergewöhnliche Jahre erfordern ungewöhnliche Entscheidungen: Für das Jahr 2022 wird es zwei erste Foto-Preisträger der Rückblende geben.

Die Jury entschied, dass das Foto von Bernd Kammerer von einer Solidaritätskundgebung für die Ukraine in Frankfurt sowie die Drohnen-Aufnahme von Boris Roessler vom Waldbrand bei Münster (Hessen) so gelungen seien, dass beide ausgezeichnet werden.“

Frankfurt/Main, 4. März 2022: Mehrere tausend Menschen nehmen auf dem Römerberg in Frankfurt an einer Solidaritätskundgebung für die Ukraine teil. Dabei ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj live auf einer Leinwand zugeschaltet. Foto: Bernd Kammerer
Frankfurt/Main, 4. März 2022: Mehrere tausend Menschen nehmen auf dem Römerberg in Frankfurt an einer Solidaritätskundgebung für die Ukraine teil. Dabei ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj live auf einer Leinwand zugeschaltet. Foto: Bernd Kammerer

Noch deutlicher wird die Engsicht der Jury beim Karikaturenpreis, der diesmal für Motive vergeben wurde, die nach einem Jahr Krieg gegen die Ukraine nur noch platt und abgelatscht, aber nicht ein bisschen witzig wirken: „Den Karikaturenpreis der Deutschen Zeitungen erhalten die Karikaturisten Achim Greser und Heribert Lenz, die im Duo arbeiten. Sie zeigen den russischen Präsidenten Vladimir Putin als Kriegsverbrecher.

Diese drei Bilder konnten die Jury des deutschen Preises für politische Fotografie gemeinsam mit dem Karikaturenpreis der deutschen Zeitungen überzeugen, der von der Landesvertretung Rheinland-Pfalz und dem Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger e. V. (BDZV) heute in Berlin vergeben wird.“

Nicht viel witziger ist Klaus Stuttmanns Karikatur aus dem Tagesspiegel „Stolz auf seinen neuen Tisch …“, die Putin an einem überlangen Sarg zeigt, wofür es den 2. Preis gab.

Und geradezu plakativ ist der 3. Preis: Burkhard Mohrs „Die Ampel nimmt Fahrt auf“, die im Oktober 2022 in der „Süddeutschen“ erschien und alle Plattitüden, welche die deutschen Zeitungen in ihrer Berichterstattung zur Bundespolitik derzeit pflegen, auf einen Punkt bringt. Da muss man sich nicht wundern, dass die Bürger mit lauter Verachtung auf „die da in Berlin“ schauen.

Die Begründungen zu den Preisträgern

Der Frankfurter Fotograf Bernd Kammerer erhielt einen ersten Preis für das „Beste Foto 2022“ in Höhe von 3.500 Euro. Seine Aufnahme zeigt eine Solidaritätskundgebung mit der Ukraine. Auf dem Frankfurter Römer sind hunderte Menschen zu sehen, die nach dem russischen Überfall gegen den Krieg protestieren. In der Mitte leuchtet ein Bildschirm, auf dem Präsident Wolodymyr Selenskyj zugeschaltet ist.

Die Jury lobte die Qualität der Aufnahme in Hinsicht auf Bildausschnitt, Detailtiefe und Licht. Das Foto stehe sinnbildlich für die Unterstützung, welche die Menschen in Deutschland den Ukrainerinnen und Ukrainern entgegenbringen und für die große Bestürzung über den brutalen Angriff durch Russland.

Der weitere erste Preis, ebenfalls 3.500 Euro, ging an Boris Roessler, der bereits 2008 die Rückblende gewonnen hatte. Er hat mit einer Drohnen-Kamera Bilder eines Waldbrands nahe Münster (Hessen) angefertigt. Die ausgezeichnete Aufnahme zeigt mehrere Löschfahrzeuge an einer Kreuzung. Bildschnitt und Detailtiefe sind hier entscheidende Qualitätsmerkmale.

Die Karikatur von Greser & Lenz nimmt die Skrupellosigkeit und absolute Machtfülle des russischen Präsidenten aufs Korn. Dieser schreitet im Bademantel, verziert mit dem russischen Doppeladler, auf einem roten Teppich durch den Kreml. In Richtung eines salutierenden Soldaten erfolgt die Anweisung „Igor, richten Sie mir ein Blutbad an“, was die Absolutheit seiner autokratischen Herrschaft und die Verletzung aller internationalen Regeln durch den Angriff auf die Ukraine pointiert zuspitzt.

Zu den weiteren Gewinnern der Rückblende 2022 zählt Filip Singer, der für die „Beste Serie 2022“ mit einer Leica-Kamera ausgezeichnet wurde. Die Bilder der Serie „Ukraine-Flüchtlinge aus Odessa heiraten in Berlin“ zeigen, wie jüdisches Leben nach der Flucht aus dem Krieg weitergehen kann. Den von der Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz gestifteten Preis „Das scharfe Sehen“ mit einem Preisgeld von 3.000 Euro gewinnt Florian Gaertner für seine Aufnahme vom Rande einer Kabinettsklausur. Sie zeigt Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Lindner als Schattenrisse in einem Gespräch.

In der Kategorie Karikatur überzeugte auch Klaus Stuttmann mit seiner Zeichnung des riesigen Tisches im Kreml als Sarg. Der Tisch war häufig in den Medien zu sehen, da Putin an ihm Staatsgäste empfängt. Stuttmann erhält den mit 2.000 Euro dotierten „2. Preis Karikatur“. Der 3. Preis geht an Burkhard Mohr, er erhält 1.000 Euro. Mohr zeichnete Politikerinnen und Politiker der Ampel-Koalition im Zusammenhang mit der Freigabe von Cannabis. Alle Karikaturenpreise stiftet der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger.

Branchenschau oder nur kleiner Ausschnitt?

Arbeiten eingereicht zur „Rückblende 2022“ hatten 246 Fotografinnen und Fotografen sowie 63 Karikaturistinnen und Karikaturisten. Insgesamt wurden für den Wettbewerb zum deutschen Preis für politische Fotografie und Karikatur 1.363 Arbeiten eingereicht. Die Deutung des politischen Jahres 2022 mit dem besten Foto war mit 7.000 Euro dotiert (wurde in diesem Jahr geteilt vergeben), die beste Karikatur mit 5.000 Euro.

Jury-Vorsitzende Staatssekretärin Heike Raab erklärte: „Freie und unabhängige Medien, die vertrauensvolle und verlässliche Informationen liefern, sind eine Säule für die Demokratie. Darum geht es auch in der Rückblende: Sie zeichnet jedes Jahr die besten politischen Fotografien und Karikaturen aus. Denn deren Bilder bringen die Wahrheit auf den Punkt, schaffen das bildhistorische Gedächtnis unserer Gesellschaft. Die Rückblende ist in jedem Jahr somit immer auch ein Statement für Meinungs- und Pressefreiheit.“

Sie dankte den 246 teilnehmenden Fotografinnen und Fotografen, den 63 Karikaturistinnen und Karikaturisten sowie allen Partnern der Rückblende. „Ohne Sie wäre die Rückblende als Branchenschau und vor allem als Würdigung des politischen Bildjournalismus in Deutschland, fotografiert oder gezeichnet, nicht möglich.“

Auch in diesem Jahr wird die Rückblende-Ausstellung mit den 75 besten Fotos, fünf besten Foto-Serien und 50 besten Karikaturen in einem „Showroom“ auf der Webseite www.rueckblende.rlp.de gezeigt.

Präsentiert werden die Bilder der „Rückblende 2022“ im Zeitgeschichtlichen Forum vom 22. März bis zum 23. April. Anschließend wird die Ausstellung im Haus der Geschichte in Bonn gezeigt.

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