Neben seiner Tรคtigkeit als Pathologe faszinierte Paul Geipel vor allem eines: die Kunst. Nachdem er 1911 mit Antritt seiner Professur eine gerรคumige Etagenwohnung in der Dresdener Altstadt bezogen hatte, fokussierte sich Geipel auf den Erwerb von Kunstgegenstรคnden. Sammelte er zunรคchst vor allem Bilder von Kรผnstler/-innen aus der Region, fing er in den 1920er Jahren mit dem systematischen Aufbau einer Sammlung an. Gemรคlde ab dem 15. Jahrhundert, darunter beispielsweise von Albrecht Dรผrer, fanden genauso Eingang in seine Galerie wie seinerzeit moderne Kunst.

Dank seines Umzugs nach Loschwitz blieb die Sammlung trotz der Luftangriffe auf Dresden erhalten. Einen GroรŸteil seiner gesammelten Werke โ€“ rund 10.000 โ€“ vermachte Geipel dem Schloss Hinterglauchau, sรผdlich von Leipzig. Weitere knapp 400 Objekte รผbergab er dem Museum der bildenden Kรผnste. Diese umfangreiche Schenkung zรคhlt heute zu den bedeutendsten im Osten Deutschlands.

Doch bei einigen der Geipel-Objekte ist die Herkunft ungeklรคrt โ€“ und der Prozess der Klรคrung ein schwieriger; vor allem in der Provinz. Mรถglicherweise handelt es sich bei einigen Gemรคlden und Skulpturen um NS-Raubgut. Das Museum der bildenden Kรผnste (MdbK) untersuchte seine Geipel-Sammlung bereits in einem Provenienzforschungsprojekt auf ungeklรคrte Besitzverhรคltnisse.

Rรผckgabe an jรผdische Erb/-innen

โ€žProvenienzforschung umfasst viele Fragestellungen: die Erforschung von Objekt-, Sammlungs- und Geschmacksgeschichte, die Erforschung von Werkstattzusammenhรคngen, Restauriergeschichte, Funktionsgeschichte, Fragestellungen zur Entwicklung des Kunstmarktes, Kolonialgeschichte, Zeitgeschichte. Sie ist Objekt- und Museumsgeschichte. Ein Teil dieser Fragestellungen berรผhrt die unrechtmรครŸigen Verbringungen, im Wesentlichen wรคhrend der NS-Zeit und wรคhrend der Zeit der sowjetischen Besatzung und in der DDRโ€œ, erklรคrte Stefan Weppelmann, Direktor des MdbK, im Gesprรคch mit der Leipziger Zeitung (LZ).

Natรผrlich wรผrde der Fokus zuerst auf Objekte gelegt, bei denen mรถglicherweise Handlungsbedarf besteht โ€“ so auch im Fall Geipel.

Geipel kaufte damals seinem Nachbarn Richard Mรผller in Dresden-Loschwitz einige Werke ab. Wรคhrend des Projektes stellte sich heraus, dass zwei aus jรผdischem Besitz stammten. Es ist davon auszugehen, dass Paul Geipel davon keine Kenntnis hatte, als er seine Sammlung dem MdbK vermachte. Die Skulpturen Galatea und das Portrรคt Reinhold Meyer von Max Klinger wurden an die Erben der ehemaligen Eigentรผmer/-innen zurรผckgegeben.

Das Museum der bildenden Kรผnste, eine der umfangreichsten Kunstsammlungen Deutschlands, konnte die Provenienzforschung durch einen Fรถrdermitteltopf des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste finanzieren. Und bereits in den Jahren zuvor waren drei kleinere Provenienzprojekte realisiert worden.

Alte Handelsbรถrse. Foto: Antonia Weber
Alte Handelsbรถrse. Foto: Antonia Weber

Wo Licht ist, ist auch Schatten: Wenig Personal, kaum Erfahrung

Auf der Fachtagung zur Provenienzforschung am 30. Januar 2023 in der Alten Handelsbรถrse in Leipzig malt die Leiterin des Schlosses Glauchau ein komplizierteres Bild von der Provenienzforschung. โ€žWir sind ein vergleichsweise kleines Haus und sehr stolz darauf, nun auch solch ein Projekt realisieren zu kรถnnenโ€œ, so Wiebke Glรถckner. โ€žDoch wo Licht ist, ist auch Schatten.โ€œ

Mit dem Ende des Geipel-Projektes am MdbK vergab das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste seinen nรคchsten Fรถrdermitteltopf an das Schloss Glauchau. Die 10.000 hier ausgestellten Objekte, das Herzstรผck des Museums, wurden seit 2021 zunรคchst von einer Provenienzforscherin begutachtet. Dieser wurde jedoch mitten in der Projektphase eine feste Stelle angeboten und sie verlieรŸ das Museum Glauchau und die Arbeit an der Geipel-Sammlung.

โ€žWir mussten nicht ganz von vorne anfangen, aber es war schon ein herber Rรผckschlagโ€œ, erzรคhlt Glรถckner. Man habe recht schnell einen neuen Provenienzforscher, Ronny Licht, fรผr das Projekt anstellen kรถnnen. Dennoch gibt es im Provinz-Museum eigentlich keine Strukturen fรผr eine Provenienzforschung.

Wiebke Glรถckner vom Schloss Glauchau auf der Fachtagung Provenienzforschung. Foto: Antonia Weber
Wiebke Glรถckner vom Schloss Glauchau auf der Fachtagung Provenienzforschung. Foto: Antonia Weber

Negative Schlagzeilen in der lokalen Presse

Trotzdem habe man sich der Herausforderung gestellt und konnte 90 kunsthandwerkliche Objekte ausmachen, die nun einer nรคheren Betrachtung hinsichtlich ihres Erwerbungskontextes unterzogen werden. Alle wurden ab 1933, in der NS-Zeit, von Paul Geipel erworben.

โ€žAber dann kamen die ersten lokalen Medienberichteโ€œ, erinnert sich Glรถckner. รœberschriften wie โ€žVorgehensweise ist verwunderlichโ€œ und Kommentare wie โ€žMan muss aufpassen, dass das Ansehen Prof. Geipels nicht beschรคdigt wirdโ€œ, zierten die Lokalzeitungen. โ€žDem Projekt wurde wenig Gutes zugesprochen. Das hat mich schon sehr getroffenโ€œ, erzรคhlt Glรถckner auf der Fachtagung Provenienzforschung.

โ€žWir wollten uns nie von Paul Geipel distanzieren, sondern verantwortungsvoll mit unserem Erbe umgehen und das Unrecht anerkennenโ€œ, schlieรŸt Wiebke Glรถckner. Das Projekt am Schloss Glauchau wird Ende 2023 auslaufen. Die Leiterin schaut hoffnungsvoll in die Zukunft โ€“ und freut sich darรผber, dass auf der Fachtagung auch und vor allem darรผber gesprochen wird, wie man kleinen Hรคusern bei der Erforschung ihrer Sammlung unter die Arme greifen kann.

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