Seit September sind im Museum der bildenden Kรผnste (MdbK) zwei Ausstellungen international bekannter Kรผnstler/-innen zu sehen. Mit vernรคhten Jute-Sรคcken greift Ibrahim Mahama das Thema der Verantwortung, im Rahmen von postkolonialen und kapitalistischen Strukturen, auf. Chiharu Shiota installierte derweil ein monumentales Werk, das im Zeichen der Coronapandemie steht.

Gehรผllt in Staub: Ibrahim Mahamas โ€žDrei Assemblagen aus vernรคhter Juteโ€œ

Der Geruch von Staub, Kakao und Kohle erfรผllt die Bibliotheksterrasse im Museum der bildenden Kรผnste (MdbK). Wรคnde und Boden sind bedeckt von zusammengenรคhten Jute-Stรผcken. Die Sรคcke, in denen ursprรผnglich verschiedene Waren transportiert worden, stammen aus Ghana. Dem Geburtsland des Kรผnstlers, der die โ€žDrei Assemblagen aus vernรคhter Juteโ€œ in das MdbK brachte: Ibrahim Mahama. Der 34-Jรคhrige wurde international bekannt, als er kurz nach Studienende 2015 als jรผngster Kรผnstler an der Kunstbiennale in Venedig teilnahm.

Ibrahim Mahama im Museum der bildenden Kรผnste (MdbK). Foto: Antonia Weber

Sein Beitrag mit dem Titel โ€žOut of Boundsโ€œ war denkbar radikal. Mahama kleidete die hohen AuรŸenmauern des Veranstaltungsortes in monumentale Assemblagen aus zusammengenรคhten Jute-Stรผcken. Mahama erhielt die Stoffe im Tausch. So gibt er neue Sรคcke fรผr gebrauchte.

Die Nรคharbeit, aus der die riesigen Jute-Flรคchen entstanden, wurde anschlieรŸend von ghanaischen Arbeiter/-innen. Tausch und gemeinschaftliche Neuproduktion sind fรผr das Verstรคndnis seiner Werke bedeutsam.

Ibrahim Mahama im Museum der bildenden Kรผnste (MdbK). Foto: Antonia Weber

Wie auf der Biennale geben die vom Gebrauch gezeichneten Jutebahnen auch im MdbK nur hier und dort, wo das Material zerschlissen ist, den Blick auf das Mauerwerk frei. Die Sรคcke sind ihrer ursprรผnglichen Funktion enthoben, nicht lรคnger รผber Mรคrkte und Ozeane zirkulierend.

Mahamas Werk fordert die Besucher/-innen indirekt auf, sich den globalen Handel, Konsum und Kapitalismus, aber auch die Kolonialgeschichte seines Landes ins Bewusstsein zu rufen. Ghana war bis zur Unabhรคngigkeit 1957 wegen seiner Rohstoffe als โ€žGoldene Kรผsteโ€œ bekannt.

Ibrahim Mahama im Museum der bildenden Kรผnste (MdbK). Foto: Antonia Weber

Interessant hierbei sind auch bunte Fรคden, Modeschmuck und schimmernde Knรถpfe, die in den Jutestรผcken vernรคht sind. Wofรผr sie stehen โ€“ Individualitรคt der Nรคher/-innen, ein Schimmer Hoffnung im System der Ausbeutung oder etwas anders โ€“ lรคsst der Kรผnstler offen.

Andere Gedanken zu seinem Werk, Fotos der Entstehung und Notizen zu den Arbeitsschritten hat Mahama hingegen in mehreren Skizzenbรผchern festgehalten, die ebenfalls im MdbK zu sehen sind. โ€žDrei Assemblagen aus vernรคhter Juteโ€œ ist noch bis zum 23. Januar 2022 im Cafรฉ und der Bibliotheksterrasse zu sehen.

Ibrahim Mahama โ€žDrei Assemblagen aus vernรคhter Juteโ€œ: 18. September 2021 bis 23. Januar 2022

Die Abwesenheit des Physischen: Chiharu Shiotas โ€žInternal Lineโ€œ

Wรคhrend man Mahamas Werk riecht, bevor man es sieht, ist Chiharu Shiotas Installation โ€žInternal Lineโ€œ von Anfang an kaum zu รผbersehen. Einer haushoher Block aus roten Fรคden taucht die groรŸe Terrasse im zweiten Obergeschoss des Museums in eine Welt aus Stoff und Licht.

Shiota ist fรผr raumgreifende Arbeiten bekannt, die wie gigantische Gewebe anmuten. Darin verbindet sie Malerei und Zeichnung mit den Dimensionen des Rรคumlichen. Es entstehen Werke, die in den Raum hineinschraffiert sind.

Oft verdichten sich tausende einzelner Fรคden zu organischen Strukturen. In diesem Fall sind es รผberdimensionale Kleider, die wie Traumbilder aus dem Gewebe aufzusteigen scheinen.

Chiharu Shiota im Museum der bildenden Kรผnste (MdbK). Foto: Antonia Weber

Die Werke der 49-Jรคhrigen berรผhren zumeist zentrale Themen unserer Existenz. โ€žInternal Lineโ€œ entstand 2019. Dieses Jahr wird in der kollektiven Erinnerung mit der Entdeckung des Coronavirus verbunden sein. Unser Leben wurde und wird vom Wechsel zwischen Nรคhe und Abstand, von der Suche nach Austausch und von gleichzeitiger Angst vor zu groรŸer physischer Nรคhe geprรคgt. Die gigantischen Kleider sind leer und werden damit zu Metaphern dieser Abwesenheit physischer Kรถrper.

Die Installation wurde von der Kรผnstlerin extra fรผr das MdbK adaptiert und ist erstmals in Europa zu sehen. Das Museum erรถffnet damit eine neue Reihe, bei der in regelmรครŸigem Wechsel bedeutende Positionen der internationalen, zuweilen auรŸereuropรคischen Gegenwartskunst in Leipzig vorgestellt werden.

โ€žWir mรถchten die Welt ins MdbK holen und damit neue, stets zeitaktuelle Perspektiven zulassen, die auch der viel zitierten Weltoffenheit unserer Stadt Ausdruck verleihenโ€œ, so die Museumsleitung.

Chiharu Shiota, โ€žInternal Lineโ€œ: 23.09.2021 bis 27.03.2022

Informationen zu ร–ffnungszeiten und Preisen finden Sie auf der Seite des Museums der bildenden Kรผnste.

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