Da war selbst Anselm Hartinger, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums, verblüfft, dass sich augenscheinlich kein anderes großes Museum in Deutschland in diesem Jahr für Karl Liebknecht interessiert hat. Obwohl der Mann am 13. August 150 Jahre alt geworden wäre. Augenscheinlich haben die Historiker bundesweit derzeit eher Bismarcks Reichsgründung im Kopf. Auch 2019 kam er schon zu kurz als 100 Jahre Novemberrevolution gefeiert wurden.
Woran liegt es? Sicher auch daran, dass die Geschichtswissenschaft ihn einfach nicht einordnen kann. Er passt nicht in die „großen Linien“. In der DDR wurde er zusammen mit Rosa Luxemburg vier Jahrzehnte lang als Märtyrer gefeiert.Aber das konnte nicht kaschieren, dass er eigentlich zu den Verlierern der Geschichte gehörte, nicht nur, weil er zusammen mit Rosa Luxemburg am 15. Januar 1919 ermordet wurde, sondern auch, weil der von ihm mitgetragene Spartakusaufstand scheiterte und die Revolution sich eben nicht weiterdrehte zur Errichtung einer sozialistischen Republik, die er ja vor einer riesigen Menschenmenge propagierte.
Die Massenbilder gehören zu den Ikonen der deutschen Geschichte. Doch sie trügen, wie auch Dr. Johanna Sänger betont, die Kuratorin der Ausstellung, die am heutigen 11. August in der kleinen Kabinettsausstellung im Böttchergässchen eröffnet wird.
Denn auch wenn die Soldaten und Matrosen, die den Spartakusaufstand in Berlin trugen, hofften, die gerade eingesetzte Übergangsregierung von Friedrich Ebert (SPD) stürzen zu können, blieb der Aufstand isoliert, wurde dann auch von den von Ebert herbeigerufenen Truppen blutig niedergeschlagen. Luxemburg und Liebknecht mussten untertauchen, wurden aber trotzdem von den Freikorps gefunden und ermordet.
Kein Platz in der Sicht auf deutsche Geschichte?
Wie die beiden zu Tode kamen, ist nicht wirklich das große Rätsel an der Geschichte. Es wird eher zum Rätsel gemacht, weil auch große heutige Geschichtswissenschaft sich schwertut mit dieser frühen Allianz der Ebertschen Übergangsregierung mit den neu entstehenden Freikorps, die sich schon bald radikalisierten und die Republik tatsächlich bedrohten, etwas was den Spartakuskämpfern nie gelang, auch wenn ihr Aufstand die Nationalversammlung zwang, nach Weimar auszuweichen.
Man ist hier genau in der Geburtszelle der heute noch benutzten Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus, die vor allem immer zu einem gedient hat: die Radikalität und Brutalität der Rechtsextremisten zu verharmlosen.
Wer sich mit Karl Liebknecht beschäftigt, muss sich mit diesem deutschen Schisma beschäftigen, das sich in der zunehmenden Radikalisierung des politischen Kampfes in der Weimarer Republik genauso austobte wie im Scheitern der Republik im Jahr 1933. Mit Rosa Luxemburg, die sich streitbar auch mit Lenin, dem großen Revolutionsführer in Russland anlegte, ist es einfacher.
Es stört wenig, wenn man ihren Spruch von der „Freiheit der Andersdenkenden“ immer wieder plakatiert, als hätte er 1988, als sich die Bürgerbewegung der DDR mutig zu Wort meldete, dieselbe Bedeutung wie heute oder wie 1917. Was falsch ist. Er wird jedes Mal anders interpretiert.
Und vergessen wird meist, dass Luxemburg die Andersdenkenden innerhalb der Partei meinte, die damals noch sozialdemokratisch hieß. Sie sah die blutigen Konsequenzen von Lenins Denkweise, der seine Partei zu einer eingeschworenen Kampfpartei machen sollte, die funktionierte wie eine Armee. Die Folgen kennen wir alle. Sie waren das Stalinsche Blutregime.
In diesem Kampf der Linken mit den Linken spielt aber Karl Liebknecht keine Rolle, auch wenn er gerade zum Jahreswechsel 1918/1919 scharfzüngig gegen Friedrich Ebert und die SPD polemisierte, innerhalb derer sich die von ihm initiierte Spartakusgruppe gebildet hatte. Ursprünglich als jenes Häuflein überzeugter Kriegsgegner, die die Burgfriedenspolitik der SPD-Führung im Ersten Weltkrieg nicht mehr mittragen wollte.
Schon 1907 fand vor dem Reichsgericht in Leipzig ein Hochverratsprozess gegen Karl Liebknecht wegen seiner gerade veröffentlichten Schrift „Militarismus und Antimilitarismus“ statt. Einen ähnlichen Prozess hatte ja auch schon Karls Vater Wilhelm Liebknecht erlebt.
Auch der fand in der jüngeren Geschichtsrezeption kaum Widerhall, als wäre Kriegsgegnerschaft nicht mehr erwähnenswert, als spielte das Problem nach zwei verlorenen Weltkriegen in Deutschland keine Rolle mehr, obwohl Deutschland noch immer zu den größten Rüstungsexporteuren der Welt gehört und deutsche Soldaten gerade aus einem der sinnlosesten Kriege der Neuzeit, dem in Afghanistan, zurückgekehrt sind.
Antimilitarismus als Ausschlusskriterium?
Nein: Karl Liebknecht als Antimilitarist ist nicht vergessen, weil das Thema von der Agenda verschwunden wäre, sondern weil es nach wie vor ein Dorn im Fleische ist. Genauso wie die Frage, warum sich dieser Karl Liebknecht am Ende so radikalisierte und den Spartakusaufstand unterstützte, obwohl schon bald klar war, dass dieser nicht das Zeug hatte, die Revolution noch weiter zu verschärfen.
Nicht nur die Arbeiter, auch die meisten Soldaten und Matrosen hatten im November 1918 gestrichen die Nase voll vom Krieg. Und wie kam ein erklärter Kriegsgegner – und Liebknecht war ja gerade wegen seiner Ablehnung der Kriegskredite und seiner scharfen Reden gegen den Krieg ins Gefängnis gesteckt worden – dazu, jetzt zur Gewalt aufzurufen?
Eine gute Frage, die die kleine Ausstellung im Kabinett des Stadtgeschichtlichen Museums auch stellt. Eine Ausstellung, die nun augenscheinlich die einzige sein wird, die sich mit Karl Liebknecht deutschlandweit so intensiv beschäftigt. Und das ganz sichtlich nicht apologetisch, wie er in der DDR 40 Jahre lang dargestellt wurde.
Die 100 ausgestellten Dokumente und Bilder zeigen Liebknecht auch in seiner Widersprüchlichkeit, ergänzen die im Museumsfundus gesammelten Lebenszeugnisse des in Leipzig Geborenen um Bilder und Sichtweisen der Zeitgenossen, die nicht nur Karl Liebknecht verteufelten, sondern auch die SPD.
Flugblätter gegen den Krieg
Eine ganze Wand ist mit Flugblättern aus dieser Zeit gespickt, die meisten aus der Druckerpresse der Spartakus-Gruppe, die wortreich gegen den Krieg polemisieren. Und die Wortwahl war dabei schon genauso heftig wie heute in vielen Digitalkanälen. Oder vielleicht sollte man sagen: Wir erleben heute eine ähnliche Entfesselung von Wut und Hass wie in der Zeit im und nach dem Ersten Weltkrieg.
Und das nicht nur aus der linken Splittergruppe, aus der ja dann die KPD wurde, sondern noch viel schärfer und brutaler aus der rechten Propaganda. In keinem Geschichtsbuch dürfte das meuchelmörderische Plakat mit dem Aufruf „Schlagt ihre Führer tot!“ fehlen.
Und mit Luxemburg und Liebknecht haben sie nun einmal die Führer der jungen KPD totgeschlagen. Wortwörtlich. Auch deshalb konnten beide zu Märtyrern gemacht werden, weil niemand weiß, wie sie sich in den „Mühen der Ebene“ in der Weimarer Republik geschlagen hätten. Wir wissen es nicht. Durch seinen frühen Tod wurde Karl Liebknecht nie zu einer prägenden Gestalt der Weimarer Republik. Nur zu einer tragischen.
Wobei die von Johanna Sänger konzipierte Ausstellung auch die Frage stellt: War er eigentlich nur der Sohn seines berühmten Vaters und versuchte in dessen riesige Fußstapfen zu treten?
Kindheit und Jugend in Leipzig
Wie prägt eigentlich so ein Vater, der ja in Karls Kindheit regelrecht in Verbannung nach Borsdorf gehen musste, den Jungen, seinen Zweitältesten von fünf Söhnen? Oder war die Erziehung der Mutter – Natalie Liebknecht – viel prägender, die sich mit den Kindern jahrelang allein abplagen musste, auch in der Zeit, wo der Workoholic Wilhelm Liebknecht mal nicht verbannt war, aber fortwährend im Dienst der Partei und der Zeitung abwesend war?
Immerhin sorgte sie nicht nur dafür, dass die Kinder in der Wohnadresse Karl-Liebknecht-Straße 69 (damals Zeitzer Straße) gut behütet waren, sondern auch eine gute Schulbildung bekamen und studieren konnten. 1891 verließ Karl ja wegen des Studiums Leipzig und kehrte fortan nur noch sporadisch zurück. Was natürlich diese frühen 20 Jahre besonders spannend macht aus Leipziger Sicht.
Und mit einem vom Stadtgeschichtlichen Museum und der naTo gemeinsam organisierten Straßenfest auf der KarLi am 11. September wird das noch besonders thematisiert, dieses Leben der Familie Liebknecht in der noch sehr neuen Südvorstadt, quasi am Südrand der Stadt, die sich gerade erst mauserte zur großen Industriestadt und zu einer Hochburg der Arbeiterbewegung.
Karls politische Laufbahn begann erst wirklich nach seinem Studium in Berlin. Aber sie ist ohne den Vater und das sozialdemokratische Milieu, in dem er aufwuchs, nicht denkbar. Und da wird es auch für die heutige SPD interessant, denn Karls antimilitaristische Haltung ist eine ur-sozialdemokratische Haltung.
Er wirkte nur derart radikal, weil die älteren Herren in der Parteiführung lieber dem kriegstreibenden Kaiser folgten und die Legende vom Verteidigungskrieg glaubten. Und auch von der Unterstützung für den Krieg nicht abließen, bis sie im Herbst 1918 aus allen Wolken fielen, weil sich die ganze Siegespropaganda von Ludendorff und Hindenburg als Märchen entpuppte.
Was sehr wohl ein wenig erklären kann, warum sich Männer wie Karl Liebknecht derart radikalisierten und glaubten, die Ereignisse durch einen Aufstand noch weitertreiben zu können.
Filterblasen gab es auch 1919
Die kleine Ausstellung beantwortet all diese Fragen nicht, sondern formuliert sie eigentlich nur. Auch als Fragen an uns selbst und unsere Gegenwart – wie eben durch die Wand mit den Flugblättern, in denen uns ein nur zu vertrauter Ton entgegenschallt. Neigen politische Bewegungen nicht immer zur Radikalisierung, wenn sie aus ihren eigenen Filterblasen nicht mehr herauskommen? Und wie sahen diese Filterblasen im rein analogen Jahr 1919 eigentlich aus? Wie funktionierten sie?
Manche Bücher zum Entstehen der Weimarer Republik frappieren ja – so Jörg Sobiellas „Weimar 1919“ – dadurch, dass sie durch ihre Materialfülle erst sichtbar machen, wie vielfältig und widersprüchlich die Quellen der Zeit sind. Und damit auch die Sichtweisen der Akteure. Ein Punkt, den auch Anselm Hartinger für wichtig hält: Die Multidimensionalität der Geschichte überhaupt erst einmal sichtbar zu machen, was ja die Leipziger Ausstellung nur in ersten Ansätzen tun kann.
Und dabei hätte die Museumsmannschaft, so Hartinger, eigentlich fest damit gerechnet, dass andere Einrichtungen auch die nationale und internationale Dimension im Leben von Karl Liebknecht sichtbar machen würden. Nun aber ist Leipzig, wie es aussieht, die einzige Stadt, die den Mann würdigt. Und damit zumindest ein Zeichen setzt gegen die scheinbare Vergessenheit des Mannes, der nicht nur mit erheblichem Mut sein Buch gegen den Militarismus schrieb und zuerst ganz allein gegen die Kriegskredite stimmte.
Ist er deshalb unbedeutend geworden? Oder wird er bewusst ignoriert, weil er eben der so tragisch gescheiterten linken Geschichte in Deutschland zugerechnet wird, mit der man sich nicht mehr so recht beschäftigen mag, seit die selbst ernannten Erben Liebknechts und Luxemburgs 1990 so sanglos von der Bühne abtraten.
Wird die Karl-Liebknecht-Straße in Leipzig tatsächlich nur als schöne Kneipenmeile wahrgenommen? Oder steckt in dem Kürzel KarLi doch noch ein Fetzen Hochachtung für den Jungen aus der Braustraße (wo heute die Linkspartei ihr Büro im Geburtshaus von Karl Liebknecht hat), der früher als alle anderen gegen einen von Anfang an sinnlosen Krieg aufbegehrte? Schon dafür gehört er gefeiert.
Das kann man beim Straßenfest auf der KarLi am 11. September direkt tun. Man kann aber auch die kleine Ausstellung „Held oder Hassfigur?“ im Haus Böttchergässchen des Stadtgeschichtlichen Museums besuchen, die am heutigen Mittwoch, 11. August, eröffnet und bis zum 30. Januar 2022 gezeigt wird. Für so eine kleine Ausstellung sehr lange. Aber wahrscheinlich liegt Hartinger mit seinem Gefühl richtig, dass von Leipzig hiermit ein Anstoß ausgeht, sich mit der Figur Karl Liebknecht einmal unbefangen ganz neu zu beschäftigen.
Und die Ausstellungsbesucher dürfen auch selbst zu Wort kommen an einer Pinnwand, an der sie mit kleinen Zetteln kundtun können, ob sie ein Erinnern an Karl Liebknecht nun überflüssig finden oder sogar ein Denkmal für den Mann errichten würden.
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