So spannend fanden wir das nicht. Auch wenn die großen Magazine jedes Wochenende eine riesige Rezension über den letzten „Tatort“ veröffentlichen. Irgendwie scheint das für einen Teil unserer Gesellschaft tatsächlich so eine Art Kulturgut zu sein, das das Zeitgeschichtliche Forum seit dem 11. Juni in der Sonderausstellung „Tatort. Mord zur besten Sendezeit“ würdigt. Am 17. Juli aber verirrte sich ein alter Bekannter in die Ausstellung.

Die „beste Sendezeit“ sagt eigentlich alles. Millionen Bundesbürger setzen sich Wochenende für Wochenende vor die Glotze, nur um die neueste Folge eines „Tatorts“ zu sehen. So viel wertvolle Lebenszeit!„Sendezeit für die beliebteste und älteste Krimireihe des deutschen Fernsehens. Noch immer verfolgen etwa neun Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer jeden neuen ‚Tatort‘. Der in bekannten Städten und Regionen an vermeintlich realistischen Schauplätzen inszenierte Kriminalfilm ist eines der letzten ‚Lagerfeuer der Nation‘“, beschreibt das Zeitgeschichtliche Forum seinen Zugang zur gesellschaftlichen Wirkung dieser Fernsehkrimis.

Mit mehr als 500 Objekten, darunter Studiobauten, Requisiten und Kostüme prominenter Akteure, fragt die neue Ausstellung nach den Bedingungen dieses Erfolgs und stellt ihnen die Hintergründe der Reihe „Polizeiruf 110“ in der DDR gegenüber. Warum fanden bzw. finden die Kriminalfilme so großes Interesse? Wie realistisch sind die inszenierten Fälle, die Untersuchungen der Ermittlerinnen und Ermittler sowie ihrer Kollegen aus der Kriminaltechnik und Rechtsmedizin? Sind sie Abbild oder Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit?

Rechtsmedizin ist freilich das Stichwort. Denn natürlich greifen einige dieser meist hochdramatischen Sendungen auch realen Polizeialltag auf. Und wenn es Leichen gibt, kommen sie in der Regel alle ordentlich in die Rechtsmedizin, wo ein kompetenter Rechtsmediziner versucht, die Todesursache genau zu bestimmen. Und auch Spezialisten kommen zum Einsatz.

So wie Deutschlands berühmtester Kriminalbiologe Mark Benecke, bekannt durch eine ganze Reihe von Büchern, mit denen er den Leser/-innen das Abenteuer Forensik nahegebracht hat. Und er hat zur Ausstellung in Leipzig auch ein paar Leihgaben beigesteuert. Am 17. Juli hat er sich den Tatort einmal näher angeschaut und gleich noch ein bisschen Werbung für die Ausstellung gemacht, die bis zum 16. Januar 2022 in Leipzig zu sehen sein wird.

Marks Labor-Ausrüstung in TATORT-Ausstellung in Leipzig

Aber warum lockt das die Leute so vor den Bildschirm? Im Zentrum des Kriminalfilms steht in der Regel ein Mord. Die Darstellung der Gewalt spiegelt gesellschaftliche Entwicklungen: Während Tötungsdelikte real zurückgehen, wächst die Zahl der Toten auf den Bildschirmen. Warum schauen wir uns das an, fragt das Zeitgeschichtliche Forum.

Die Antwort der Ausstellungsmacher: Der Krimi am Sonntagabend bedient das offenkundige Bedürfnis nach spannender Unterhaltung und hat sich daher seit 1970 für viele als geradezu ritueller Ausklang des Wochenendes etabliert. Mit dem Aufgreifen regionaler Identitäten, der Verarbeitung politisch-sozialer Themen und der Inszenierung von Tod und Schuld ist der „Tatort“ darüber hinaus ein wichtiges Medium gesellschaftlicher Debatten.

„Polizeiruf 110“ in der DDR

Auch in der DDR konnte das von der SED gesteuerte Fernsehen auf ein solches Format nicht verzichten, obwohl das Verbrechen im „real existierenden Sozialismus“ eigentlich keinen Platz mehr haben sollte. Hier gehörte der Fernsehkrimi mit dem als Gegenstück zum „Tatort“ konzipierten „Polizeiruf 110“ ebenfalls zu den beliebtesten Sendungen. Die gesellschaftspolitische Wirklichkeit fand darin jedoch nur in Teilen Eingang.

Der Ausstellungsrundgang folgt der Dramaturgie des Kriminalfilms: Ein Fall ist zu lösen, die Polizei nimmt Ermittlungen auf, die – unterstützt durch Spezialisten in ihren Labors – zur Überführung und Verhaftung des Täters oder der Täterin führen. Am Ende bietet sich ein buntes Panorama zu den Produktionsbedingungen und zur Publikumswirkung des „Tatort“ und des „Polizeiruf 110“ der DDR. Die Besucherinnen und Besucher können sich in einem fiktiven Kriminalfall sogar selbst als Kommissar bzw. Kommissarin „für besondere Aufgaben“ bewähren.

Unterhaltsam und informativ lädt die neue Ausstellung dazu ein, über die Rolle von Realität und fiktionaler Erzählung im Fernsehen, aber auch über die Auseinandersetzung mit Schwerstkriminalität in der deutschen Gesellschaft nachzudenken, so das Zeitgeschichtliche Forum. Wer sich also von seinem Fernsehsessel lösen kann und in die Grimmaische Straße pilgert, kann sich jetzt noch ein paar Monate Gedanken darüber machen, warum er sich Wochenende für Wochenende blutige Fälle ins Wohnzimmer holt.

Ausstellung „Tatort. Mord zur besten Sendezeit“ (11. Juni 2021 bis 16. Januar 2022) im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. Öffnungszeiten: Di–Fr 9–18 Uhr; Sa, So, Feiertage 10–18 Uhr, Eintritt frei.

Voraussetzung für den Besuch ist die jeweils gültige sächsische Coronaschutzverordnung.

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