Das Beste verpasst auch ein Museumsdirektor, wenn er mal historisch werden will. An die Museumszeitung hat er gedacht, auch an eine Zeitung. Aber die Chance, auch mal eine โ€žLeipziger Zeitungโ€œ in die Zeitkapsel zu tun, hat Anselm Hartinger am Mittwoch, 14. Juli, grรผndlich versemmelt. Dabei ist die โ€žLeipziger Zeitungโ€œ auch schon wieder sechs Jahre alt. Natรผrlich viel zu wenig Zeit, um in den Blick eines Stadtmuseums zu geraten.

Natรผrlich gibt es keine Regeln fรผr das Befรผllen einer Flaschenpost oder Grundsteinkassette. Das machen die Befรผller meist nach eigenem Gusto. In der Regel packen sie eine oder mehrere Tageszeitungen hinein, damit die kรผnftigen Finder sich vielleicht darรผber wundern, was die Leute in der Gegenwart so aufgeregt hat, meist kommen dann noch ein paar Mรผnzen dazu, vielleicht auch ein paar nette Worte.Wobei Letzteres eher unรผblich ist, weil meist der Texter fehlt, der fรคhig wรคre, den Leuten in 100 Jahren etwas zu sagen, was die nicht sowieso schon wissen. Im Alten Rathaus waren auch die Bierflaschen ein erfreuliches Fundgut, als dort hinter der Holzvertรคfelung eine solche Flaschenpost gefunden wurde.

Das war vor drei Monaten. Da hรคtte man sich schon was einfallen lassen kรถnnen im Stadtgeschichtlichen Museum. Denn dass die Holzvertรคfelung wieder geschlossen werden wรผrde, war ja klar.

Auch wenn von auรŸen wenig zu bemerken ist, im Inneren des Alten Rathauses gehen seit Monaten die Handwerker ein und aus, zieht das Stadtmuseum jedenfalls Bilanz zum Stand der Sanierungsarbeiten im Alten Rathaus. In den ersten Wochen des Jahres musste zunรคchst das historische erste Obergeschoss komplett berรคumt werden.

Aus Sicht der Museumsmitarbeiter eine groรŸe logistische Herausforderung angesichts der Fรผlle von wertvollen jahrhundertealten Kunstwerken, Ausstellungsvitrinen, historischem Mobiliar, Kronleuchtern etc. Was nicht transportabel war, wie z. B. eine alte Kanzel, die Kamineinfassungen des 16. Jahrhunderts oder der historische Kachelofen in der Ratsstube, wurde aufwendig eingehaust und geschรผtzt.

Bevor im Anschluss die Elektriker damit beginnen konnten, die veralteten Leitungen freizulegen und auszutauschen, mussten in Festsaal und Ratsstube auch die hรถlzernen Wandvertรคfelungen abgenommen und gesichert werden. Sie stammen vom groรŸen Rathausumbau von 1906 bis 1909. Dabei machten die Mitarbeiter der Tischlerei Lutz Dost aus Fuchshain im April dieses Jahres nun eine รผberraschende Entdeckung. Hinter der Verkleidung verbarg sich eine Nische und in dieser eine Bierflasche der Marke Riebeck mit einer Botschaft darin.

Der Tischlermeister der Firma Gรผndel & Busse schreibt darin am 13.03.1909 รผber die Fertigstellung der Wandverkleidung โ€“ er benutzt den altertรผmlichen Begriff โ€žLamperieโ€œ dafรผr โ€“ bei โ€žfurchtbarem Schneewetterโ€œ. Inhaber dieser Firma waren Wilhelm Busse und Heinrich Gรผndel mit einer Fabrik in Neu-Mockau und einer Niederlassung in der Hamburger StraรŸe, wie man dem Leipziger Adressbuch von 1909 entnehmen kann.

Erwรคhnt sind auch die Mitarbeiter Willsenach und Kammel, die man ebenfalls im Adressbuch wiederfinden kann, den Tischler-Anschlรคger Oskar Willsenach aus LรถรŸnig und den Schlosser Adolph Kammel, wohnhaft in der ElisenstraรŸe (heute Bernhard-Gรถring-StraรŸe).

Da der Bauabschnitt Ratsstube nun vor der Fertigstellung steht und die Wandverkleidungen wieder angebracht werden kรถnnen, wird diese schรถne Tradition fortgefรผhrt und eine neue Zeitkapsel mit Botschaften an zukรผnftige Handwerker und Museumsbesucher/-innen eingelegt, meldet das Museum. Die Zeitkapsel enthรคlt unter anderem die eine Tageszeitung, Reproduktionen der alten โ€žFlaschenpostโ€œ, den stรคdtischen Baubeschluss zur aktuellen BaumaรŸnahme und eine Botschaft des Museumsdirektors Dr. Anselm Hartinger:

โ€žIn Anno Domini Zwei-Null-Zwei-Eins
Wird diese Kapsel zum Abbild des Seins.
Corona parieren,
das Rathaus sanieren,
dies war unser Werk โ€“ nun ergรคnze Du Deins!โ€œ

12.07.2021

Na ja, ob die doch eher bescheide Auswahl ein โ€žAbbild des Seinsโ€œ im Jahr 2021 bietet, darf man zu Recht bezweifeln. Eher werden sich die Leser der Botschaft รผber das holprige Reimen und die kryptischen Andeutungen wundern. Und das, obwohl diese Stadt ja auch im Jahr 2021 tatsรคchlich richtige Dichter/-innen beherbergt. Seid nachsichtig, liebe Nachkommen. Holt Euch die Lyrikbรคnde aus der Bibliothek. Kluge Bibliothekare werden Euch verraten, was man im Alten wie im Neuen Rathaus in der Regel vergisst: Es gibt tatsรคchlich lebendige Autor/-innen, nicht bloรŸ einen toten Schiller.

Auch die jetzt wieder im Alten Rathaus agierende Tischlerei Dost werde eine eigene Zeitkapsel beisteuern, meldet das Stadtmuseum noch. Vielleicht sind ja die Tischler etwas belesener.

Und so geht es weiter: Wรคhrend es in den kommenden Wochen fรผr die Elektriker mit den Bauabschnitten im Nord- und Ostflรผgel des Alten Rathauses weitergeht, wird parallel an der Sanierung der historischen Fenster sowie an der umfassenden Erneuerung von Besuchertresen und Garderobe gearbeitet.

Der Abschluss der BaumaรŸnahmen ist fรผr den Herbst geplant. Danach kรถnnen die Portrรคts der sรคchsischen Kurfรผrsten, des Reformators Martin Luther und des Thomaskantors Johann Sebastian Bach wieder Stรผck fรผr Stรผck an ihre angestammten Plรคtze zurรผckziehen. Im Frรผhjahr 2022 ist dann die Wiederรถffnung des Alten Rathauses fรผr Museumsgรคste geplant.

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