Bis zum 2. Oktober gibt es in der Gethsemanekirche in der Raschwitzer Straße 10 eine besondere Ausstellung zu sehen, die zeigt, dass die Friedliche Revolution auch ganz elementare Ursachen hatte wie die massive Umweltzerstörung im Leipziger Südraum. Der Fotograf Thomas Thiel hat die damaligen Ereignisse im Foto festgehalten. Und die Ausstellung zeigt auch das Gesicht der Orte, die bis 1989 dem Kohlebergbau zum Opfer fielen.
Und die Proteste gegen die massive Landschaftszerstörung endeten ja nicht mit dem Herbst 1989. Sie gingen auch danach weiter, denn bis im Osten die Energieversorgung flächendeckend auf sauberere Brennstoffe umgestellt wurde, vergingen noch Jahre. Die Kohlebagger gruben also weiter die Kohle aus der Erde und 1990 sah es ganz und gar nicht danach aus, als würde der Tagebau Cospuden vor Leipzig Halt machen. Im Gegenteil: Die Bagger fraßen sich immer weiter voran in den südlichen Auwald, von dem große Teile längst trockengelegt und zerstört worden waren.„Der Tagebaubetrieb wurde letztlich durch eine Klage gegen den Leiter gestoppt, auf Leipziger Territorium“, berichtet Thiel. „Einige ha Wald wurden gerettet oder teilweise wieder aufgeforstet. So auch ein Teil der Lauer. Für das Dorf Cospuden war es leider zu spät. Es existiert nur noch im Namen eines künstlichen Sees und in der Erinnerung ehemaliger Bewohner. Vielleicht denkt ihr mal dran, wenn ihr am ,Cossi‘ baden seid.“
Fast 50 Orte listet die Ausstellung auf, die allein im Leipziger Südraum dem Kohlebergbau geopfert wurden. Einige wenige haben in der nachfolgenden Seenlandschaft wenigstens als Name überlebt – so wie Cospuden, das schon 1973 von der Landkarte verschwand, oder Magdeborn, das wenigstens als Name einer Halbinsel am Störmthaler See bewahrt wurde.
Und für die wenigsten Orte gibt es belastbare Publikationen, die die Erinnerung an den Ort bewahren. An Eythra zum Beispiel, das 1983 vom Erdboden verschwand, erinnert das 2012 erschienene Buch „Eythra“ (Engelsdorfer Verlag) von Werner Klötzer. Otfried Wagenbreths Buch „Die Braunkohlenindustrie in Mitteldeutschland“, erschienen 2010 im Sax-Verlag, zeichnet neben der Geschichte des Braunkohlebergbaus auch die Schicksale der geopferten Orte nach.
Aber Thomas Thiel hat recht: Wenn man nicht an diese verschwundenen Orte erinnert, vergisst man ziemlich bald die Schicksale dieser vom Bergbau umgepflügten Landschaft. Die Tagebauseen erzählen ja nichts über die verschwundenen Dörfer und ihre Bewohner.
Und die einst dort Lebenden wohnen ja meist schon seit Jahrzehnten in anderen Orten, fallen kaum auf und kaum jemand kommt auf die Idee, bei ihnen zu klingeln, um noch einmal letzte Zeugnisse des Lebens in den Dörfern des Leipziger Südens aufzuzeichnen.
Nur dann und wann taucht diese verschwundene Landschaft – die mit der heute sichtbaren so gut wie nichts mehr gemein hat – in historischen Bildbänden wieder auf. So wie im 2017 bei Pro Leipzig erschienenen Band mit Ansichtskarten aus Rötha, Espenhain, Mölbis, Pötzschau, Oelzschau „und verlorenen Orten“.
Denn dieser von Dörfern und Flüssen geprägte Leipziger Süden war einst das beliebteste Ausflugsziel der Leipziger. In jedem Ort gab es mindestens einen Gasthof mit großem Freisitz, wo die Leipziger frische Luft tanken konnten, bevor sie zu Fuß oder mit dem Zug wieder zurückkehrten nach Leipzig.
Entsprechend würdigen verschiedene Bildtafeln in der Ausstellung dann auch die verschwundenen Orte: Eythra und Breunsdorf (1989 devastiert) zum Beispiel. Aber auch die großen Proteste bis an den Tagebaurand „Stoppt Cospuden“ kommen ins Bild. Und sie stehen für viele Leipziger auch als Erinnerung daran, dass man auch umweltzerstörerische Großprojekte stoppen kann.
Eine Botschaft, die ja längst wieder aktuell ist. Denn inzwischen ist ja klar, dass auch die Bundesrepublik wie ein schwerfälliger, kohlebeheizter Tanker ist, dessen Steuerleute einfach nicht begriffen haben, wie dringend der Ausstieg aus den fossilen Energien ist und dass der „Kohlekompromiss“ eine Katastrophe ist, nicht nur für das Klima. Ohne den Druck der Engagierten wäre auch noch das Dorf Pödelwitz den Baggern geopfert worden.
Tabellen in der Ausstellung zeigen freilich auch, welchen enormen Anteil die Braunkohleindustrie im Leipziger Süden an der Umweltbelastung hatte und wie die Menschen rund um die alten Kohlefabriken erkrankten. Wer heute in dieser Seenlandschaft unterwegs ist, kann sich nicht mehr vorstellen, wie ruß- und qualmverhangen diese Gegend einmal selbst an Sommertagen war.
„Ich bin kein Kohlegegner“, sagt Thiel, „sondern ein Kohlebefürworter.“ Denn nichts ist besser, als die Jahrmillionen alten Kohlelager in der Erde zu lassen und nicht zu verfeuern. Und beendet ist der Kampf noch lange nicht. Denn der Ausstiegstermin aus der Kohle im Leipziger Südraum im Jahr 2035 liegt viel zu spät. Jedes Jahr, da weitere Ladungen des Treibhausgases CO2 in die Luft geblasen werden, ist eines zu viel.
Nicht nur Leipzig, sondern die gesamte Region muss baldigst den Ausstieg aus der Kohle schaffen. Und dann dürfte die Arbeit an der Erinnerung nicht zu Ende sein. Denn hier gingen nicht nur viele einst lebendige Dörfer verloren, sondern auch eine große Auenlandschaft mit einem Artenreichtum, der heute kaum noch zu erahnen ist.
Die Ausstellung in der Gethsemanekirche in der Raschwitzer Straße ist täglich von 16 bis 18 Uhr zu besichtigen.
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