Mehr als zwei Jahrzehnte lang hat der Leipziger Verleger und Buchwissenschaftler Mark Lehmstedt Tüten, Taschen und Beutel gesammelt, die in irgendeiner Weise der Welt Gutenbergs, dem gedruckten Buch, seinen Macherinnen und Machern und seinem lesenden Publikum gewidmet sind. Echte Archäologie der Gegenwart, über die sich jetzt die Deutsche Nationalbibliothek richtig freuen kann.
Ob aus Papier, Plastik oder Leinen, fabrikneu oder gebraucht, schön oder hässlich: Sie sind allesamt Zeugnisse einer literarischen Kultur, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts zunehmend in Bedrängnis geraten ist. Aus Anlass seines 60. Geburtstages übergibt Mark Lehmstedt seine etwa 3.000 Exemplare umfassende Sammlung von Buchtüten dem Deutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig.
„Die Wertschätzung der gewerblichen Produktion ist dem Deutschen Buch- und Schriftmuseum bereits in seine Gründungsgeschichte als Buchgewerbemuseum eingeschrieben“, erklärt dazu Stephanie Jacobs, Leiterin des Museums. „Mit der Aufnahme in den Bestand bereichert die Sammlung die weltweit einzigartigen Bestände zur Schrift-, Papier-, Druck- und Buchgeschichte um eine ganz neue Facette. Damit wird zugleich eine Gattung geadelt, die sonst kaum Beachtung findet.“
Was andere achtlos entsorgt und selbst die Hersteller niemals aufbewahrt haben, ist für eine Archäologie der Gegenwart von großem Interesse. Die Buchtüten erinnern an längst verschollene Buchhandlungen und Verlage, machen den Übergang vom analogen zum digitalen Zeitalter sichtbar und spiegeln mit dem Übergang von der Plastiktüte zum Stoffbeutel ebenso den Wechsel zu einer auf Nachhaltigkeit bedachten Gesellschaft. Nicht zuletzt sind sie wunderbare Zeugnisse der Designentwicklung und der Produktwerbung.
Auf diese Weise entpuppt sich die Buchtüte mit ihren Aufdrucken als Gradmesser für den Zustand einer ganzen Branche. Als Verbrauchsmaterial produziert, kommt ihr erst mit zeitlicher Distanz der Status von Kulturgut zu, dem allgemeingültige Aussagen über historische Entwicklungen zugetraut werden.
Und Dr. Mark Lehmstedt ist nicht nur Verleger und Buchwissenschaftler in Leipzig. 1990 hat er über den Verleger Philipp Erasmus Reich promoviert, 2012 schrieb er seine Habilitation über Comics in der DDR. Er ist Mitglied der Historischen Kommission des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, Vorsitzender des Leipziger Geschichtsvereins, Dozent am Historischen Seminar der Universität Leipzig und hat zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte des Buchwesens, zuletzt „Lexikon der Buchstadt Leipzig, Band 1: 1420-1538“ in seinem Verlagsprogramm.
Zur Sammlung ist jetzt – natürlich im Lehmstedt Verlag – auch eine Publikation erschienen, nicht als Katalog, aber auch nicht als wissenschaftliche Darstellung zur Geschichte der (Buch-)Tüte. Es ist eine Auswahl von mehr als 550 der schönsten, interessantesten, originellsten Buchtüten aus dem gesamten deutschen Sprachraum – und einige herrlich misslungene. Sie bietet einen Überblick über die verblüffende Vielfalt der Motive und Gestaltungen.
Mark Lehmstedt: Buchtüten. Werbung für das Buch, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2021. 120 Seiten mit 580 farbigen Abbildungen, 21 x 27 cm, Klappenbroschur, Fadenheftung, ISBN 978-3-95797-125-8, 20 Euro (erscheint im Februar)
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