Am Freitag ist Eröffnung. Weil die Pandemie mit seinen Gefahren um sich greift, zieht sich die Kunstwelt noch lange nicht zurück. Auflagen funktionieren auch hier. So wird die Vernissage zu „Planeta Bur“ am 13. November 2020 in geordneten Bahnen verlaufen. Nur sechs Personen dürfen sich in den Ausstellungsräumen der Charter-Galerie in der Merseburger Straße befinden. Natürlich mit Alltagsmaske geschützt.
Der Leipziger Maler stellt neue Werke aus, die als „retrofuturistisch“ bezeichnet werden. Denn Philipp Orlowski spielt mit einer Formen- und Farbensprache, die uns an die Symbolisten und Surrealisten erinnert.
„In der Pandemie ist es gerade sehr schwierig für mich als Bildender Künstler … “, sagt der seit 2011 selbstständig arbeitende Kunstmaler, „da kein Galerist neue Ausstellungen plant und bereits geplante Ausstellungen abgesagt werden oder man nicht wirklich mit Publikum rechnen kann, falls eine Vernissage stattfindet. Es soll ja auch nicht zu großen Ansammlungen kommen, aber da niemand weiß, wie voll und damit gefährlich es wird, kommt dann manchmal auch keiner. Das wäre nicht nötig, da die Aussteller die Möglichkeiten an die Hygienebestimmungen anpassen. Auch als Musiker mit meinen Bands Centaur und Koh-I-Noor kann ich nicht regelmäßig proben, geschweige denn auftreten.“
Dabei steht Orlowskis Schaffen in einer roten Linie aus Tradition und Moderne, die seit über 100 Jahren in Leipzig vertreten ist. Max Klingers künstlerischer Einfluss reicht bis in die Gegenwart hinein. Nicht nur er galt um 1900 als wichtiger Symbolist seiner Zeit. Neben Ferdinand Hodler und Otto Greiner gehörte der Leipziger Sezessionist zu den umstrittenen Vertretern seiner Zunft. Sie erfanden Bildthemen neu, stellten herkömmliche und klassische Ansichten auf den Kopf, verfolgten ästhetisch andere Linien als die traditionalistisch tätigen Maler und Grafiker, die in den Akademien noch ganz andere Ziele verfolgten als die Moderne zu laufen anfing.
Klingers Linie wurde nahezu unbemerkt nach 1945 in den Mal- und Fotografieklassen an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig weitergesponnen. Wer kennt nicht die Bilderrätsel von Wolfgang Mattheuer und Neo Rauch? Wer kennt nicht die Grafikfolgen von Hans Mayer-Foreyt? Sie waren und sind Bildneuerfinder und -neudenker. Anders als die damaligen und modern arbeitenden Zeitgenossen von Klinger, Greiner & Co. erfahren heutige Künstler weitaus mehr Akzeptanz.
Es verwundert also nicht, dass Philipp Ludwig Orlowskis Malerei sich ebenfalls im Symbolismus verorten lässt. Wer in seinen, v. a. aktuellen, Arbeiten den Geschichten folgt, erzählt er uns Zwischenmenschliches und Außermenschliches. Orlowski gibt uns Betrachtern das Gefühl, in seine Traumwelten eintauchen zu können, nimmt uns mit auf eine psychedelische Reise in unser Unterbewusstsein.
Landschaften lösen sich auf, ebenso die Figuren. Kontraste aus grellen und abgeschwächten Farbakkorden schaffen Zwischentöne, die über die reelle Wahrnehmung einer uns umgebenden Wirklichkeit hinausgehen und uns in eine Orlowskische Welt fast schon mit hypnotischer Wirkung ziehen.
Der 1984 im thüringischen Städtchen Neuhaus am Rennweg geborene Maler stellt sich mit seinem Werk neben dem von Max Ernst und seinen Grattagen, Collagen, aus Farbverläufen geschaffenen Monsterlandschaften, Wäldern und Nachtmahren. Betrachten wir die neuesten Arbeiten „Gigant“ und „Luftschiff“, schickt uns der an der Hochschule für Grafik und Buchkunst studierte Künstler direkt in eine Parallelwelt, wo Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig existieren.
Nicht nur in diesen beiden Gemälden wird klar, was sich auf Quantenebene manifestiert, wird in unserer Welt Realität. So erscheint uns das Porträt von „Saul Bellow“ (2018) als Traumgesicht eines Mannes, der zwischen den Welten schwebt. Welten, die gleichzeitig stattfinden und Teile unseres Gemeinschaftsbewusstseins sein könnten.
Dass wir in seinem malerischen Werk uns in der Ewigkeit befinden demonstriert uns eine beständige Lichtquelle, die von überall herzukommen scheint. Etwas Beklemmendes wohnt den bildnerischen Erzählungen inne, aber auch etwas Lustiges. Denn Orlowski spielt auch mit seinen bedeutungsschwangeren Titeln.
Ist alles doch nur ein kreativer Witz? Betrachten wir uns das Abbild von der US-amerikanischen Schauspielerin und Sängerin Barbara Streisand in „Bello Impossibile“ (2020), offenbar ein aus der weiten Ferne zwischen Raum und Zeit entstandenes Filmplakat, mit humoresken Anspielungen auf einen, möglicherweise „Bello“ genannten, „unmöglichen Hund“, einem angedeuteten Katzenporträt und dem vielsagenden Bildtitel mit seinem Hinweis auf einen „unmöglich Guten“ bzw. „Schönen“.
Hintergründig mischt auch die italienische Rocksängerin Gianna Nannini mit. Schrieb sie in den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts den Hit „Bello e Impossibile“, der „Schön und unmöglich“ bedeutet; handelt es sich in dem Lied um eine Geschichte um Verlangen und Sehnsucht nach körperlicher Nähe. Orlowskis Bild „Bello Impossibile“ häuft Kontraste regelrecht zu einem neuen Sehen auf. Sex ist wirklich nicht das naheliegende, woran man in diesem Bild denken würde. Vielleicht ist auch aus der Perspektive der künstlerischen Herangehensweise erzählt, wo etwas Schönes unmöglich erschienen und dennoch verwirklicht worden ist.
Unbestimmte Bildräume und Lichtführungen waren in den frühen Werken von Philipp Orlowski bereits als Wesenszüge erkennbar. Im aktuellen Werk zeichnet er konsequent den Fantasieraum zu einem scharfen philosophischen Muster aus Gegensätzen.
In seinen jüngeren Bildern stellt er seine Bildfiguren in Raumkontraste, wie wir an dem farbenfrohen Golferpaar in einer schmutzigen Tagebauszenerie sehen können. Nicht nur sein erfinderischer Einfallsreichtum, mit vielfältigen Bildideen zu jonglieren, bereitet uns beim Enträtseln, Betrachten und Beschäftigen eine merkliche Freude.
Orlowski weiß mit dem Medium Malerei handwerkssicher umzugehen; seine im Frühwerk beherrschenden Porträts, Figuren- und Handstudien zeigen uns bereits einen Künstler mit hoher Beobachtungsgabe und mit einem Wissen, Gesehenes möglichst realitätsnah auf die Leinwand zu bringen. Hinzu kommt seine Kenntnis im Umgang mit Farbskalen und -kreisen. Abgeschwächte Akkorde deuten auf Unbehagen und Zweifel, die beim Betrachter als Gefühle entstehen können.
Bewegen wir uns aus der Interpretation heraus, Orlowskis Arbeiten behandelten das Unterbewusste und Jenseitige, gibt uns der Künstler bildnerisch umgesetzte Hilfen, sich für das Schöne zu entscheiden. Für den Sonnenuntergang statt für die triste Plattenbausiedlung. Für das Picknick in Perücken- und Gehrockkostümierung statt für ein abstraktes Domino-Spiel, für die Natur und Kunst statt für triste Alltagsabläufe. So gesehen wären Orlowskis Bilder Plädoyers für die persönliche Freiheit und Entfaltung des Einzelnen. Kunst kann sich eben doch selbst erklären.
Planeta Bur
von Philipp Orlowski
CHARTER-Projektgalerie
Merseburger Str. 37
04177 Leipzig
geöffnet während der
Ausstellungszeit
Dienstag bis Samstag
14–18 Uhr
sowie nach Vereinbarung
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