Wir leben ja im 100. Jahr des in Weimar gegründeten Bauhauses und alle möglichen Städte versuchen ja nun, irgendwie ihre Zeugnisse der Bauhaus-Epoche zu zeigen oder wenigstens irgendwelche Verwandtschaften zu konstruieren. Aber Leipzig war tatsächlich einmal Wohnort eines Künstlers, der am Bauhaus studierte. Aber er ist fast gänzlich vergessen. Und das Museum der bildenden Künste gibt Karl Hermann Trinkaus nun einen wohlverdienten Platz in der Leipziger Kunstgeschichte.
Die Ausstellung basiert auf der wissenschaftlichen Erschließung des Nachlasses von Karl Hermann Trinkaus durch den Kurator Dr. Fabian Müller. Diese konnte auf den biografischen Forschungen des Kunstwissenschaftlers Daniel Thalheim aufbauen.
Wer war Karl Hermann Trinkaus?
Ein für die Leipziger Kunstgeschichte nicht geringer Verdienst der Bauhaus-Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art 2009 war es, Karl Hermann Trinkaus (1904–1965) wieder zu entdecken. Bis dato war der gebürtige Leipziger nahezu unsichtbar, nun aber mit einer beeindruckenden Arbeit im Reigen der Bauhaus-Künstler vertreten.
1927 und 1928 hatte der Diplomingenieur und gelernte Elektriker an der Bauhaus-Schule in Dessau unter anderem bei Wassily Kandinsky, Josef Albers und Paul Klee studiert. Ein Empfehlungsbrief von Kandinsky bescheinigt ihm „schätzenswerte künstlerische Arbeiten“, die einer „reichen Phantasie“entsprängen, „die eine geeignete, ausdrucksvolle Form findet“.
Das Museum fasst seine künstlerische Bedeutung so zusammen: „Sein Schaffen bewegt sich zwischen Übungen zur Farbenlehre und Perspektivstudien, zwischen Landschaftsaquarellen, Architekturstudien und sozialkritischen Collagen. Die Weite und Disparität seiner Arbeiten, Sujets und Medien erklärt sich einerseits aus der steten Suche nach neuen Möglichkeiten künstlerischen Arbeitens, andererseits aus der ,epigonalen‘ Auseinandersetzung, in die sich der Autodidakt mit all seinen erreichbaren Vorbildern stürzte. Insbesondere seine Collagen der späten 1920er und frühen 1930er Jahre müssen keinen noch so ambitionierten Vergleich scheuen. Große handwerkliche Fähigkeiten treffen hier auf eine ungemein künstlerische Energie, die es dem sozialkritischen Geist erlaubte, seine Botschaften in eindrucksvolle Formen zu schneiden, zu kleben und zu zeichnen.“
Aber warum war Trinkaus vergessen?
Bis zu Trinkaus’ „Entdeckung“ in New York schlummerte sein Nachlass über 50 Jahre in Leipzig, testamentarisch nachvollziehbar und nahezu vollständig ging das Konvolut durch den Erbgang. Derzeit befindet es sich im Museum der bildenden Künste (MdbK) zur Vorbereitung der ersten monografischen Ausstellung und der wissenschaftlichen Dokumentation.
Die Personalausstellung „Bauhaus – Der neue Mensch“ zeichnet anhand ausgewählter Werke den künstlerischen Werdegang von Trinkaus nach und hebt besonders den Einfluss hervor, den das Bauhaus für einige Jahre auf ihn ausübte.
2017 wurde im privaten Rahmen ein erster Versuch unternommen, ein Werkverzeichnis zu erstellen. Ãœber private Wege wurde der Kontakt zwischen den Trinkaus-Erben und dem MdbK hergestellt. Aufgrund der hohen künstlerischen Qualität seines Schaffens war schnell klar, dass es Trinkaus’ Werk verdient hat, institutionell bearbeitet und einem größeren Publikum bekannt gemacht zu werden.
Anlässlich der Ausstellung erscheint eine Monografie zu Karl Hermann Trinkaus. Die Publikation präsentiert erstmals den vollständigen Werkkatalog mit 377 Positionen, arbeitet die bislang lückenhafte Biografie auf und würdigt sein künstlerisches Schaffen. Damit bezeugt die Publikation nicht nur Kandinskys Urteil, sondern erzählt auch von der inspirierenden Kraft, die das Bauhaus ausstrahlte und Trinkaus sprichwörtlich zu einem „neuen Menschen“ machte.
Das Schicksal eines Bauhaus-Schülers
Geboren wurde Karl Hermann Trinkaus am 18. April 1904 in Stötteritz bei Leipzig, besuchte 1910 bis 1918 die mittleren Volksschule Zwenkau bei Leipzig und war bis 1920 Schüler an der Städtischen Gewerbeschule in Leipzig. 1919 bis 1922 absolvierte er eine Lehre als Elektroinstallateur in der Firma Brüggemann & Lewus in Leipzig und übte bis Ende der 1920er Jahre verschiedene Tätigkeiten als Bühnenbildner in Leipzig aus.
1927 bewarb er sich am Bauhaus in Dessau und wurde auch angenommen, blieb dort aber nur bis 1928, schied wahrscheinlich aus finanziellen Gründen aus und erlebte fortan eine ziemlich turbulente berufliche Karriere. Von 1927 bis 1932 war er Mitarbeiter bei den Zeitungen „Kulturwille“, „Die rote Kommune“ und „Der Anilinprolet“.
Er trat der Revolutionären Gewerkschafts-Opposition (RGO) bei und wurde Agitpropleiter des Ortskomitees Dessau. 1932 übersiedelte er nach Leipzig, wurde dort Agitpropleiter der IG Metall sowie im Orts-und Bezirkskomitee Agitprop der Kampfgemeinschaft für rote Sporteinheit. Noch 1933 im Mai wurde er Mitglied der KPD. 1935 erwarb er das Diplom als Ingenieur für Flugzeugbau, war ab 1936 als Ingenieur in den Junkers Flugzeug-und Motorenwerken in Dessau angestellt und wurde noch 1945 im Februar zur Kriegsmarine eingezogen, kam aber nicht mehr zum Einsatz.
Vom 2. Mai bis September war er in amerikanischer Kriegsgefangenschaft,wurde nach seiner Entlassung als Ingenieur im Leichtflugzeugbau Klemm in Böblingen angestellt. Am 16. Oktober 1945 trat er wieder der KPD bei, fand Anstellung als Techniker im Kraftwerk Böhlen, 1946 trat er dann der SED bei. Und 1950 war er als Mitarbeiter am Museum für Deutsche Geschichte Berlin angestellt, ab August als Referent für Sichtwerbung im Leipziger Messeamt.
Am 16. September 1953 heiratete er Magda Sendhoff, übersiedelte nach Wandlitz bei Berlin. Von 1960 bis 1964 war er dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Georgi-Dimitroff-Museum in Leipzig angestellt, aber nach dem Tod seiner schon lange schwer kranken Mutter und dem frühen Tod seiner Frau wählte er am 25. Dezember 1965 den Freitod.
Seinen künstlerischen Nachlass verwaltete danach sein Vater. Er blieb in der Familie erhalten, auch wenn es tatsächlich bis 2009 dauerte, bis das spannende Werk des einstigen Bauhaus-Schülers ganz offiziell wiederentdeckt wurde.
In der Personalausstellung sind jetzt die wichtigsten Schaffensepochen exemplarisch zu sehen – anfangen über die Begegnung mit dem Kubismus bis zu den Arbeiten, die in intensiver Auseinandersetzung mit dem Bauhaus entstanden. Ab 1933 freilich bricht sein künstlerisches Schaffen regelrecht ab. Erst nach dem Krieg sind wieder Arbeiten von ihm überliefert. Doch an die Expressivität seiner Arbeiten um 1930 hat er nicht wieder Anschluss gefunden.
Zu sehen ist die Ausstellung im Museum der bildenden Künste vom 24. November 2019 bis zum 16. Februar 2020.
Der zur Ausstellung erscheinende Katalog wurde ermöglicht von der Ernst von Siemens Kunststiftung. Er erscheint im VfmK Verlag für Moderne Kunst, Wien, hrsg. von Alfred Weidinger, Marcus Andrew Hurttig und Fabian Müller; mit Beiträgen von Daniel Thalheim und Fabian Müller. Der Katalog mit ca. 340 Seiten und rund 400 farbigen Abbildungen ist im Museumsshop für 35 Euro und im Buchhandel für 45 Euro erhältlich.
Eröffnung der Ausstellung (zusammen mit den Ausstellungen von Michael Riedel und „Impressionismus in Leipzig 1900–1904“) ist am Samstag, 23. November, 18 Uhr. Es sprechen: Alfred Weidinger/Direktor, Fabian Müller/Kurator.
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