Ab Freitag, 25. Oktober, gibt es eine tatsächlich einzigartige Ausstellung in der Galerie im Neuen Augusteum. Denn sie überschreitet Grenzen. Thomas Lenk, Prorektor der Universität, bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: „Zum ersten Mal seit dem Wendeherbst 1989 findet innerhalb der Universität Leipzig eine Kunstausstellung mit Werken von Künstlerinnen und Künstlern aus Polen und Deutschland statt.“ Gleich vor der Tür lockt George zum Eintritt.
Auch wenn George eindeutig kein Löwe ist, sondern ein gut genährter Leipziger Kater, geschaffen von Tobias Rost, seit 1999 künstlerischer Dozent am Institut für Kunstpädagogik der Universität Leipzig. Und dieses Institut hat vor sieben Jahren erstmals Kontakte geknüpft zu einem ebensolchen kunstpädagogischen Institut in Warschau, dem Kolegium Edukacji Artystycznej der Akademia Pedagogiki Specjalnej im. Marii Grzegorzewskiej. Beide Institute bilden junge Männer und Frauen aus, die dann wieder als Kunstpädagogen tätig werden.
Wobei es zum Beruf nicht zwingend dazugehört, selbst auch Kunst machen zu können. Man muss nur das Wissen dazu vermitteln können. Aber das ist in Polen und Sachsen nicht anders: Vermitteln kann man das Wesentliche eigentlich nur, wenn man selbst künstlerisch tätig ist, egal, ob haupt- oder nebenberuflich. Bei einer Begegnung in Dänemark wurden vor sieben Jahren die ersten Kontakte geknüpft. Das Interesse war auf beiden Seiten von Anfang an da, erzählt Andreas Wendt, Grafikdesigner und am Institut Professor für Design und Neue Medien. Er ist Kurator der Ausstellung, die im April zum ersten Mal in Warschau zu sehen war.
Die Ausstellung vereint die Arbeiten von 24 Künstlern und Künstlerinnen. Mit der Bezeichnung Künstler stapelt Wendt ganz bestimmt nicht zu hoch. Denn mit unterschiedlichsten Materialien und unterschiedlichsten Themen zeigen die gestandenen und auch die angehenden Pädagogen und Pädagoginnen aus Warschau und Leipzig, was man alles machen kann, wenn einen die Lust am Schaffen ergreift.
Vom Titel „Löwen und Meerjungfrauen“ darf man sich nicht irritieren lassen. Es sind mythische Geschöpfe und gleichzeitig die Wahrzeichen von Leipzig und Warschau. Den Löwen haben die Leipziger ja bekanntlich aus dem Wappen der Wettiner geerbt. Die Meerjungfrau findet man tatsächlich im Wappen von Warschau, aber ursprünglich war es mal eine Gestalt mit Vogelfüßen und einem Drachenkörper, bevor aus der Drachenkämpferin eine Seejungfrau wurde.
In der Ausstellung selbst findet man tatsächlich auch Arbeiten, in denen sich die Künstler/-innen mit ihrer jeweiligen Heimatstadt beschäftigen, etwa mit Joanna Stasiuks Seidenmalerei „A Town of Fishes“, den „Horizont“-Fotos von Mandy Putz oder Verena Landaus „Brühl 1969“, einem Bild, auf dem nicht zufällig das „Polnische Informations- und Kulturzentrum“ zu sehen ist, das damals im Flachbau am Brühl zu finden war. Den Brückenschlag von Leipzig ins Nachbarland Polen gab es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder. Und wenn man sich so intensiv miteinander beschäftigt, wie das in den vergangen sieben Jahren passiert ist, dann entdeckt man auch wieder alte Gemeinsamkeiten. Selbst Andreas Wendt war überrascht.
Doch die jahrhundertealte Nachbarschaft wird auch in der Vertrautheit sichtbar. Vom Temperament her hat Sachsen (wie wahrscheinlich ganz Ostdeutschland) viel mehr mit den östlichen Nachbarn gemein als z. B. mit Frankreich. Nur scheint die unsichtbare Barriere seit 1990 auch dafür gesorgt zu haben, dass dieser Brückenschlag fast vergessen wurde. Selbst die großen deutschen Medien berichten ja über Osteuropa so, als gehörte das überhaupt nicht wirklich zu Europa.
Ist es die Sprachbarriere, die das bedingt?
Man kommt ins Zweifeln, wenn man sich die kleine Ausstellung betrachtet. Man hat zwar beim Betrachten der kleinen Bronzeplastiken von Maciej Zchowicz sofort das Gefühl, dass das irgendwie polnisch sein muss. Vielleicht ist es das Groteske an diesem Mann, der im Voranschreiten seine alten Hüllen hinter sich lässt. Aber es wirkt dennoch vertraut. Vielleicht, weil Ostdeutsche wie Polen den selben Häutungsprozess hinter sich haben, dieselben Erfahrungen in einer grotesken Diktatur und den nicht weniger grotesken Aufbruch in eine neue Landschaft, bei dem man das Alte immer wieder hinter sich lässt – und dennoch ganz der Alte bleibt.
Man merkt schon, dass diese Pädagogenausbilder in Warschau wie in Leipzig das Kunstschaffen nicht um der Kunst willen vermitteln, dass ihnen auch die inhaltsleere Postmoderne zutiefst fremd ist. Kunstschaffen ist für sie sichtlich immer eine Auseinandersetzung mit ihrer Zeit, ihrer Welt, ihrer Gesellschaft.
„Die Ausstellung gibt einen Einblick in die facettenreiche Arbeit von Menschen, die ihre Sichtweisen auf die Dinge und ihre alltäglichen Dilemmas teilen. Auf ihrem Weg streben sie in gleiche Richtungen und besitzen Ideen und Vorstellungen, denen zu folgen diese Ausstellung einlädt“, versucht die Kustodie die Ausstellung auf einen Punkt zu bringen.
Die ausstellenden Künstlerinnen und Künstler bereiten in ihrer Tätigkeit als Akademiker und Akademikerinnen zukünftige Lehrerinnen und Lehrer auf ihren Beruf im Bereich der Kunstpädagogik vor oder sind eben selbst Dozenten, die neben ihrer Lehrtätigkeiten auch noch weiter ihren künstlerischen Ideen nachgehen. Oder gar – wie Andreas Wendt – noch einmal eine volle Arbeit als Netzwerker dranhängen. Denn damit aus der Begegnung vor sieben Jahren überhaupt eine gemeinsame Ausstellung als Höhepunkt entstehen konnte, brauchte es ja auch Unterstützung und Fördergelder. Treffen in der Heimatstadt der jeweils anderen gehörten dazu, Erfahrungsaustausche, gemeinsame Workshops und gemeinsame Fahrten zur „Dokumenta“.
„Ich hoffe unbedingt, dass es weitergeht“, sagt Wendt, der die aufgebauten Beziehungen als Bereicherung für beide Institute sieht, vor allem aber als eine Horizonterweiterung, denn ohne diese über die Jahre akribisch ausgebauten Kontakte hätte man voneinander nichts erfahren. Jetzt fließt auch Wissen aus dem jeweils anderen Institut in die eigene Kunstvermittlung ein. Und Wendt hofft natürlich, dass die in Leipzig Studierenden die Chance wahrnehmen, auch die polnischen Kunstaspekte und -traditionen aufzunehmen und zu reflektieren. Denn so werden sie selbst zu Brückenbauern.
Vernissage für die Ausstellung ist am heutigen Donnerstag, 24. Oktober, um 18:00 Uhr im Foyer Neues Augusteum.
Zu sehen ist die Ausstellung „Löwen und Meerjungfrauen. Gegenwartskunst aus Warschau und Leipzig“ in der Galerie im Neuen Augusteum vom 25. Oktober bis zum 20. Dezember und nach Weihnachten noch vom 02.–24. Januar.
Öffnungszeiten: Di–Fr 11–18 Uhr, Sa 11–14 Uhr.
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