Für FreikäuferLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 66Dessau, Weimar, Berlin, und … Es dürfte viele Menschen erstaunen, dass das Bauhaus mehr mit Leipzig und mit Sachsen zu tun hatte als gemeinhin angenommen. Die aktuelle Ausstellung im Grassi Museum für Angewandte Kunst gräbt zusammen mit einem dicken Katalogwälzer von über 500 Seiten in der Geschichte der Kunsthochschule und ihrer Verknüpfung mit Sachsen, insbesondere mit Leipzig.
Gleichzeitig wirft die Ausstellung durch die Beteiligung zeitgenössischer Künstler wie unter anderem Oskar Rink, Judith Raum und Joachim Brohm ein reflektierendes Licht auf eine Kunstinstitution, die wie keine andere so stark nachklingt. 100 Jahre Bauhaus – im Grassi Museum für Angewandte Kunst ein Grund zurückzublicken, aber auch nach vorne zu schauen.
Wie stark Leipzig mit Bauhaus verbunden war
Der Frühling hat Leipzig wieder voll im Griff, als die Ausstellung „Bauhaus_Sachsen“ im Grassi Museum für Angewandte Kunst in der Karwoche eröffnet wird. Der Direktor des Museums für Angewandte Kunst, Olaf Thormann, führt zusammen mit Co-Kurator Thomas Moecker und dem Frankfurter Bauhaus-Experten und -Sammler Bernd Freese durch die Leistungsschau, die sowohl Historisches als auch Gegenwärtiges zeigt, und beantwortet eine große Frage vorweg: Was hat Leipzig überhaupt mit Bauhaus zu tun?
Wer den Worten von Olaf Thormann folgt, der erfährt, dass Leipzig bereits 1919 Verbindungen zur Messestadt besaß. Die Leipziger Kunstgewerbemessen galten als entscheidende Faktoren, wo Bauhausprodukte den Menschen zeigten, wohin die Moderne gehen sollte.
Nicht nur das: Außerdem sei der Wirtschaftsfaktor Sachsens nicht zu unterschätzen gewesen. Zumindest in der Messestadt entstand die Zeitschrift „Die neue Linie“, die damals in Leipzig ansässige Tresor- und Stahlverarbeitungsfirma Carl-Kästner-AG ließ für die Bauhaus-Siedlung in Dessau-Törten ein Stahlhaus entwerfen, für die Leipziger Bogenlampenfabrik Körting & Mathiesen AG war die Bauhaus-Künstlerin Marianne Brandt als Produktdesignerin tätig. Die berühmte Kandem-Lampe stammt von ihr.
Auch hat es am Bauhaus einige Leipziger und viele sächsische Bauhauskünstlerinnen und -künstler gegeben, darunter Namen wie Marianne Brandt und Karl Hermann Trinkaus, dessen Nachlass zu diesem Zeitpunkt gesichtet, neu bewertet und ab November bis Februar 2020 in einer Kabinettausstellung im Museum der bildenden Künste gezeigt wird. Hinzu kommt, dass sich im Treppenhaus des Grassi Museums für Angewandte Kunst Fenster befinden, die 2011 nach den 1927 entstandenen Entwürfen von Josef Albers hergestellt wurden. Die Originale wurden im Krieg zerstört.
Künstlerisch hatte sich Bauhaus in Leipzig schnell etabliert, nicht zuletzt durch Sammlungstätigkeiten einzelner Kunstbegeisterter und die Frühentdeckungen des Leipziger Kunstvereins und der Leipziger Jahresausstellung.
So wurden Bauhauskünstler auf der 10. Leipziger Jahresausstellung 1925 mit ihren Arbeiten vorgestellt. Einzelausstellungen mit Paul Klee 1921 und Lyonel Feininger 1923 waren auf den Leipziger Jahresausstellungen ebenfalls zu sehen. Die „Ausstellung moderner Kunst aus Privatbesitz 1922“ führte den Leipzigern vor Augen, dass sich die Sammlungstätigkeiten dem Bauhaus schon früh zugewandt hatten. Werbegrafiker aus dem Bauhaus waren in Leipzig tätig, unter anderem Karl Hermann Trinkaus, der 1927 und 1928 Illustrationen für das Magazin „Kulturwille“ schuf und Überschriften entwarf.
Und die Architektur?
Auf dem Schkeuditzer Flughafen befand sich das 1931 errichtete und inzwischen zerstörte gläserne Flughafenrestaurant. In Zwenkau befindet sich noch heute das wohl funkelndste Erbe dieser Zeit in der Leipziger Region: das 1930 nach Entwürfen von Adolf Rading und Oskar Schlemmer errichtete Haus Rabe. Die Klassische Moderne galt in Leipzig und Umgebung mit diesen und weiteren Beispielen bis zum Machtantritt der Nazis als gefestigt.
Die Ausstellung und der Begleitband veranschaulichen auch die Geschichten, die nach 1933 erzählt werden. Oftmals kommt es zu Verwerfungen und Brüchen, die man schwer nachvollziehen kann. Es tritt vor allem in der biografischen Rückschau eine Ambivalenz zutage, die man von eher linkspolitisch und antifaschistisch gesinnten „Bauhäuslern“ so nicht zu kennen mochte oder wollte.
Der Leipziger Künstler Franz Ehrlich war im antifaschistischen Widerstand aktiv tätig und kam ins Konzentrationslager Buchenwald. Er entwarf für die Auftraggeber von der SS sowohl Villen als auch Inneneinrichtungen. Schon vor seiner Ankunft in Buchenwald schuf der zum Hochverrat verurteilte Künstler in der Gefängnistischlerei des damaligen Zuchthauses in Zwickau Kleinmöbel für Wachmannschaftsmitglieder, wahrscheinlich um Hafterleichterungen zu erreichen.
Der Schriftzug am KZ-Eingangstor Buchenwald mit dem „programmatischen Spruch“ „Jedem das Seine“ wurde von ihm entworfen. Durch die Aufträge, die Ehrlich durch die SS erhielt, schulte er sich zum Architekten. Distanziert hat er sich von seinem Werk wahrscheinlich nie, hob es sorgfältig auf und archivierte es.
„Es geht uns nicht um die Verklärung des Bauhaus“, so Thormann zur Ausstellung. Es gehe vielmehr darum, mit dieser Ausstellung eine Nachwirkung zu erzielen, eine Retrospektive zu zeigen und den Blick in die Gegenwart herzustellen. Auch wenn das Bauhaus inzwischen zu einem Mythos oder zur Legende geworden sei, hält der Direktor auch fest, dass es wichtig zu zeigen sei, wie individuell das Bauhaus begriffen wurde und immer noch begriffen wird.
Den einheitlichen Bauhaus-Stil habe es so wohl auch nie gegeben. Zu unterschiedlich seien die Lehrmeinungen gewesen. Als Anfang der Dreißigerjahre die Frage anstand, ob das Bauhaus aus Weimar wegziehen müsse, wäre auch Leipzig 1932 beinahe als Standort infrage gekommen. Mit dem damaligen Bauhaus-Direktor Ludwig Mies van der Rohe wurde über den neuen Standort verhandelt. Doch die Verhandlungen verliefen rasch im Sand. Insofern bringt die historische Betrachtung der Ausstellung und des Begleitbandes Licht ins Dunkel.
Bauhaus_Sachsen – Eine Ausstellung mit Brüchen und Verknüpfungen
Eigentlich müsste die Ausstellung „Ins Licht“ heißen. Denn was hier gezeigt wird, dürfte so schnell nicht wieder zusammenkommen. Die Zweiteilung der Schau funktioniert. Werden im ersten Teil bei 50 Lux und sogar noch weniger historische Dokumente, Biografien, Design, Grafiken und gewebte Objekte gezeigt, sind es in der durch die hohen Fenster taghell ausgeleuchteten Orangerie die Arbeiten der zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler wie unter anderem Judith Raum, Joachim Brohm und Oskar Rink, die den heutigen Dialog mit dem Bauhaus führen, und den Blick schärfen, wie weit der Einfluss dieser 1919 ins Leben gerufene Institution inzwischen reicht.
Im abgedunkelten Abschnitt der Schau beschäftigen sich Künstler wie Alexej Meschtschanow mit einem ironischen, aber auch mit einem ikonischen Herantasten an diesen Abschnitt der Kunst- und Designgeschichte. Diese Verknüpfung aus Historischem und Zeitgenössischem stellt für die Ausstellung Co-Kurator und Künstler Thomas Moecker her. Er füllt die Schau auf diese Weise mit dem Volumen aus der heutigen Kunst. Das Ausstellungskonzept veranschaulicht, wie heutige Künstler Bauhaus verstehen. Sie führen die Idee, die mit dem Bauhaus verknüpft ist, mit ihren Arbeiten weiter. Sie greifen auch auf den schier unerschöpflichen Fundus an Ideen der „Bauhäusler“ zurück.
Was sich vor allem im ersten Ausstellungsabschnitt im Prisma des Historischen in Ambivalenzen und Widersprüchen bricht, stellen die heutigen Künstler im Licht von Design und Ausdruck wieder her. So holt Moecker, zusammen mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung, das Bauhaus, den wohl wichtigsten Beitrag deutscher Kunst- und Designkultur im 20. Jahrhunderts konzeptionell aus dem Dunkel der Vergangenheit.
Die heutigen Künstler verknüpfen auf ihre Weise diese Geschichte mit dem Weiß und mit der Transparenz, wie wir es vom Bauhaus eigentlich kennen. Ist es ein Versöhnungsversuch? Will das Konzept uns verdeutlichen, wie stark das Bauhaus in unseren Alltag vorgedrungen ist? Noch heute sind im Alltag die Reminiszenzen an das Organische und Funktionelle des Bauhaus spürbar.
Gezeigt werden so aktuelle Arbeiten von Alexej Meschtschanow, Oskar Rink, Judith Raum, Lutz Könnecke, Felix Georg Bielmeier, Joachim Brohm, und Felix Martin Furtwängler. Neben den „antiken“ Ausstellungsstücken geben sie eine verdammt gute Figur ab.
Die Ausstellung im Grassi-Musum läuft noch bis zum 29. September. Es sind während der Ausstellung unter anderem Workshops, Führungen, Filmabende und Lesungen geplant.
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