Die Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig hat sich vor Weihnachten selbst beschenkt: Sie konnte eine der bekanntesten Zeitungssammlungen der Bundesrepublik erwerben. Es ist die Sammlung des Krefelder Verlegers Hans-Ulrich Nieter, bislang bekannt als „Europäisches Zeitungsmuseum“. Denn der heute 86-Jährige versuchte zu retten, was an Zeitung noch festzuhalten war, bevor sie aus dem Leben der Menschen verschwindet.
Dabei hatte Nieter selbst mal ein bekanntes Printprodukt gegründet: die Zeitschrift „Eltern“. Aber schon 1987, als er mit dem Sammeln begann, muss ihn so eine Unruhe umgetrieben haben, dass die Sache mit der gedruckten Zeitung bald zu Ende gehen könnte. Und damit ein wichtiges Kapitel der Mediengeschichte, das für Nieter nicht im Jahr 1650 (wie für die Leipziger das Kapitel der Tageszeitung), sondern im Jahr 1605 beginnt, als in Straßburg, das damals noch zum Heiligen Römischen Reich gehörte, die erste gedruckte Zeitung erschien mit dem hübschen Namen „Relation aller Fuernemmen und gedenckwuerdigen Historien“.
Es war noch keine Tageszeitung. Als erste regelmäßige Tageszeitung gelten tatsächlich erst die ab 1650 in Leipzig erscheinenden „Einkommenden Zeitungen“, in deren Namen sich noch der Ursprung des Wortes Zeitung zeigt: als anderes Wort für Nachricht. Und als das galt so ungefähr alles, was reisende Händler und Postboten aus anderen Ecken des Kontinents zu vermelden hatten. Narva und Warschau waren für die damals lebenden Leipziger genauso weit weg wie Neu Amsterdam, Tokyo oder Kairo. Und alles, wirklich alles, was es da zu vermelden gab und was irgendwie interessant schien, wurde von Drucker und Buchhändler Timotheus Ritzsch gesammelt und hintereinander weg, wie es kam, einfach in Satz gegeben, egal, ob die Nachricht drei Wochen oder zwei Monate alt war. Wobei Ritzsch wohl auch schon vorher Zeitungen herausgegeben hatte – nur halt nicht emsig sechs Tage die Woche hintereinander weg.
Und so freut sich denn auch die Nationalbibliothek gewaltig darüber, dass Nieters Sammlung zum Verkauf stand.
367 Jahre nachdem in Leipzig die erste Tageszeitung der Welt gedruckt wurde, konnte das Deutsche Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig nun dessen zeitungshistorische Sammlung von europäischem Rang erwerben. Mit fast 7.000 Dokumenten schließt der Bestand eine Lücke in den Sammlungen des Museums und erlaubt es, an einem herausragenden medienhistorischen Gegenstand Regional- und Universalgeschichte zu verbinden. Denn wie kaum ein anderes Medium bündelt die Zeitung die ganze Bandbreite der buch- und mediengeschichtlichen Fragestellungen und bietet sowohl der Technik-, Kultur- und Sozialgeschichte als auch der Geschichte des Wissens und der Zensur zahlreiche Anknüpfungspunkte, betont die Nationalbibliothek.
Ohne Zeitung ist die ganze moderne Zeit nicht denkbar. Aufklärung schon gar nicht. Ist sie nun tatsächlich in zwei Generationen vergessen, wie Nieter befürchtet?
Die zeitungsgeschichtliche Sammlung wurde vom Krefelder Verleger Hans-Ulrich Nieter in mehr als 30 Jahren zusammengetragen und hat ihren Schwerpunkt im 18. bis 20. Jahrhundert, berichtet die DNB. Sie gliedert sich in 15 Themengruppen: handschriftliche Vorläufer der Zeitung und Flugblätter sind ebenso vertreten wie seltene Dokumente zu Redaktion, Verlag, Werbung und Vertriebswegen, aber auch zur Geschichte der Zensur und zum Zeitungsleser.
Damit zeigt die Sammlung auch, wie Zeitung mal anfing – eben nicht als Periodikum mit vielen Seiten, Rubriken und Bildern, sondern als Flugblatt. Zu Luthers Zeiten verbreiteten sich die Sensationen als Flugblatt durch die Lande – darunter auch etliche Fakenews.
Und schon damals war das Medium mit einer Kunstform aufs Engste verbandelt: Eine Sammlung historischer Karikaturen zur Zeitung ergänzt den Nieterschen Bestand ebenso wie Kriegszeitungen und biographische Zeitkapseln zu einzelnen Personen der Zeitungsgeschichte. Die Bedeutung der Sammlung liegt in ihrer thematischen Breite und europäischen Ausrichtung: Denn: „Zeitungen sind eines der großen Kulturmittel, durch die wir Europäer Europäer geworden sind“, wie der Historiker, Publizist und Aufklärer August Ludwig von Schlözer schon Ende des 18. Jahrhunderts gesagt hat.
Und zur speziellen Leipziger Geschichte:
Als der Leipziger Drucker und Buchhändler Timotheus Ritzsch (1614–1678) am 1. Juli 1650 die erste Tageszeitung der Welt druckte, bot Leipzig einen idealen Ort für das sechsmalige Erscheinen der „Wöchentlichen“ (zwei Jahre später: „Einkommenden“) „Nachrichten“. Als Messestadt war Leipzig ein Knotenpunkt wichtiger Kommunikationswege mit einer hohen Postfrequenz, einem dichten Korrespondentennetz und einer Fülle einlaufender Nachrichtenbriefe. Über Jahrhunderte hinweg war die Tageszeitung das Medium Nummer eins, wenn es darum ging, sich ein Bild von der Welt zu machen. Ihre Erfolgsgeschichte als Massenmedium verdankt die Zeitung im 19. Jahrhundert technischen Innovationen und dem Kampf um die Pressefreiheit: 1914 werden 4.221 Zeitungen in Deutschland verlegt – die Hochzeit des Zeitungswesens. Für 2017 meldet der Bundesverband deutscher Zeitungsverleger noch 333 Tageszeitungen.
In Krefeld fungierte Nieters Sammlung bis zum Sommer als „Europäisches Zeitungsmuseum“. Der Verleger hätte sie auch gern in Krefeld belassen – aber die Stadt ist finanziell ähnlich knapp bei Kasse wie Leipzig. Glück für die Nationalbibliothek, die damit ihren Bestand deutlich ergänzen kann.
Als ein Baustein innerhalb der interdisziplinär angelegten Sammlungen des Deutschen Buch- und Schriftmuseums bietet die Sammlung Nieter nun einen unikalen Bestand zur Geschichte und Gegenwart des Zeitungswesens.
Stephanie Jacobs, Leiterin des Museums, freut sich: „Eine so gut sortierte Sammlung übernehmen zu können, birgt für unser Museum die einmalige Chance, in einer Zeit, die den größten Umbruch in der Geschichte des Mediums Zeitung erlebt, einen Blick in die Geschichte zu werfen, die historischen Dokumente unter dem Blickwinkel aktueller Fragestellungen zu beleuchten und einen Blick in die Zukunft zu wagen.“
Der Sammler Hans-Ulrich Nieter fasst zusammen: „Dass die Sammlung nun nach Leipzig als einem der Ursprungsorte der Zeitungsgeschichte zurückkehrt, erfüllt mich mit großer Zufriedenheit und erleichtert mir zugleich den Abschied von den Dokumenten, die mich über Jahrzehnte begleitet haben. Ich weiß die Sammlung in Leipzig in guten Händen.“
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