Hoppla, sagt der überraschte Besucher. Ist er da in eine Künstlerwerkstatt geraten, in der die überflüssigen Dinge der Konsumwelt einfach mal durch den Fleischwolf gedreht wurden? Verbogen wurden, gestaucht, so lange bearbeitet, bis der Konsumfetisch sich als Konsumirrwisch erweist? Möglich ist das. Wer mag, kann es sehen in der Galerie Art Mûr, wo heute die Ausstellung des kanadischen Künstlers Patrick Bérubé eröffnet wird.

Die künstlerische Tätigkeit von Patrick Bérubé liegt irgendwo zwischen Bildhauerei, Installation und öffentlichem Auftritt. Meint zumindest die einladende Galerie. Dabei hat der Bursche das gelernt. 2005 hat der 1977 Geborene an der Universität Quebec in Montreal seinen Abschluss gemacht in den visuellen und medialen Künsten, hat also gelernt, wie man mit den modernen Zeichen, Objekten und bunten Pop-Produkten unserer Welt umgeht, all dem Krimskrams, von dem die Ausstattungsläden überlaufen und von dem man denkt: Das kauft doch keiner.

Das passt bestenfalls in normierte Hotelzimmer, aus denen man nach zwei Tagen wieder flüchten kann.

Aber irgendwer kauft dieses Zeug wohl doch und glaubt dann wohl, seine Bude mit moderner Kunst vollgehängt und vollgestellt zu haben. Dabei ist es – wie der Tinnef aus dem 1-Euro-Shop, dem Spielzeuggeschäft oder dem Andenkenkiosk – meist Massenware ohne Tiefgang, produziert irgendwo im tiefsten China und aufbereitet für Leute, deren Kunstverstand das Baby-Alter nie verlassen hat.

All diese Objekte scheint Bérubé einfach mal auf die Streckbank zu legen oder unter die Presse zu hauen. Er verzerrt sie, lässt sie aber in ihrer kitschigen Plastizität, so dass erst recht sichtbar wird, dass hier ein Massenkonsum bedient wird, der mit Kunst nichts zu tun hat. Mit Kitsch und nutzlosem Spielzeug umso mehr. Die grinsende Fresse des modernen Überfluss-Kaufrauschs starrt uns an.

Oder doch nicht?

„Raum und Ort spielen bei seiner Arbeit eine wichtige Rolle, sowohl bei dem gestalterischen Prozess wie bei dem Werk als solchem. Die Einfügung in einen Ort mit ihren jeweiligen unterschiedlichen kreativen Rahmenbedingungen und stimulierenden Sachzwängen ermöglicht ihm, seine Grenzen zu durchbrechen und über sich hinauszuwachsen“, meint die Galerie. So strohtrocken, als würde man die von Bérubé konsequent veränderten Objekte und ihren unübersehbaren Ursprung gar nicht wahrnehmen.

Marie-Eve Levasseur versucht es ganz anders und tastet sich an den Titel der Ausstellung „Didactique du déjà-vu“ heran:

Mit seiner Ausstellung Didactique du Déjà-vu kommentiert der kanadische Künstler Patrick Bérubé chaotisch, ironisch und humorvoll eine langsame Beobachtung verschiedener Phänomene und Muster, die mit dem Versagen der Kommunikation miteinander und zwischen Generationen zu tun haben. Er beschäftigt sich mit Geschichte und dem daraus entstehenden kollektiven Gedächtnis. Beim Betrachten seiner National-Geographic-Sammlung bemerkte der Künstler, dass die Menschheit sich über die Jahrzehnte hinweg mit den immer gleichen Problematiken auseinandersetzt. Wir drehen uns im Kreis und folgen einem Muster. Wie Moleküle verbleiben wir in einer sich wiederholenden Kreisbewegung von Anziehungen, Kombinationen, Kollaborationen und Trennungen.

Zu Wiederholungen und Kreisen gehören allerdings auch Brüche. Diese befinden sich mit bestimmten Abständen in der Menschheitsgeschichte wie auch in Bérubés Ausstellung. Bérubé schöpft aus der Barockepoche alte Radierungen, die Naturkatastrophen abbilden als Bruchstellen in der Geschichte. Er überlagert diese mit einer Farbsequenz, die eigentlich bei Fernsehunterbrechungen im Falle von Signalverlust auftritt. Noch eine Arbeit, die sich mit Signalverlust beschäftigt ist Not loaded; sie zeigt ein Mondrian ähnliches Muster, das Google Image erzeugt, wenn die Verbindung fehlschlägt. Kollektives Gedächtnis wird immer für eine begrenzte Zahl an Generationen mit Details erhalten, es wird immer runder, es kommt immer noch eine Schicht Gegenwart drüber, bis es zu nur einem Satz, einem Bild, einem Kern wird. Wie ein Bonbon mit Schichtstufen verschiedener Geschmäcker der Zeit. Auch die versteinerte Brieftaube verweist auf den Moment, wo das Geschichteschreiben scheitert, wenn die Nachricht nicht immer das nächste Zeitalter erreicht.

Patrick Bérubé: Anamorph. Foto: Galerie Art Mûr
Patrick Bérubé: Anamorph. Foto: Galerie Art Mûr

Patrick Bérubé arbeitet in situ und arrangiert die verschiedenen gefundenen, gekauften oder modifizierten und miteinander neu kombinierten Objekte in eine vieldeutige und scheinbar gut geordnete Installation. Die verschiedenen Objekte bilden ein rizhomatisches System von Relationen ohne einschränkende zugeschriebene Lesart. Als Methode oder Richtlinie bedient sich der Künstler mathematischen oder natürlichen Sequenzen wie bei Fibonacci, musikalischen Variationen, Wiederaneignungen und sogar der Malerei von Mondrian. Auch lässt er sich driften zu chaotischen und zufälligen Zusammenfügungen. Der Betrachter ist dann frei dieses methodisch erlesene Chaos zu verbinden.

Das ist natürlich ein etwas größerer Bogen, der die modernen Wiederholungen der immer gleichen Konsum- und Kitsch-Symbole beschreibt. Denn die „Kunstverständigen“ lieben sichtlich den immer gleichen Kanon der süßlichen Niedlichkeiten.

Da kann man wirklich nur zum Press-, Dehn- und Verformungswerkzeug greifen um dem Immergleichen den Garaus zu machen.

Die Ausstellung von Patrick Bérubé „Didactique du déjà-vu“ wird am heutigen Samstag, 17. Juni, von 15 bis 18 Uhr in der Galerie Art Mûr Leipzig (Spinnereistraße 7. Halle 4b) eröffnet. Ausstellungsdauer: 17. Juni-29. Juli 2017.

Die neue LZ, seit Freitag, 16. Juni 2017 im Handel

Die Leipziger Zeitung Nr. 44: Über die Grenzen hinaus

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