Wer ab heute, 6. Mai, ins Stadtgeschichtliche Museum ins Böttchergäßchen pilgert und dort die Treppe ins kleine Studio hinuntersteigt, der taucht auch gleichzeitig ein halbes Jahrhundert in die Leipziger Vergangenheit ab. In jene Zeit, in der die schlimmsten Ruinen der Kriegszeit verschwanden und stattdessen eine Art sozialistisches Leipzig hingebaut wurde. Eine Umbauepoche, die keiner so brillant in Farbe festgehalten hat wie Klaus Liebich.
1929 geboren, gehörte er zu den jungen Fotografen, die in den 1950er und 1960er Jahren Leipzig im Foto festhielten. Und zwar ganz ohne Auftrag, nur mit väterlichem Hinweis aus dem Staatsarchiv: Wenn das nicht im Foto festgehalten wird, wird es für immer verschwinden. Und auch wenn mancher Geschichtsinteressierte dieses alte Nachkriegs-Leipzig aus Schwarz-Weiß-Fotos kennt: Die Liebich-Bilder werden eine Überraschung sein.
Weniger für die Fotografen-Zunft, wie Christoph Kaufmann, der Leiter der Foto-Abteilung im Leipziger Stadtmuseum, betont. Dort sind Liebichs Bilder aus der Zeit durchaus ein Begriff. Aber in so brillanten und großformatigen Abzügen hat sie die Leipziger Öffentlichkeit noch nicht gesehen. Auch weil Liebich dieses Kapitel in seiner Arbeit lange in der Versenkung gelassen hat. In DDR-Zeiten machte es wenig Sinn, diese Bilder im Großformat abzuziehen – die Qualität wäre nicht erreichbar gewesen. Also eher ein Ding der Unmöglichkeit. Dass diese Brillanz der alten Farb-Negative wieder so zu sehen ist, macht moderne Technik möglich.
Und dabei wird tatsächlich etwas sichtbar, was so bislang in der Leipziger Stadtfotografie nicht zu sehen war. Die litt gerade für diese Zeit unter erheblichen Qualitätsmängeln und unter der Parteilichkeit der Fotografen. Die einen bannten das Alte noch mit fast romantischem Blick auf Film, weil da noch das alte, das Vorkriegs-Leipzig zu sehen war. Die anderen inszenierten vor allem die wunderbaren Neuheiten der planmäßigen sozialistischen Stadtumgestaltung.
Kaum einer versuchte, den historisch einmaligen Ãœbergang so ins Bild zu fassen, das Alte neben dem Neuen, das vom Abriss Bedrohte neben den modernen Blickmarken, die Leipzig binnen weniger Jahre in eine blanke Metropole der Moderne verwandeln sollten.
Doch genau diese Ãœbergänge hat Klaus Liebich ins Bild gebracht. Daher der Titel der Ausstellung: “Kontraste”. Auch wenn man das nicht nur auf das schroffe Nebeneinander der abrissbedrohten alten Stadt und der kubistischen neuen Stadt beziehen kann. Es ist auch jene Allgegenwart der notdürftig nutzbar gemachten Gebäude und der Baracken-Provisorien, die eigentlich nur die frühen Jahre des Wiederaufbaus prägen sollten, dann aber das Leipziger Stadtbild bis in die 1990er Jahre hinein bestimmten. Oft ohne dass dem Passanten noch bewusst war, dass der Bau eigentlich ein Provisorium war, die Grünfläche ein Loch im Straßenraster, der Parkplatz ein planiertes Stadtquartier und das Dach auf dem Gebäude nur ein Notdach. Manches Notdach musste am Ende 60 Jahre halten.
Markant sind Liebichs Fotos auch deshalb, weil er in moderner Farbbrillanz festhielt, was schon kurz nach den Aufnahmen aus dem Straßenbild verschwand. Einmal ist er mit der Kamera rund um das Quartier Katharinenstraße, Böttchergäßchen, Reichsstraße Brühl spaziert, wo wenig später der Sachsenplatz entstehen sollte, an den heute auch nichts mehr erinnert. Ganz unerwartet merkt man, wie schnelllebig Geschichte sein kann, auch wenn man die Gebäude Jahrzehnte lang vor Augen hatte.
Tragisch werden die Bilder, wenn Deutrichs Hof an der Reichsstraße, das alte Gewandhaus im Musikviertel, die alte Universität und die Paulinerkirche sichtbar werden. Allesamt Opfer der Abriss- und Sprengwut der 1960er Jahre, als in Leipzig Vieles kippte. Das Alte Rathaus hatte man noch 1947 in einer Hauruck-Aktion wieder repariert. Und viele markante Gebäude waren noch in den 1950er Jahren liebevoll gesichert worden, in der Hoffnung, sie irgendwann ebenfalls wieder sanieren zu können. Doch schon mit dem Alten Theater am Augustusplatz passierte ein Ideologie-Wechsel, entschied man sich gegen den Wiederaufbau und setzte lieber ein neues Opernhaus hin, für die DDR ein einmaliges Projekt in dieser Art – und heute längst unter Denkmalschutz stehend wie so Vieles aus dieser Übergangszeit, die Liebich – der ab 1963 Dozent für Fotografie an der HGB war – um das Jahr 1965 festgehalten hat. Im letzen Moment sozusagen, bevor einige der markanten Gebäude dann gnadenlos beseitigt wurden.
Eindrucksvoll werden die Bilder auch, weil Liebich ganz bewusst eine künstlerische Position zu dieser Stadt im Wandel gesucht hat – oft und eindrucksvoll auch die erhöhte Perspektive etwa vom Thomaskirchturm aus. Was man jetzt sieht, ist ein erstaunlich komplexer Blick in eine Stadtlandschaft, die es nur für einen historisch kurzen Moment so zu sehen gab – auch wenn der Moment für die Beteiligten verdammt lang wirkte. Man denke nur an die 20 Jahre, die es brauchte, den kriegszerstörten Hauptbahnhof zu reparieren und vor allem den Querbahnsteig wieder zu überdachen. Manches Provisorium funktionierte über Jahrzehnte. Und dann verschwand es trotzdem eines Tages. Wer nicht aufpasste, hatte kein Bild davon.
Im Grunde ist diese Übergangsphase das Gegenstück zu dem, was zwischen 1990 und 2010 in Leipzigs Innenstadt passierte, ein ganz ähnlich radikaler Kulissenwechsel, der in diesem Fall aber die Jugend der heutigen Großelterngeneration prägte.
Man ahnt, warum die Alten zu manchen dieser damals neu hingeklotzten Bauten eine ganz besondere Beziehung eingingen – die bis heute hält, wenn man an die Ringbebauung am Roßplatz denkt oder das Provisorium Blechbüchse. Aber auch die Jüngeren werden ihre Freude haben an diesen Bildern, auch weil sie sogar durch das Verschwinden von Manchem, was erst in den 1960er Jahren gebaut wurde, zu regelrechten Doppel-Rätsel-Bildern wurden.
Fürs Stadtgeschichtliche Museum ergänzen diese Fotos natürlich den so wichtigen Bestand der Stadtbildfotografie – zeigen eine Epoche, die in dieser fast erzählerischen Weise wohl nur Liebich festgehalten hat.
Das Abtauchen lohnt sich also. Zu sehen ist die Ausstellung im Studio des Stadtgeschichtlichen Museums vom 6. Mai bis zum 30. Juli.
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