Der Titel ist herrlich. So schön hintersinnig: „Inszeniert. Deutsche Geschichte im Spielfilm“. Das ganze 20. Jahrhundert steckt darin. Denn wir leben in einer Zeit, in der wir unsere Geschichte vor allem als mediale Inszenierung erleben: im Fernsehen und im Kino. Und Manche halten das dann sogar für die reale Geschichte. Und sie ahnen nicht mal, wie die Inszenierungen unsere Vorstellung vom Gewesenen verändern.

Was erst einmal nichts Schlimmes ist. Vorstellungen von Geschichte verändern sich auch so. Jede neue Generation gewinnt einen neuen Blick auf die Vergangenheit, hinterfragt die Erzählungen der Eltern und Großeltern.

Doch gerade die audiovisuellen Medien haben auch eine ungeheure Macht über die Köpfe. Sie können aufklären, können Figuren der Geschichte zu Helden machen, können Ereignisse wichtig machen oder Geschichte völlig umdeuten und einer Ideologie unterwerfen, wie es die Nazis taten oder später die DEFA-Filmstudios, als sie zum Beispiel die großen Thälmann-Filme drehten.

Sie können auch zur Verklärung einer ganzen Epoche beitragen, wie die suggestiven Unterhaltungsfilme der 1950er Jahre, die dem „Wirtschaftswunder“ den emotionalen Hallraum verschafften. Aber diese Filme waren nicht unbedingt das, was die Ausstellungsmacher um Dr. Christian Peters mit der neuen Wechselausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum zeigen wollten. Auch nicht, wie neue Mythen geschaffen werden. Das haben sie ja schon 2016 mit „Deutsche Mythen seit 1945“ getan. Da kamen auch einschlägige Filme vor – man denke nur an „Das Wunder von Bern“.

Und wenn man erst einmal ein wenig nachdenkt, wie viele historische Filme in Ost wie West seit 1946 gedreht wurden und manchmal auch im Kino für Furore sorgten, dann ahnt man schon, dass davon nur eine kleine, sehr subjektive Auswahl in einer Ausstellung Platz finden kann, mit der die Macher zeigen wollen, „was Spielfilme mit historischem Inhalt leisten können“. So drückt es Jürgen Reiche, der Leiter des Zeitgeschichtlichen Forums, aus. Und ihm ist dabei sehr bewusst, das sich für die meisten Menschen das Bild, das sie von Geschichte haben, ganz und allein durch Filmerlebnisse prägt.

Sie lesen keine wissenschaftlichen Zeitschriften, keine Bücher und Biografien. Sie konsumieren das TV-Programm oder gehen in den nächsten Blockbuster im Kino. Aber auch nur, wenn der Film nach guter Unterhaltung, nach Spannung und Aufregung klingt. So ist unser Zeitalter mittlerweile: Was nicht als gut inszenierter Unterhaltungsstoff die Zuschauer erreicht, findet in der großen gesellschaftlichen Diskussion keinen Platz. Diskussionen unter Fachleuten (etwa über die Rolle der Wehrmacht im 2. Weltkrieg oder die Folgen des RAF-Terrors) werden auch von den großen Zeitungen und Magazinen meist ignoriert. Sie springen auf Themen meist erst an, wenn sie zum „Skandal“ werden oder mindestens zum Aufreger.

Aufreger 2008: Die Flucht. Foto: Ralf Julke
Aufreger 2008: Die Flucht. Foto: Ralf Julke

Was einige deutsche Spielfilme, die sich mit der eigenen Geschichte beschäftigen, durchaus geschafft haben. Man darf an den TV-Zweiteiler „Die Flucht“ von 2008 mit Maria Furtwängler denken, oder die Aufregung um „Das Leben der Anderen“ von 2006, aber auch an „Deutschland im Herbst“ von 1976, mit dem das Thema RAF und Terrorismus erstmals aufgegriffen wurde.

Eine Zeit übrigens, die Jürgen Reiche durchaus als Zäsur begreift. Denn während es noch in den 1950er Jahren in Ost wie West eine ganze Reihe von Filmen gab, die sich (auch kritisch) mit der eigenen Vergangenheit beschäftigten, wird es mit historischen Filmen in den 1960er und 1970er Jahren richtig dünn. Und zwar in beiden deutschen Staaten. Im Westen sorgte vor allem die Ausstrahlung von „Holocaust“ 1979 für ein regelrechtes Aufwachen. Der „Geschichtsvergessenheit“ (Reiche) folgte auf einmal eine regelrechte Flut von Regiearbeiten, die sich intensiv mit der deutschen Geschichte beschäftigten.

Als hätte da einer den Pfropfen gezogen. Und die Bundesbürger scheinen dieser Flut überhaupt nicht überdrüssig zu sein.

Ob „Good bye, Lenin“ (2003) oder der „Baader-Meinhof-Komplex“ (2008) – die Filme fanden ihr Publikum und sorgten auch für Diskussionen, deutliches Zeichen dafür, dass sie in der Selbstwahrnehmung der Deutschen eine Rolle spielen und auch zur Positionierung zwingen.

Dass es immer Gratwanderungen sind, dessen ist sich Christian Peters bewusst. Denn als er mit seiner Mannschaft die engere Auswahl für die sieben Themengruppen in der Ausstellung traf, forstete er natürlich auch Archive und Medien durch, auch auf der Suche nach Aussagen der Regisseure selbst. Die können ja durchaus begeistert sein vom historischen Stoff und bestrebt, ihn so authentisch wie möglich in Szene zu setzen – aber sie kommen nicht um die Erwartungen des Publikums herum, das unterhalten sein will. Sie müssen also Geschichte inszenieren, Helden schaffen, Handlungen manchmal auch aufpeppen und verdichten – und mit jeder Menge Sound und Atmosphäre hinterlegen. Manchmal wird das tatsächlich zu einer sehr eigenwilligen Inszenierung von Geschichte.

Auch dann, wenn es die Regisseure ernst meinen.

Natürlich hat nicht alles reingepasst in diese Ausstellung. Manches Thema dominiert, weil es auch in den Medien der Republik gut dokumentiert wurde und große gesellschaftliche Diskussionen angestoßen hat – wie das Thema „Holocaust“, das ja 1994 mit „Schindlers Liste“ auch einen bis dahin nicht gesehenen Akzent bekam.

Jeder Filmschwerpunkt hat im Grunde ein eigenes kleines Filmkabinett, wo man den Film selbst auf großen Monitoren sehen kann. Aber das Spannende steckt eigentlich in den Vitrinen, wo die Entstehungsgeschichte und die Resonanz des Films dargestellt sind, manchmal Requisiten direkt aus dem Film, aber auch Informationen zu Filmen, die zum selben Thema jeweils im anderen Landesteil gedreht wurden. Denn  Filmgeschichte war auch immer ein deutsch-deutscher Diskurs. Und der drehte sich oft genug um die Frage: Wer hat eigentlich die richtige Interpretation der Ereignisse?

Dabei wurde selbst wieder Geschichte produziert. Denn dass Filme zu öffentlichen Debatten anregen, das erzählt auch davon, dass die aktuelle Zuschauergeneration endlich aufgeschlossen ist für so manches Thema. Diese Wirkung hatte wohl die Ausstrahlung von „Holocaust“ 1979. Jürgen Reiche wundert sich zwar, dass das so spät passierte. Aber es muss eine Generationenfrage gewesen sein. Die jungen Leute waren offen für dieses Thema – und das Entsetzen war nach 30 Jahren Schweigen darüber relativ groß.

Der Besucher der Ausstellung bekommt also sehr gut mit, wann welches der großen Geschichtsthemen zum medialen Ereignis wurde. Nach Ansicht von Christian Peters, der ja für die Auswahl verantwortlich war, gäbe es kein wichtiges Thema, dass es nicht zu einer filmischen Inszenierung gebracht hätte.

Man vermisst trotzdem Vieles davon, gerade was die ostdeutsche Interpretation auch der eigenen Geschichte betrifft. Denn es geht ja nicht nur um die weit zurückliegenden Dramen. Geschichte passiert auch jetzt. Und jeder der beiden Staaten hat auf seine Weise versucht, dieses „Historischsein“ zu inszenieren.

Aber die reine Fülle passt natürlich nicht in so eine Ausstellung. Die kann nur anregen, sich beim Gesehenen auch an Anderes zu erinnern. Denn die 2015 in der ARD ausgestrahlte Serie „Weißensee“ zeigt natürlich eine völlig andere Inszenierung von DDR-Alltag, als sie in DEFA-Filmen aus demselben Milieu zu sehen war. Welche Interpretation stimmt nun? Und wie verändert die filmische Inszenierung die Sicht der Zuschauer auf sich selbst und ihr Land?

Tatsächlich merkt man –  gerade wenn man noch die sehr gewichtigen und kantigen Inszenierungen der frühen Jahre hinter sich gelassen hat – wie sehr deutsche Filmemacher daran arbeiten, ihre Geschichtssicht prall und sehr plastisch in Szene zu setzen, oft genug mit allen filmischen Mitteln der Überhöhung. Am Ende hat man so das Gefühl, dass gerade diese zum Teil sehr erfolgreichen Filme das Wissen der Bundesbürger um ihr eigenes Herkommen stark prägen. Erst was Leinwand und Bildschirm erreicht, scheint tatsächlich zur historischen Erzählung zu gerinnen.

Die Ausstellung war ab Juni 2016 zuerst in Bonn zu sehen. Und nicht nur mit Blick auf jene Filme, die sich mit der ostdeutschen Geschichte beschäftigen, stellt man sich die Frage: Ist das  nun wirklich schon der „richtige“ Blick auf die Geschichte? Oder werden es die Enkel doch wieder anders inszenieren, weil sie weniger betroffen sind? Oder weil ihnen zu wenig Fakten drinstecken, dafür zu viele Fiktionen? Denn solche Filme verändern ja auch Sehgewohnheiten. Wir überformen die Vergangenheit auch mit unserem Wissen, unserem Tempo und unserem Grundgefühl für Dramatik. Und all das unterscheidet sich deutlich von dem Erleben unserer Eltern oder Großeltern, als sie zum Beispiel in den 1950er in die Kinos strömten. Wissend, dass sie gerade einer der scheußlichsten deutschen Inszenierungen entkommen waren mit einigen der miserabelsten Regisseure, die Deutschland je erlebt hat. Ahnend zumindest, wie viel die neuen Medien schon damals zur Inszenierung von Gegenwart und Geschichtswahrnehmung beitrugen.

In diesem Zwiespalt zwischen „Fakten und Fiktion“ (Peters) leben wir heute tagtäglich. Die Ausstellung spricht also auch die Geschichte unserer medialen Entwicklung an – technisch ein wahrer Höhenflug. Inhaltlich – ein Thema für heftige Debatten.

Die Ausstellung „Inszeniert. Deutsche Geschichte im Spielfilm“ ist im Zeitgeschichtlichen Forum vom 5. April 2017 bis zum 7. Januar 2018 zu sehen.

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