Man wird hellhörig, wenn Yadegar Asisi beginnt zu erklären, warum er ausgerechnet jetzt das Wrack der 1912 gesunkenen „Titanic“ in ein riesiges, beeindruckendes Panorama verwandelt hat. Denn der Untertitel, den er Bild und Ausstellung gegeben hat, verrät nicht wirklich, wie ernst dem Künstler das Thema ist: „Die Versprechen der Moderne“.

Der Besucher ahnt es aber, wenn er die Ausstellung betritt, die dem großen „Titanic“-Panorama vorgeschaltet ist. Sie zeigt nämlich in eindrucksvollen Fotos, Skizzen und einem gewaltigen Bug, was Moderne damals hieß, kurz vor dem ersten Weltkrieg, als die westliche Welt in einen regelrechten Gigantismus verfiel und immer gewaltigere Brücken, Hochhäuser, Türme baute und auch die Schiffe sich in riesige, kohlebefeuerte Kolosse verwandelten. Das Versprechen der Moderne war eines der völligen Entgrenzung, der Machbarkeit, der totalen Beherrschbarkeit der Welt.

Seit sieben Jahren trug sich Yadegar Asisi mit der Idee, das Wrack des seinerzeit größten Passagierschiffs der Welt zum Thema eines Panoramas zu machen. Er ließ sich sogar auf die Anmeldeliste für die Tauchfahrten eines russischen U-Bootes setzen. „Doch dann gab es keine Tauchfahrten mehr“, sagt er heute bedauernd. Immerhin hat es sich der Künstler, der seine Panometer-Projekte vor 13 Jahren in Leipzig startete, bislang nicht nehmen lassen, die Schauplätze seiner Panoramen auch selbst zu besuchen. Aber diesmal war es nicht möglich. Was sein Projekt trotzdem nicht verhinderte. Denn er konnte auf eine hochinteressierte Szene von „Titanic“-Enthusiasten zurückgreifen. Kein anderes Schiff der Welt hat so eine große Fangemeinde. Und selbst das Internet wimmelt von Bildern des Wracks. Dieser spektakuläre Untergang beschäftigt die Gemüter noch heute.

In blaues Licht getaucht: das Wrack der Titanic. Foto: Ralf
In blaues Licht getaucht: das Wrack der Titanic. Foto: Ralf Julke

Oder sollte man sagen: Der Schock wirkt nach?

Denn wie ein Menetekel steht diese Kollision mit dem Eisberg am Beginn einer Epoche, die sich in allen Bereichen als „die Moderne“ begreift, die alles technisch Machbare auch umsetzt und dabei immer größere Risiken eingeht.

Und dabei eines vergessen zu haben scheint, wie Asisi betont: Welche Folgen das hat. Der Mensch ist zwar das Lebewesen, das alles, was es sich in den Kopf gesetzt hat, auch in die Tat umsetzen kann. „Aber uns scheint völlig das Sensorium dafür zu fehlen, welche Folgen das hat.“ Euphorie und Tragödie liegen dicht beieinander.

Wie bei der „Titanic“, deren Untergang im Grunde Folge mehrerer fataler Fehlentscheidungen war. Der aber auch so symbolisch steht für die Tragödien des 20. Jahrhunderts – oder eben der Moderne, die zwar in Gigantomanie triumphierte, immer größer, immer stärker, immer gewaltiger wurde. Aber dabei hat sie auch die Ressourcen geplündert, die Länder und Meere verwüstet. Und es steht sehr wohl die Frage: Was bleibt davon?

Die sich Asisi als Architekt gerade in Bezug auf die Architektur des 20. Jahrhunderts stellt. Das könne nicht die Zukunft sein, sagt er.

Der Blick auf den gesunkenen Koloss. Foto: Ralf Julke
Der Blick auf den gesunkenen Koloss. Foto: Ralf Julke

Deswegen ist auch sein Bild von der „Titanic“ wie ein Symbol für den falschen Kurs, den wir mit der Moderne eingeschlagen haben. Die Musik, die Eric Babak auch für dieses Panoramabild geschrieben hat, erinnert anfangs an die schwere, bedeutungsvolle Musik, die man aus vielen Hollywood-Blockbustern mittlerweile kennt. Man muss zwar nicht die 3.800 Meter hinuntertauchen, sondern kommt praktisch durch die eindrucksvollen Bilder der gewaltigen Ingenieurbauwerke des frühen 20. Jahrhunderts direkt auf den Grund des Atlantiks. Aber dann vermischen sich die Eindrücke, hat man einerseits dieselbe Faszination, wie man sie auch aus anderen Asisi-Panoramen kennt. Hoch und blau wölbt sich der Raum. Schon das eine Illusion, denn so hell erleuchtet war das Grab der „Titanic“ noch nie. Im Normalfall, wenn nicht wieder ein winziges menschliches U-Boot seine Scheinwerfer anstellt, herrscht da unten absolute Schwärze. Selbst die stärksten Scheinwerfer reißen immer nur winzige Abschnitte aus dem Dunkel.

Das ganze Bild ist also aus vielen tausenden Fotos zusammengepuzzelt. Eine Arbeit, die tatsächlich fünf Jahre gedauert hat – drei Jahre brauchte allein die Herstellung eines 3D-Modells der Titanic, das dann erst das Gerüst abgab für das Einpassen tausender Details aus tausenden Bildern.

Selbst die Titanic-Experten, die zur Eröffnung anwesend waren, staunten, wie es Asisi gelungen ist, tatsächlich ein vollgültiges Bild dieses Wracks zu schaffen – auch wenn für die Kenner die unterschiedlichen Zeitebenen sichtbar sind. Viele Details, die vor zehn Jahren noch zu sehen waren, sind auf neuen Fotografien derselben Stelle verschwunden. Es sind auch wieder die menschlichen Schatzjäger, die das berühmte Relikt plündern.

Das kleine U-Boot macht die Größe des Wracks erst deutlich. Foto: Ralf Julke
Das kleine U-Boot macht die Größe des Wracks erst deutlich. Foto: Ralf Julke

Doch schwere Hintergrundmusik lenkt freilich nicht davon ab, was für ein gewaltiges Ungetüm sich da in den Meeresgrund gebohrt hat. Das Licht ändert sich nur allmählich. Erst wenn es lebhafter wird, wechselt auch die Musik, mischt sich das tiefe Röhren der Schiffssirenen in den Sound und die dramatischen Momente werden spürbar, in denen das hoch beschleunigte Schiff versuchte abzubremsen, während es direkt auf den Eisberg zusteuerte – und im Saal ging die Party weiter, spielte das Orchester. Die Rettungsaktivitäten begannen viel zu spät, vertrödelte wertvolle Zeit, die 1.500 Passagieren zum Verhängnis wurde. Am Ende vermischen sich Hektik, Musik, Verzweiflung in einem Klangteppich. Und dann wird’s finster.

Übrig bleibt der schweigende Koloss auf dem Meeresgrund, Zeuge für ein „übersteigertes Streben des Menschen in Verkennung seiner Möglichkeiten“, wie Asisi sein Thema beschreibt. Nur dass ihn das Sensationelle nicht reizt, sondern die Botschaft dieses riesigen Wracks, dessen schiere Größe sich dem Betrachter erst nach einer Weile wirklich erschließt, wenn er im Kopf die Dimensionen zurechtgerückt hat.

Diese ingenieurtechnische Sturheit hat die ganze Moderne geprägt. Aber wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir ahnen, dass das nicht die Zukunft sein kann, dass es ein falscher Abzweig war, den wir genommen haben. Auch dafür steht ja diese Musik im Festsaal des sinkenden Schiffes, die bis zuletzt spielte.

Yadegar Asisi hofft, dass auch dieses „Titanic“-Bild viele Zuschauer findet, damit der Erfolg die nächsten Projekte ermöglicht, die er längst im Kopf oder sogar schon begonnen hat. Dafür spiele sein 20-köpfiges Leipziger Team eine besondere Rolle, sagt der Künstler. Denn das hat mittlerweile so viele Aufgaben übernommen, dass er den Kopf frei hat für weitere Projekte, von denen ihm manchmal regelrecht abgeraten wird. Aber auch sein Panorama zu „9/11“ wird ein ganz ähnliches Thema aufgreifen wie „Titanic“. Und es sind nicht die Flugzeuge, die in die Türme des WTC fliegen, die Asisi besonders faszinieren. Die faszinierende Landschaft der Antarktis wird Wirklichkeit werden und mit großen Panoramen zum Impressionismus und „Ein Paradies auf Erden – Karolas Garten“ wird das Sehen selbst zum Zentrum seiner Arbeit.

So gesehen ist „Titanic“ auch ein Zeitenwechsel für Asisi, der Schritt zu etwas Neuem, das das Medium Panorama mit noch unerprobten Sichtweisen bereichert.

Aber all das gehört zusammen in der bei Asisi spürbar wachsenden Sorge um die Schönheit und den Reichtum unserer Welt, die wir mit der Jagd nach dem Gigantischen immer mehr zerstören. Zeit zum Einhalten.

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