Nicht nur Künstler haben so einen Aha-Effekt, wenn sie den eitlen Mann da in Amerika problemlos Präsident werden sehen. In einer Kultur der digital vermarkteten Eitelkeiten ist es nur folgerichtig, dass ein Narziss problemlos eine Wahl gewinnt. Das Selfie ist der perfekte Ausdruck einer Zeit, in der Äußerlichkeiten dominieren und die Pose genügt, um zu beeindrucken. Ein bestens für eine Ausstellung geeignetes Thema.
Schauplatz: Kunstkraftwerk in der Saalfelder Straße in Lindenau.
Als Phänomen der Netz- und Popkultur sind Selfies aus dem zeitgenössischen Wortschatz und Lebensalltag nicht mehr wegzudenken. Allein auf Instagram finden sich unter dem Hashtag #Selfie knapp 60 Millionen Fotos. Täglich, so heißt es, werden weltweit 1 Million Selfies gemacht.
Die digitale Selbstbespiegelung hat natürlich längst Eingang gefunden in die Debatten von Psychologen, Philosophen und Künstlern. Seit Samstag, 21. Januar, hat das Selfie nun als öffentliches Kunsterlebnis unter dem Titel #SELFIE_LEIPZIG auch das Kunstkraftwerk Leipzig erobert. Die Ausstellung der spanischen Künstlerin Darya von Berner wurde eigens für die ehemalige Maschinenhalle des Kunstzentrums im Leipziger Westen produziert und versteht sich als eine Perspektive auf Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Selbstkultur.
„Bei einem Selfie geht es darum, die Erfahrungen eines Lebens zu teilen und auch zu entscheiden, wie man repräsentiert und was darzustellen ist. Es geht darum, die Kontrolle darüber zu übernehmen, wie man unter verschiedenen Umständen fotografiert wird, aber auch um die gemeinsame Nutzung und Verbreitung dieser Porträts durch die sozialen Netzwerke. #SELFIE_LEIPZIG soll anregen, Fragen der Repräsentation, des narrativen Selbst und der Identität im Zeitalter der sozialen Medien und der allgegenwärtigen Technologie zur Bilderzeugung zu erforschen“, sagt Kuratorin Stéphanie Delcroix zum Anliegen der Ausstellung.
In der Installation #SELFIE_LEIPZIG verschmilzt die aktuelle Besessenheit zur Selbstdarstellung, die im antiken Narziss-Mythos begründet liegt, mit der Faszination des Westens für Industrierelikte. Von Berner arbeitet mit Licht, Bildvermittlung und Architekturmerkmalen, um eine Inszenierung zu erschaffen, die das Zusammenspiel zweier Protagonisten einbezieht: das Kunstkraftwerk selbst und seine Besucher, die beim Eintritt in die Halle von Lichtkegeln erfasst werden. Ihre Abbildungen werden dann an die Hallenwände projiziert. Mit Leuchtbändern zeichnet sie außerdem die baulichen Strukturen der Maschinenhalle nach und erzeugt so eine faszinierende Symbiose von Industriearchitektur und Kunst.
Darya von Berner versteht ihre Installation – wie alle ihre Arbeiten, egal ob Gemälde, Skulptur oder Opernaufführung – als „Atmosphere“. Mit dieser künstlerischen Ausdrucksform und Konzeption sucht sie ein Erlebnis zu schaffen, in das man eintauchen kann, um sich der Verbundenheit aller bewusst zu werden.
Zu erleben ist #SELFIE_LEIPZIG vom 21. Januar bis zum 5. März 2017.
Schon am Donnerstag, 19. Januar, wurde im Kunstkraftwerk die Ausstellung „Illusion – Moving Space“ eröffnet, die neue Jahresausstellung. Sie knüpft thematisch an ihre Vorgängerin „Illusion – Nothing is as it seems“ an, die bislang über 30.000 Besucher aus dem In- und Ausland anzog. Vom 21. Januar bis 12. November 2017 verwandeln digitale Landschaften, leuchtende Klangfäden, kinetische Skulpturen, geometrische UV-Lichtgitter und Lichtblitze das Kunstkraftwerk in ein künstlerisch-wissenschaftliches Selbsterfahrungslabor.
In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer
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