Ab heute lohnt sich der Besuch im Untergeschoss des Museums der bildenden Künste doppelt. Denn neben der großen Werkschau des Leipziger Malers Sighard Gille gibt es ab heute auch eine kleine Sonderausstellung mit den Arbeiten der vier neuen Preisträger des „Marion Ermer Preises“ 2016. Die erste ihrer Art im Museum der bildenden Künste. Dietrich von Berg, Vorstandsvorsitzender der Marion Ermer Stiftung, schwärmt geradezu.

Von den Räumen natürlich. Und vom Museumsdirektor, der die Präsentation des Marion Ermer Preises erstmals ins Haus geholt hat. Obwohl sie da längst hingehört. Seit 1992 gibt es die Marion Ermer Stiftung, die seit 2001 mit ihren Preisen junge Kunst aus Ostdeutschland ehrt. „Außer Berlin“, betont von Berg. 2002 wählte man die HGB als Ort der Preisverleihung. Aber so recht war niemand zufrieden mit all den Stationen unterwegs. Denn so ein Preis macht ja nur Sinn, wenn auch eine interessierte Öffentlichkeit mitbekommt, was da ausgezeichnet wurde.

Begehrt ist der Preis sowieso. 219  Bewerbungen gab es diesmal. „Anderthalb Tage haben wir in der Jury zusammengesessen“, erzählt Hans-Werner Schmidt, Jurymitglied und Direktor des Museums der bildenden Künste.

Und dann schälten sich die vier jungen Künstler heraus, deren Arbeiten nun auch im Untergeschoss des Bildermuseums gezeigt werden. Drei davon mit Ausbildungsgeschichte an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. Aber selbst Manaf Halbouni kennen die Leipziger schon. Im Sommer war seine Auto-Installation „Nowhere is Home“ im Foyer des Museums zu sehen – quasi als unübersehbarer Kommentar zum Zeitgeschehen: ein Auto, das alles aufgenommen hat, was Menschen bei ihrer Flucht mitnehmen können. Nicht viel, wie man sehen konnte. Selbst mit dem abgefahrenen Auto ist jeder Aufbruch in die Fremde ein verzweifelter Versuch, eine neue Heimat zu finden.

Manaf Halbouni kennt das selbst. Denn er wurde in Damaskus in Syrien geboren, strandete 2008 in Dresden und studierte an der dortigen Kunsthochschule. Seine Welt ist die Installation, das Spiel mit Geschichte. Denn wer aus einem derart autokratisch regierten Land kommt, der kennt die Versatzstücke, die zur Inszenierung von Macht, Stärke und Herrschaft gehören. Der kennt aber auch die falschen Romantisierungen von Krieg, wenn das Hinmetzeln tausender junger Männer glorifiziert und mit pathetischer Musik zum Videofilm umgebaut wird.

Aber wie verarbeitet man das, wenn man dem auch in der Staats-Kunst inszenierten Pathos nicht auf den Leim gehen will? Man dreht die ganze Geschichte um, erfindet regelrecht eine „kontrafaktische Geschichte“ und zeigt im verfremdeten Pathos die ganze erfundene Narretei der Kriegsgewinner. Mit General Yusef Hadid hat er einen fiktiven Feldherren aus Turkmenistan samt Lebenslegende in den Mittelpunkt einer komplett erfundenen Geschichte gestellt, bei der die vereinigten arabischen Staaten um 1850 einfach den Spieß herumgedreht haben und mit technischer und wirtschaftlicher Überlegenheit das unterjochte Europa befreit haben. Große Militärkarten liegen auf dem Kartentisch, die europäischen Städtenamen mit arabischen Namen überschrieben. An der Wand sind zwei große Videobildschirme mit dem streng aus dem Rahmen schauenden General, in dem man den Künstler wiedererkennt, der immer wieder die knappen Slogans verkündet: „Yes, we can“ und „I have a dream“.

Da spiegelt sich die Überlegenheit des Westens, der seine Wirtschafskraft immer wieder genutzt hat, dem Rest der Welt seinen Willen aufzudrücken. Bis hin zu den zertrümmerten Betonteilen zerstörter Städte, die bei Halbouni aber neue, robuste arabische Schriftzeichen der Herrschaft ergeben. Das ist dann eigentlich sogar der Spiegel im Spiegel: Der Herrschaftsanspruch der einen findet sich in den Herrschafts-Slogans der anderen wieder.

Tonduschen und Video-Sequenzen von Thomas Taube. Foto: Ralf Julke
Tonduschen und Video-Sequenzen von Thomas Taube. Foto: Ralf Julke

Es war genau diese zuweilen spielerische Auseinandersetzung der Künstler mit unserer Zeit und ihren Botschaften, die die Jury am Ende genau diese vier Künstler wählen ließ. Wobei einer noch gar nicht fertig ist: der Videokünstler Thomas Taube. An dem Film, den er zeigen will, arbeitet er noch. „Situations“ heißt der, wird in New York gedreht und soll am 25. Januar im Museum der bildenden Künste Premiere haben. Aber wie zeigt man einen Film, den es noch gar nicht gibt? Man nimmt die Besucher mit in die Werkstatt und zeigt die ersten Bausteine zum Film, quasi das Wurzelwerk: die Knäuel von englischen Sätzen und Assoziationen, aus denen Taube seine Filmidee entwickelt. Im nächsten Schritt sieht man erste Skizzen, quasi eine hingetuschte Rahmenskizze. „Denn ich habe nie ein Storyboard“, sagt der Künstler. Was sogar gut sei. Denn so entsteht der Film als Gewebe aus Assoziationen, Texten, Bildern. Eine schwebende Insel aus Bildschirmen zeigt lauter kleine Videoclips, einfach mit dem Smartphone aufgenommen. Aber man bekommt schon ein Bild davon, wie der Künstler seinen Film wirken lassen möchte. Und was er seinem Filmteam sagt und zeigt, bevor es in New York an die Arbeit geht. Und ganz ähnlich arbeitet er mit Tönen und Geräuschen. Das gibt es dann extra zu hören in eigens installierten Tonduschen. Bis der Film also wirklich fertig ist, erlebt man das Unfertige, aus dem alles werden soll. Ob es dann der eigenen Vorstellung entspricht, sieht man am 25. Januar.

Aber unübersehbar arbeitet Taube mit den Bildern der Gegenwart, auch noch denen aus dem riesigen Zentrum der westlichen Kultur.

Einer Kultur, die derzeit wohl zu Recht immer stärker mit Misstrauen beäugt wird. Ihre Werbeikonen und Botschaften beherrschen nicht nur unseren Alltag. Die McDonaldisierung hat längst die ganze Welt erfasst. Walmart, Starbucks und andere Marken-Linien dominieren die moderne Konsumwelt weltweit. Man kann ihnen nicht entkommen – und auch nicht ihrer uniformen Symbolik. Marian Luft spricht selbst von einem „visuellen Overkill“. Bilderfluten, die sich auch im digitalen Raum breitmachen und kein Entkommen möglich erscheinen lassen, die auch noch technisch und clean wirken, als wären es wirklich nur Produkte ohne Seele.

Und was macht Luft damit? Er holt sie aus ihren klinischen Räumen, verarbeitet und verfremdet sie und sorgt dafür, dass sie die Vergänglichkeit der ganz normalen Realität erfahren – er lässt sie rosten, zerfransen, abtropfen, glitschig werden. Und manchmal holt er ihre Produkte auch wieder aus dem Müll, verarbeitet sie zu Collagen und lässt sie drucken. Denn der schöne Schein trügt ja. Alles ist vergänglich. Alles erodiert oder verrostet, im Müll wird die Vergänglichkeit dieser Schein-Welt wieder sichtbar. Die glatte, poppige Ästhetik wird gebrochen.

Da hat der Besucher in drei Kojen schon drei komplexe künstlerische Welten erlebt. Man muss sich Zeit nehmen. Was man sieht, erschließt sich nicht sofort. Die Kataloge zu den vier Ausgezeichneten liegen aus. Da kann man sich einlesen. Aber ums Einfühlen und Entziffern kommt man nicht umhin.

In der "Koje" von Katharina Schilling. Foto: Ralf Julke
In der „Koje“ von Katharina Schilling. Foto: Ralf Julke

Auch nicht bei Katharina Schilling, deren großes Bild „Pomela“ den Besucher sofort empfängt. Eigentlich eine in zartem Grün gehaltene Darstellung jener Früchte, die – anders als Äpfel, wie Schilling betont – eben nicht mit Symbolik aufgeladen sind. So entsteht auch kein Stillleben, das mehr bedeuten soll als das Dargestellte, gar „bedeutungsschwanger“ wird. Im Gegenteil. Die junge Malerin nimmt die Dinge, die sie malt, aus ihren alltäglichen Bezügen, lässt alles weg, was auf eine Szene, ein Interieur oder gar Menschen schließen lässt. Was man bekommt, sind fast schwebende Bilder, von Zeit, Ort und Bedeutung geradezu befreit. Ein Spiel mit Strukturen und Oberflächen. Manchmal so sehr, dass die untergelegten Strukturen der Leinwand wichtiger und eindrucksvoller werden als das Bild.

Keine Gesellschaftskritik? Oder vielleicht gerade deshalb? Weil die Fixierung aufs künstlich aufgehübschte Objekt wegfällt, der zur Reklame aufgemotzte „Fetischcharakter der Ware“? Irgendwie schon. Eine freundliche, aber rigorose Absage an eine von poppigen Fetischen dominierte Welt des Käuflichen. Verwirrend natürlich. Besonders, wenn man dann gleich in die von Farben explodierende Gille-Austellung weitergeht.

Vom Preisgeld bekommen die Künstler übrigens auch alle einen Katalog. Was in Zeiten, da man jederzeit für sich selbst Werbung machen muss, wertvoll ist.

Die vier Einzelbände stellen wir an der Stelle in den nächsten Tagen noch vor.

Die Ausstellung zum Marion Ermer Preis ist im Museum der bildenden Künste vom 3. Dezember 2016 bis zum 19. Februar 2017 zu sehen.

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